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Die Grammatik der Gene wird neu geschrieben  
  Im Erbmaterial des Menschen sind viel mehr Informationen gespeichert, als bislang gedacht. Das hat das Forscherkonsortium ENCODE aus 35 Organisationen herausgefunden. Die Reihenfolge der Erbgut-Bausteine wurde zwar schon im Jahr 2003 abschließend bestimmt, nun haben die Forscher aber bei einem Prozent des Erbmaterials systematisch untersucht, was diese Bausteine tun.  
Noch vor kurzem nahmen viele Wissenschaftler an, dass ein Großteil des Erbmaterials aus funktionslosem "Müll" (Junk-DNA) besteht, der zwischen den Genen liegt.

Die neuen Daten zeigen, dass das Genom jedoch nur "sehr wenig" ungenutzte Sequenzen enthält, schreibt das beteiligte Europäische Bioinformatik-Institut (EMBL-EBI) im britischen Hinxton.
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Die Studie "Identification and analysis of functional elements in 1% of the human genome by the ENCODE pilot project" wurde im Fachjournal "Nature" (Bd. 447, S. 799; 10.1038/nature05874) veröffentlicht, in der Juniausgabe des Journals "Genome Research" kann man Detailergebnisse in 28 weiteren Artikeln nachlesen.
->   Abstract in Nature
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Komplizierter als gedacht
Nach den Erkenntnissen des ENCODE-Konsortiums darf man die alte Vorschrift "Ein Gen ergibt ein Produkt" getrost zu den Akten legen. Denn ein Erbgut-Abschnitt kann demnach zu verschiedenen Abschriften führen mit jeweils unterschiedlichen Funktionen.

"Es ist alles sehr viel komplizierter, als man sich das vor ein bis zwei Jahren vorgestellt hat", sagte der beteiligte Bioinformatiker Peter Stadler vom Fraunhofer- Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig.
Genregulation: "Mitspieler bekannt, Regeln nicht"
Das ENCODE-Konsortium hat viele zuvor unbekannte Startschalter zum Genablesen identifiziert und zudem neue Sequenzen, die die Aktivität der Gene regulieren. Außerdem fand es oft Genschalter hinter den Genen und nicht - wie bislang gedacht - nur davor.

"Wir kennen jetzt im Wesentlichen die Mitspieler der Genregulation", sagte Stadler. "Der nächste Schritt wird sein, weitere Spielregeln herauszukriegen." Das habe große Auswirkungen für die Diagnostik und Therapie von Krankheiten. "Es gibt die Hoffnung, künftig Fehlregulationen von Genen besser zu erkennen."
Überraschung für Evolutionsforschung
Besondere Bedeutung hat die ENCODE-Arbeit auch für die Evolutionsforschung: "Eine der größten Überraschungen war, dass wir viele Kontrollelemente nicht mit anderen Arten teilen", sagte Manolis Dermitzakis vom Wellcome Trust Sanger Institute.

Das Erbgut sei innerhalb der Evolution daher viel weniger stabil als bislang gedacht. Zudem haben die Forscher entdeckt, dass auch das Verpackungsmaterial der DNA, die Histone, eine wichtige Rolle beim Ablesen des Erbguts und vor allem bei der Zellteilung spielt.
Genetik neu überdenken
Die Wissenschaftsgemeinde müsse nun einige grundsätzliche Betrachtungsweisen über Gene, ihre Funktion und die Evolution des Erbguts überdenken, sagte der US-Genpionier Francis Collins, Direktor des National Human Genome Research Institute (NHGRI). "Dies könnte wichtige Auswirkungen für die Versuche haben, DNA-Sequenzen zu identifizieren, die bei vielen Krankheiten des Menschen eine Rolle spielen."

ENCODE steht für ENCyclopedia Of DNA Elements. Das Konsortium ist ein Nachfolger des Humangenomprojekts, das das Erbgut entziffert hat.

[science.ORF.at/dpa, 14.6.07]
->   ENCODE
->   Humangenomprojekt - Wikipedia
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->   Bisher kleinstes Erbgut entziffert: Nur 182 Gene
 
 
 
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01.01.2010