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Nachtflieger sehen auch tagsüber  
  Nachaktive Flughunde haben in ihrer Netzhaut Stäbchen, die für das Nachtsehen spezialisiert sind. Biologen haben nun herausgefunden, dass sie auch Zapfen besitzen - also Sinneszellen für Taglicht.  
Das berichten Forscher vom Frankfurter Max-Planck-Institut für Hirnforschung und vom Field Museum for Natural History in Chicago.

Sie vermuten, dass den Flughunden die Zapfen beim frühzeitigen Erkennen von Raubvögeln und und in sozialer Hinsicht behilflich sind. Die Tiere haben ihre Ruhequartiere tagsüber oft in offenen Baumkronen, wo sie große Kolonien bilden.
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"Cone photoreceptor diversity in the retinas of fruit bats (Megachiroptera)" von Brigitte Müller et al. erschien in "Brain, Behavior and Evolution" (Bd. 70, S. 90; doi: 10.1159/000102971).
->   Abstract
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Flughunde verwenden keine Echoortung
Bild: Dana LeBlanc, Lubee Bat Center, Gainesville, Florida
Ruhender Rodrigues-Flughund
(Pteropus rodricensis)
Die Säugetierordnung Fledertiere (Chiroptera) besteht aus zwei Unterordnungen, den Fledermäusen (Microchiroptera) und den Flughunden (Megachiroptera). Im Gegensatz zu Fledermäusen besitzen Flughunde kein Echoortungssystem, dafür haben sie große Augen und gut ausgeprägte Sehzentren im Gehirn.

Ein guter Sehsinn ist auch notwendig, denn die Früchte und Nektar fressenden Tiere gehen nachts auf Nahrungssuche und orientieren sich dabei sowohl visuell als auch an Gerüchen. Während der Hin- und Rückflüge in der Abend- und Morgendämmerung navigieren sie ausschließlich visuell. In mondlosen Nächten können Flughunde daher nicht ausfliegen und müssen hungern.

Visuelle Navigation in der Dämmerung und vereinzelt auch bei Tag - das passt eigentlich nicht zu der Ansicht, dass Flughunde nur Nachtsicht-taugliche Stäbchen besitzen. So machten sich die Forscher um Brigitte Müller vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung daran, die Photorezeptor-Ausstattung der Flughunde zu untersuchen.
0,5 Prozent Stäbchen in der Netzhaut
Zur Identifizierung der verschiedenen Photorezeptortypen verwendeten die Forscher Sehpigment-spezifische Antikörper und färbten damit die Retinae mehrerer Flughund-Arten. Wie erwartet besaßen alle Arten eine hohe Stäbchendichte - Voraussetzung für die nächtliche Navigation.

Daneben fanden sich bei allen aber auch Zapfenpopulationen, die etwa 0,5 Prozent der Photorezeptoren ausmachten. "Dieser Anteil erscheint gering", sagt Brigitte Müller, "aber aus Studien an anderen dämmerungsaktiven Tieren wissen wir, dass er ausreicht, um die Tiere auch bei Tageslicht sehen zu lassen."

So haben zum Beispiel Katzen und Hunde nur einen Anteil von etwa zwei bis vier Prozent an Zapfen, und selbst die Retina des tagaktiven Menschen enthält im Mittel nur etwa fünf Prozent Zapfen. "Die Retina der Flughunde ist also kein 'evolutionäres Unikat', sondern entspricht dem allgemeinen Säugetierbauplan, der Stäbchen und Zapfen vorsieht", erklärt die Forscherin.
Drei Gattungen sind farbenblind
Bei den untersuchten Riesenflughunden (Gattung Pteropus) fanden sich zwei spektrale Zapfentypen: sogenannte Blau-Zapfen, die Licht im kurzwelligen Bereich aufnehmen, und die sogenannten Grün-Zapfen, die Licht im langwelligen Bereich empfangen.

Damit haben die Riesenflughunde - wie die meisten anderen Säugetiere - die Zapfen-Ausstattung für dichromatisches Farbensehen. Überraschend war für die Forscher, dass die Retinae der anderen drei untersuchten Gattungen Rousettus (Höhlenflughunde), Eidolon (Palmenflughund) und Epomophorus (Epaulettenflughunde) nur Grün-Zapfen besitzen, die Blau-Zapfen fehlen hier völlig.

"Mit nur einem Zapfentyp sind keine spektralen Unterscheidungen möglich, diese Arten sind also farbenblind", sagt Co-Autor Leo Peichl. "Ein solcher Verlust der Blauzapfen ist in der Evolution selten, man hat das bisher nur bei einzelnen Säugergruppen gefunden."

Die Forscher folgern, dass für die drei betroffenen Flughund-Gattungen Farbensehen weniger überlebenswichtig ist als für die Riesenflughunde.
Schattenliebhaber mit kleineren Augen
Riesenflughunde haben ihre Tagesquartiere in offenen Baumkronen, wo sie Fressfeinden - besonders Raubvögeln - ausgesetzt sind und ein visuelles "Frühwarnsystem" dem Überleben nützt.

"Außerdem schlafen die Flughunde nicht den ganzen Tag, sondern wechseln des öfteren den Hängeplatz; Jungtiere machen tagsüber Probeflüge", erzählt Brigitte Müller. "Für all diese Tagesaktivitäten müssen sie sehen können."

Rousettus hingegen nistet bevorzugt in Höhlen und Epomophorus in den dunkelsten Astregionen großer Bäume. Das mag erklären, warum diese Gattungen etwas kleinere Augen und geringere Zapfendichten als die Riesenflughunde haben und darüber hinaus farbenblind sind.
Ähnliches Verhaltensmuster in Gefangenschaft
Auch in menschlicher Obhut hingen die Riesenflughunde tagsüber in den offenen Volieren, während sich die anderen Gattungen in abgedunkelte ¿Schlafkammern¿ zurückzögen, berichtet Co-Autor Dana LeBlanc vom Lubee Bat Center in Florida.

Bei der Futtersuche helfen die Zapfen allerdings nicht, denn nachts sind die Flughunde - wie alle Säugetiere - auf die empfindlicheren Stäbchen angewiesen, die keine Farbinformation vermitteln.

[science.ORF.at/MPG, 14.6.07]
->   Flughunde - Wikipedia
->   Max-Planck-Institut für Hirnforschung
->   Field Museum for Natural History
->   Lubee Bat Center
 
 
 
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01.01.2010