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Wie Sparen zum Kult der Österreicher wurde  
  Im Staatsvertragsjahr 1955 war die Welt noch in Ordnung: "Sparen - frei sein" lautete der Slogan des Weltspartags im Staatsvertragsjahr 1955, der einen Zusammenhang zwischen politischer und finanzieller Freiheit suggerieren sollte. Auch wenn andere Anlageformen dem klassischen Sparbuch mittlerweile erheblich zugesetzt haben, bleibt die Sparmentalität für Österreich typisch.  
Das behauptet zumindest der Historiker Robert Hoffmann von der Universität Salzburg. Mit Hilfe innerbetrieblicher Publikationen und Materialien der Salzburger Sparkasse sowie des österreichischen Sparkassenverbandes hat er das Sparideal analysiert.

Ursachen seien ein "sozialpädagogischer Spardiskurs" und eine "dramaturgische Inszenierung des Weltspartags" seit dem Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit.
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Die Studie "Kult des Sparens. Sparwerbung und Spargesinnung im Spiegel des Weltspartags 1952 bis 2006" ist im Journal "zeitgeschichte" (Bd. 4/06, S. 199) erschienen.
->   zeitgeschichte
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"Wirtschaftswunder" machte Sparen wieder möglich
Noch in den ersten Nachkriegsjahren habe sich die Spargesinnung hierzulande verständlicherweise auf einem Tiefpunkt befunden, die vorangegangene Entwertung von Spareinlagen und eine nach wie vor instabile Währung wirkten nicht gerade vertrauensbildend, so Hoffmann.

Die ersten Aufbaujahre waren von Konsumverzicht geprägt. Erst anfangs der 1950er Jahre stiegen nicht nur die Wachstumsraten, sondern auch das Realeinkommen. Die unter dem Begriff des "Wirtschaftswunders" bekannte Epoche begann.
Wiederbelebung des Weltspartags
Seit damals versuchten vor allem die Sparkassen den volkswirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Sparen, Vermögensbildung und Konsum mit Hilfe sämtlicher verfügbarer Medien zu propagieren.

Eine der ersten Aktionen zur gezielten Verbesserung der Spargesinnung war die 1952 gestartete Initiative zur Wiederbelebung der Tradition des Weltspartags, die bis in das Jahr 1924 zurückreichte. Laut Hoffmann begann damit die über mehrere Jahrzehnte andauernde sozialpädagogische Instrumentalisierung des Sparens.

Seit damals zähle die Entwicklung der Sparquote in der öffentlichen Meinung zu den wichtigsten Indikatoren des konjunkturellen Aufschwungs, neben der Zahl der Personenkraftwagen und Rundfunkgerät war die Höhe der individuellen Spareinlagen zu dieser Zeit einer der wichtigsten Wohlstandsfaktoren.
Werbekampagnen zur Steigerung der "Sparmoral"
Zur Wiedereinführung des Weltspartags wurde ein aufwändiges Werbeprogramm konzipiert. So veröffentlichte etwa die Salzburger Sparkasse eine begleitende Broschüre unter dem Titel "Aus nicht wird nichts und wer nicht hören will muß fühlen", in welcher sämtliche Argumente der Spargegner entkräftet werden sollten. Außerdem wurde eine Jugendsparwoche in Zusammenarbeit mit Schulen veranstaltet und Heimsparbüchsen verteilt.

Der Erfolg dieser Veranstaltungen übertraf alle Erwartungen und der Weltspartag wurde von da an zu einem fixen Ritual, bei welchem die Sparkassen alljährlich um die höchsten Einlagen wetteiferten.

Der kontinuierliche Anstieg machte die Geldinstitute zu wichtigen Kreditgebern. So habe der so genannte "Spargroschen der kleinen Leute" wesentlich zum Aufschwung beigetragen. Auch wenn nur geringe Mengen gespart werden konnten, gehörte laut Hoffmann die Demonstration des Sparwillens plötzlich für jedermann zum guten Ton.
Der "Sparefroh" als kollektiver Mythos
Seit 1954 wurde zusätzlich ein jährliches Motto kreiert. "Sparen - sich selber helfen" war das Leitwort in diesem ersten Jahr. 1955 kam im Rahmen des Schulsparens das erste Mal die Figur des "Sparefrohs" zum Einsatz, seine über Jahrzehnte gültige Form wurde 1960 entworfen.

Das kleine Männchen entwickelte sich rasch zum Symbol des Weltspartags und dem Sparwillen der Österreicher. Bis heute hat die Kultfigur einen festen Platz im kollektiven Mythenkomplex der zweiten Republik. Die dazugehörige Zeitschrift "Sparefroh. Freund der Jugend" zählte in den 1960er und 70er Jahren zu den auflagenstärksten Jugendblättern.
Sparen statt Konsumieren
Auch wenn sich der Konsum allmählich von einer reinen Bedarfsdeckung zum Erwerb von Gütern und auch Luxusgütern aller Art verschob, hätten die Sparkassen in ihrer volkspädagogischen Tradition versucht, das Ideal des Sparens gegenüber den Verlockungen der Warenwelt zu verteidigen, schreibt Hoffmann.

"Gut haushalten heißt sparen" oder "Sparsinn heißt Familiensinn" - so appellierten sie an die persönliche Verantwortung der Konsumenten, von deren vernünftiger wirtschaftlicher Planung das Wohl der gesamten Familie abhänge. Jahr für Jahr wollte der Sinn des Sparens den Zeitumständen angepasst aufs Neue propagiert werden.
Bedeutungsverlust traditioneller Sparformen
Erst in den 1970er Jahren trat die traditionelle Sparwerbung zugunsten von Werbekampagnen für die vielfältigen neuen Serviceleistungen in den Hintergrund. Die tatsächliche Zäsur fand dann 1979 im Rahmen des neuen Kreditwesengesetzes statt, das die Sparkassen auch formal zu Universalbanken machte.

Seit den 1980er gäbe es einen schleichenden Bedeutungsverlust traditioneller Sparformen und damit auch des Kults des Weltspartags, schreibt der Salzburger Historiker. Bausparverträge, Wertpapiere und ähnliches setzen sich zunehmend durch. Der "Sparefroh" wurde zur Randerscheinung und verschwand ebenso wie die dazugehörige Zeitschrift.

Erst 2006 wurde die Figur reanimiert, da er laut einer landesweiten Erhebung im Bewusstsein der Österreicher mit 83 Prozent nicht nur sehr stark verankert, sondern auch durchwegs positiv besetzt ist. Dennoch ließe sich daraus kein Trend auf die Rückbesinnung auf die traditionelle Spargesinnung ableiten.
Sparmentalität noch nicht ausgestorben
Die Bedeutung des Sparbuchs ist mittlerweile signifikant zurückgegangen: Machten sie 1970 noch zwei Drittel des Sparvermögens aus, war es 2003 nur mehr knapp die Hälfte. Trotzdem veranlagen die Österreicher ihr Geld auch heute immer noch am liebsten auf Sparbüchern.

So ist der herkömmliche sozialpädagogische Spardiskurs mit dem Ziel der volkswirtschaftlichen Vermögensbildung heute zwar in der Krise, ein durchschnittlicher Sparbetrag von 132 Euro zeuge laut Hoffmann allerdings vom Fortbestand der Sparmentalität im kollektiven österreichischen Bewusstsein.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 26.6.07
->   Sparefroh (Wikipedia)
->   Robert Hoffmann
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   1950 bis 1980: Das Goldene Zeitalter (11.6.04)
 
 
 
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01.01.2010