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Wie aktuell ist Hegel heute noch?  
  Die Aktualität des Philosophen Hegel steht im Mittelpunkt eines neuen Buches, das kürzlich in Wien vorgestellt worden ist. Anlass ist das 200. Jubiläum seines Hauptwerks "Phänomenologie des Geistes."  
Tot und doch lebendig
Vielleicht ist es ein besonderes Qualitätsmerkmal für große Philosophen, wenn die gedanklichen Systeme, in denen sie sich bewegt haben, längst zerfallen , ihre Ideen allerdings trotzdem am Leben geblieben sind, oder zumindest wahrgenommen werden.

Ohne Zweifel: Georg Wilhelm Friedrich Hegel steht in seiner Wirkung neben Aristoteles, Platon und Kant. Da ist einmal seine Geschichtsphilosophie, die groß und wirkmächtig alles das, was nachkam, prägte - so oder so; und das blieb nicht auf Karl Marx beschränkt, den er nachhaltig beeinflusste.
Glaube und/oder Einsicht
Auch die Religionskritik der Geistesaristokratie des Idealismus und des 19. Jahrhundert generell berief sich auf Hegel, wenn auch vielleicht Bruno Liebruck recht hatte, als er meinte, dass die Phänomenologie des Geistes mit dem Gewissenskapitel aufhören könnte. Gerade dort wird das aufgebrochen, was einer der Autoren des Bandes, Kurt Appel, den aus dem abstrakten Urteil kommende Geltungsanspruch des Wissens nennt.

Man merke jedoch, dass nach Hegel "Glaube und Einsicht dasselbe reine Bewusstsein" sind, und nur der Form nach einander entgegengesetzt sind, indem "dem Glauben das Wesen als Gedanke, nicht als Begriff, und daher ein dem Selbstbewusstsein schlechthin Entgegengesetztes, der reinen Einsicht aber das Wesen des Selbst ist , sind sie füreinander das eine das schlechthin Negative des anderen"- und insofern logische Kontrahenten.

So arbeitet Wilfried Grießer in seinem Beitrag "Bildung durch Entfremdung" etwas heraus, in dem man eine geradezu schreiende Aktualität finden könnte, die nach einer allzu vordergründigen Pseudo-Versöhnung der beiden Element Glauben und Wissen im Diskurs nach der vollendeten Postmoderne wieder ausgebrochen ist. Oder ist es doch nur eine Täuschung, ein chimärenhaftes Wiedererkennen vermeintlich bekannter Phänomene?
"Hegelianer würde ich nicht ernst nehmen"
Wissen und Bildung ist das Feld Hegel'scher Betätigung, dem sich das Autorenteam des aktuellen Buches widmet: "Wissen und Bildung. Zur Aktualität von Hegels Phänomenologie des Geistes anlässlich ihres 200jährigen Jubiläums" heißt es - und die Palette der Einzelbeiträge reicht von Bildung als Betrug und Selbstbetrug bis zur Bildung, Moralität und Sittlichkeit.

Hegel-Spezialist und Co-Herausgeber Thomas Auinger vom Philosophischen Institut der Universität Wien rechnet trotz aller Identifikation nicht mehr damit, in der heutigen Zeit je noch einem echten "Hegelianer" zu begegnen:

"So einen würde ich nicht ernst nehmen, weil ich das Hegel'sche System als solches nicht eins zu eins für vertretbar halte. Einfach jetzt die Aktualität Hegels zu propagieren ist zu wenig. Wenn er interessant ist, muss es auch noch irgendeine Interpretation geben, die ihn aktuell erhält. Von sich aus ist das System nicht als solches eins zu eins anwendbar - für irgendwelche aktuellen philosophischen, gesellschaftlichen, politischen Fragestellungen."

Und an einer Interpretation dieser Art arbeitet der Band durchaus erfolgreich. "Wissen und Bildung. Zur Aktualität von Hegels Phänomenologie des Geistes anlässlich ihres 200jährigen Jubiläums", herausgegeben von Thomas Auinger und Friedrich Grimmlinger, ist im Peter Lang Verlag erschienen.

Martin Haidinger, Ö1 Wissenschaft, 8.6.07
->   Peter Lang Verlag
->   Georg Wilhelm Friedrich Hegel - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010