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Wettrüsten für das Liebesspiel  
  Schwedische Forscher berichten von einer bizarren Entwicklung bei einer Käferfamilie. Männliche Samenkäfer haben Penisse mit mächtigen Dornen entwickelt, die ihnen offenbar bei der Kopulation helfen. Der große Nachteil daran: Die Dornen fügen ihren Partnerinnen häufig Verletzungen zu.  
Die Weibchen haben deswegen einen Panzer im Genitalbereich entwickelt. Langfristig vermindere diese Form des Wettrüstens die Fitness der Population, schreiben die Forscher um Göran Arnqvist von der Universität Uppsala.
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"Coevolution between harmful male genitalia and female resistance in seed beetles" von Johanna Rönn et al. erscheint zwischen 11. und 15. Juni 2007 auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.0701170104).
->   Abstract (sobald online)
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Geschlechter auf Kollisionskurs
Wenn von Geschlechterkonflikt die Rede ist, denkt man vermutlich zunächst an das Arbeitsleben, Beziehungskrisen, feministische Diskurse - weniger jedoch an Tiere und Pflanzen. Dennoch: Auch in den Biowissenschaften spricht man vom Geschlechterkonflikt und meint dabei folgendes: Männchen und Weibchen verfolgen bei ihrer Reproduktion bisweilen unterschiedliche Strategien.

Beide wollen sich möglichst erfolgreich fortpflanzen, nur der Weg zum Ziel muss nicht der gleiche sein. Manchmal verlaufen die Wege sogar in die entgegengesetzte Richtung - Kollisionen nicht ausgeschlossen.
Beispiel Brutpflege
Ein relativ bekanntes Beispiel sind die unterschiedlich hohen "Kosten", die bei Säugetieren durch die Aufzucht der Kinder entstehen. Männchen steuern zunächst nur einige Keimzellen bei, Weibchen haben hingegen die Last der Schwangerschaft zu tragen, später sind sie - säugender Weise - auch für die Ernährung verantwortlich.

Auch wenn man in Rechnung stellt, dass sich bei vielen Säugetierarten beide Geschlechter um den Nachwuchs kümmern, bleibt doch eine gewisse Asymmetrie bestehen. Die Soziobiologie sagt voraus, dass jenes Geschlecht, das höhere Kosten zu tragen hat, bei der Partnerwahl wählerischer agiert.

Das sind bei Säugern in der Regel die Weibchen. Die Männchen sollten laut Theorie eher die Gießkannenstrategie verfolgen. Diese Tendenz wurde bereits bei vielen Arten nachgewiesen.
Penisse wie Morgensterne
Bild: Johanna Rönn
Von einem ungleich spektakuläreren Konflikt berichten nun schwedische Biologen. Bei Samenkäfern haben sich die unterschiedlichen Interessen der Geschlechter bereits im Körperbau manifestiert, und zwar im Genitalbereich. Bei vielen Arten dieser Käferfamilie tragen die Männchen dornenbesetzte Penisse, die eher an Morgensterne oder Faustriemen denn an Geschlechtsorgane erinnern (Bild rechts).

Hintergrund der bizarren Morphologie: Die Dornen an den Penissen wirken bei der Begattung wie Widerhaken, sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Befruchtung kommt. Was den Männchen nützt, muss, wie man sich vorstellen kann, nicht unbedingt den Weibchen nützen.

Im Gegenteil: Sie tragen nämlich beim rustikalen Liebesspiel der Käfer regelmäßig Verletzungen davon, weswegen sie ihren Kopulationstrakt mit schützenden Geweben auskleiden.
Langfristig keine Gewinner
In dieser Situation kam es in der Familie der Samenkäfer offenbar zu einem Wettrüsten, wie nun die Forscher um Göran Arnqvist von der Universität Uppsala belegen. Manche Arten haben extreme Genitalbewaffnungen - und ebensolche Schutzstrukturen - entwickelt, andere gehen es bescheidener an.

Interessant daran ist, dass sich beide Faktoren bei allen untersuchten Arten die Waage halten, Verletzungen beim Liebesspiel treten bei den schwer bewaffneten Arten nicht häufiger auf als bei jenen mit genitaler Leichtbauweise. Aus der Distanz betrachtet bringt das Wettrüsten zwischen den Geschlechtern durchaus Nachteile, es kostet Energie und reduziert sogar die Fitness der Gesamtpopulation.

Unter gewissen Bedingungen könne es sogar das Risiko erhöhen, dass die gesamte Population einmal ausstirbt, schreiben Arnqvist und seine Kollegen. Das nennt man dann wohl evolutionäre Sackgasse.

[science.ORF.at, 12.6.07]
->   Göran Arnqvist - Universität Uppsala
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01.01.2010