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Philosoph Richard Rorty ist gestorben  
  Der US-Philosoph Richard Rorty ist tot. Wie die Stanford University bekannt gab, war er am 8. Juni an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Rorty verband wie kein anderer die US-amerikanische mit der europäischen Denktradition. Als Neopragmatist orientierte er sich an den Grundwerten der US-Philosophen John Dewey und William James, als "Europäer in Amerika" baute er Brücken zu den Schriften kontinentaleuropäischer Autoren, etwa Nietzsche und Foucault.  
Lehrer: Carnap und Hempel
Rorty wurde im Jahr 1931 als Sohn einer Journalistenfamilie geboren, die sich zur antistalinistischen Linken zählte. Er studierte an der Chicago University und in Yale, wo unter anderen Rudolf Carnap und Carl Gustav Hempel zu seinen Lehrern zählten.

Carnap wirkte vor seiner Emigration in die USA als Mitglied des Wiener Kreises, Hempel zählte zur Berliner Gesellschaft für empirische Philosophie - zwei Philosophenzirkel, die sich der wissenschaftlichen Neufundierung ihrer Disziplin verschrieben hatten.

Sie setzten auf Logik statt Metaphysik und forderten von den Philosophen, die Erkenntnisse der Fachwissenschaften zur Kenntnis zu nehmen, statt innere Wesensschau zu betreiben. Diese Haltung prägte die Entwicklung der analytischen Philosophie und nicht zuletzt auch das geistige Umfeld, in dem Rorty als Student sozialisiert wurde.
"The Linguistic Turn"
Rortys erste Publikation war die Herausgabe des Bandes "The Linguistic Turn", der die zu Beginn des 20. Jahrunderts einsetzende Hinwendung zur Sprache vorstellte. Der Titel des Buches war prägend, er sollte später Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch finden.

Vom Inhalt der darin versammelten Aufsätze spricht man heute weniger - vielleicht auch deshalb, weil der Band eher ein Nachruf auf die sprachanalytische Wende denn eine aktuelle Bestandsaufnahme war. 1967, als der Band publiziert wurde, hatte die "reine" analytische Schule ihren Höhepunkt überschritten und zeigte bereits Abnützungserscheinungen.
Ein Philosoph, der Literatur lehrt
In den 1970ern lehrte Rorty an der Princeton University, distanzierte sich aber dort immer mehr von seiner ursprünglichen intellektuellen Ausrichtung. Im Jahr 1982 zog er aus dieser Entwicklung die Konsequenz und wechselte an die University of Virginia in Charlottesville.

Und zwar nicht als an das philosophische Departement, sondern als Professor for Humanities. An der Stanford University, wo er die letzten Jahre bis zu seinem Tod tätig war, besetzte Rorty einen Lehrstuhl für Literaturwissenschaften.

Das zeigt, wie groß der Graben zwischen ihm und der akademischen US-Philosophie geworden war. Wenn jemand - wie Rorty - gerne Heidegger, Nietzsche und Sartre las und darüber schrieb, dann fiel das in den USA in die Kategorie "Literatur".
Angriff auf die zeitlose Erkenntnis
 
Bild: AP

Rortys erstes großes Buch war "Der Spiegel der Natur" (Philosophy and the Mirror of Nature, 1979), in dem er eine Kritik an der Philosophie insgesamt entwickelte.

Unter Rückgriff auf Heidegger, Wittgenstein und den US-Pragmatisten John Dewey argumentierte Rorty, dass die Philosophie ihren Anspruch auf den Besitz zeitloser Erkenntnis aufgeben müsse, weil sie sich nicht außerhalb ihrer historischen und sozialen Wirklichkeit stellen könne.

Sie ist, wie alle anderen menschlichen Äußerungen auch, von historischen Kontingenzen geprägt, die sie nicht loswerden kann. Das abzustreiten, sei eine Selbsttäuschung.
Öffentliches und Privates
In "Kontingenz, Ironie und Solidarität" (Contingency, Irony, and Solidarity, 1989) entwickelte er die Literarisierung der Philosophie weiter und gab dem Ganzen einen gesellschaftlichen Rahmen, den er vom klassischen Liberalismus lieh.

Wie der Liberalismus betonte auch Rorty die Trennung der öffentlichen und privaten Sphäre, allerdings mit anderen Vorzeichen: Während man für gewöhnlich die Theorie mit sozialer Hoffnung in Verbindung bringt, Literatur und Ästhetik als Angelegenheit der persönlichen Erbauung ansieht, ist es bei Rorty genau umgekehrt.
Plädoyer für Pluralismus
Er argumentiert, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit Literatur und Kunst die Beschäftigung mit fremden Denkweisen - und in weiterer Folge die Solidarität fördert.

Die theoretische Auseinandersetzung mit Autoren wie etwa Heidegger und Nietzsche, ihres Zeichens politisch vor- bzw. nachbelastet, sei hingegen Privatsache und diene der individuellen Selbsterschaffung. Die Konsequenz daraus: Deren politische Anrüchigkeit verflüchtige sich. Sie könnten zwar mit Gewinn gelesen werden, Anspruch auf Allgemeingültigkeit bestehe indes nicht.

"Theorien können keinen Schaden anrichten", sagte Rorty einmal in einem Interview: "Theorien sind nur insoweit sinnvoll, als sie Menschen dazu bewegen, ihre Sichtweise als eine von vielen möglichen zu erkennen."
Überreden statt überzeugen
Dementsprechend gibt es auch in "Kontingenz, Ironie und Solidarität" weder einen archimedischen Punkt noch eine Gipfelperspektive, von der aus andere Meinungen nach objektiver Maßgabe beurteilt werden könnten. Allein die Verwendung oder Nicht-Verwendung eines gewissen Vokabulars baue zwischen Diskutanten Barrieren auf, so dass sich mitunter das Argumentieren erübrige.

In solchen Fällen, erklärte Rorty, könne man den Gesprächspartner bestenfalls überreden - überzeugen könne man ihn nicht mehr. Das hat im Übrigen auch Konsequenzen für den Wahrheitsbegriff: "Da Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist, da die Existenz von Sätzen abhängig von Vokabularen ist, und da Vokabulare von Menschen gemacht werden, gilt dasselbe für Wahrheiten."

Wahrheit leitet sich demnach nicht von der Objektivität ab. Sie ist Rorty zufolge eine Sache der Solidarität.

Robert Czepel, science.ORF.at, 11.6.07
->   Persönliche Homepage Richard Rorty
->   Uni Stanford zum Tod von Rorty
->   Richard Rorty (Stanford Encyclopedia of Philosophy)
 
 
 
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01.01.2010