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Rauchen im Film: Zigarettenquote steigt  
  Je stärker Rauchen verpönt ist, desto öfter wird im Film gequalmt, so das Ergebnis einiger Studien. Die Filmwelt nimmt sich offenbar den Freiraum, der in der realen Welt immer mehr eingeschränkt wird.  
So lautet die Erklärung von Medizinethiker Kurt Schmidt für diese paradox anmutende Tendenz. Schmidt, der am Zentrum für Ethik in der Medizin am Frankfurter Markus-Krankenhaus tätig ist, hat zusammen mit der Deutschen Krebsgesellschaft eine Tagung zum Thema Rauchen im Film organisiert.
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Analyse von Kino und TV
Das Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel hat im Auftrag des deutschen Gesundheitsministeriums dieses Thema erforscht. Institutsleiter Reiner Hanewinkel und seine Mitarbeiter untersuchten in drei Einzelstudien das gesamte deutsche TV-Programm einer Woche des Jahres 2005, sie verglichen über 400 Kinofilme verschiedener Länder und analysierten 100 Folgen der Krimiserie "Ein Fall für zwei" von 1985 bis 2004.
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14,5 Zigaretten pro Film
Das Ergebnis: Im deutschen Kinofilm wie auch im Fernsehen wird häufiger geraucht als in amerikanischen und anderen europäischen Produktionen.

Ein deutscher Kinoheld greift im Laufe des Films durchschnittlich 14,5 Mal zur Zigarette, ein spanischer oder amerikanischer nur halb so oft. Die Langzeitanalyse des Krimiduos ergab, dass das Filmpersonal bis Mitte der 90er Jahre immer weniger rauchte, seither aber wieder vermehrt zur Kippe greift.
Filmwelt kontrastiert Realität
Die Universität von San Francisco kam 2007 zu einem ähnlichen Ergebnis: "Die Zahl der Raucher unter amerikanischen Erwachsenen hat sich zwischen 1950 und 2002 halbiert, während das Rauchen im US-Film 2002 ein historisches Hoch erreicht hat, höher als vor einem halben Jahrhundert", berichten Jonathan Polansky und Stanton Glantz.
"Permanente Verhaltensmanipulation"
Die Deutsche Krebsgesellschaft sieht das mit Sorge. "Das im Film dargestellte Rauchen hat das gleiche Potenzial auf den Start einer Raucherkarriere wie Freunde oder die Familie", sagt Volker Beck, Präventionskoordinator der Deutschen Krebsgesellschaft. "Millionen von Filmkonsumenten werden durch Hollywood einer permanenten Verhaltensmanipulation ausgesetzt."
"Dramaturgisch unverzichtbar"
Medizinethiker und Filmfan Schmidt, selbst Nichtraucher, ist ebenfalls der Meinung, "dass es aus erzieherischen Gründen besser wäre, wenn in Filmen nicht so viel geraucht würde". Er verstehe aber auch, dass Zigaretten, Zigarren und Pfeifen "aus dramaturgischen Gründen" unverzichtbar seien.

"Wenn man aus "Casablanca" alle Szenen mit Alkohol und Zigaretten entfernen würde, bliebe nichts übrig." Es gehe ja nicht um das Rauchen an sich, sondern darum, was damit ausgedrückt werde. Und das sei eine ganze Menge.

Am häufigsten dient Rauchen als Vehikel der Kontaktaufnahme. Eine Frau bittet einen Mann um Feuer, ein Mann hält schützend seine Hände um die Flamme - so fangen große Film-Liebesgeschichten an.

Die von Mund zu Mund weitergereichte Zigarette ist als Vorwegnahme künftiger Intimitäten unschlagbar. Zehn ausgetretene Kippen zu Füßen eines Mannes zeigen im Bruchteil einer Sekunde: Der steht schon lange hier. Und Kommissare wie Maigret gewinnen beim Pfeife-Stopfen Zeit auf der Suche nach dem Mörder.
Neo-Saubermänner: James Bond und Lucky Luke
Vielleicht ist das der Grund, dass im Film mehr Menschen rauchen als im Bevölkerungsdurchschnitt. 60 Prozent der männlichen und 30 Prozent der weiblichen Hauptdarsteller rauchen, zitiert die Krebsgesellschaft aus US-Studien.

Und es könnten noch mehr werden, fürchtet Beck, denn seit die Tabakindustrie nicht mehr im Reklameblock vor dem Hauptfilm werben dürfe, stehe zu befürchten, dass sie vermehrt auf bezahlte Produktplatzierung setze.

Trotz der gegenläufigen Tendenz zwischen lustvollem Qualmen im Film und Enthaltsamkeit im realen Leben gibt es auch Hoffnung: James Bond raucht und trinkt heute viel weniger als in früheren Filmen, und die Comic-Figur "Lucky Luke" hat heute keine selbst gedrehte Kippe mehr im Mund, sondern einen Strohhalm.

Sandra Trauner, dpa, 25.6.07
->   Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung
 
 
 
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01.01.2010