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Der Pendelschlag der Selektion  
  Was "gute Gene" sind, ist relativ: Erbfaktoren, die gut für Männchen sind, können schlecht für Weibchen sein - und umgekehrt. Das hat ein österreichisch-britisches Forscherteam durch Untersuchungen an Rothirschen herausgefunden.  
Offenbar wirkt die Selektion keineswegs so geradlinig, wie man annehmen könnte, berichtet ein Team um Katharina Foerster vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen.
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Sexually antagonistic genetic variation for fitness in red deer" von K. Foerster erschien in "Nature" (Bd. 447, S. 1107; doi: 10.1038/nature05912).
->   Abstract
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Zwei Geschlechter, zwei Lebensweisen
Die natürliche Auslese sollte eigentlich bewirken, dass die besten Individuen einer Art die meisten Nachkommen haben. Das muss aber nicht immer so sein. Obwohl beide Geschlechter die gleichen Gene besitzen, können sie sehr unterschiedlich aussehen, und ihre Lebensweisen haben oft nicht viel gemeinsam.

Es ist daher durchaus möglich, dass Erbanlagen, die ein perfekt angepasstes und erfolgreiches Männchen hervorbringen, nicht unbedingt auch ein perfekt angepasstes und erfolgreiches Weibchen garantieren.
Fitness mittels Stammbaum bestimmt
 
Bild: Loeske Kruuk

"Es gibt viele Faktoren die entscheiden, wie erfolgreich ein Rothirsch ist", sagt die österreichische Evolutionsbiologin Katharina Foerster. "Dazu gehören unter anderem das Ausmaß der mütterlichen Fürsorge, die Lebensumstände im Erwachsenenalter, oder der Konkurrenzdruck durch andere Hirsche." Und nicht zuletzt: die Gene.

Die haben Foerster und ihre britischen Kollegen nun bei Rothirschen untersucht. Im Konkreten analysierten sie den Stammbaum von Hirschen auf der schottischen Isle of Rum (Bild oben), der bis in die 70er Jahre zurückreicht und mehr als 3.500 Tiere umfasst. Im Stammbaum wurde die Anzahl der Nachkommen von jedem Tier penibel festgehalten - womit sich der individuelle Fortpflanzungserfolg bestimmen ließ.
Geschlechtseffekt: Gut ist schlecht - und vice versa
 
Bild: Katharina Förster

Das Ergebnis der Analyse: Männliche Rothirsche (Bild oben) mit vielen Nachkommen hatten weibliche Verwandte mit wenigen Nachkommen, während weniger erfolgreiche Männchen mit relativ erfolgreichen Weibchen verwandt waren. Die besten Platzhirsche bei der herbstlichen Brunft trugen also Gene in sich, die weniger vorteilhaft für Weibchen waren.

Die Töchter dieser Männchen pflanzten sich daher weniger gut fort. Diese ungleiche Verteilung des Fortpflanzungserfolges hatte weitreichende Folgen: Erbanlagen (die ja von Verwandten geteilt werden) wurden von der Selektion manchmal gefördert und manchmal benachteiligt.
Hin und Her im Reich der Selektion
Offenbar wirkt die Selektion nicht ganz so geradlinig, wie allgemein angenommen. Dieser Befund könnte ein Rätsel erklären, das Evolutionstheoretikern schon seit Jahren Kopfzerbrechen bereitet. Mathematischen Modellen zufolge sollte die Selektion die genetische Vielfalt in einer Population vermindern, doch Feldstudien zeigten bisher: Es gibt sehr wohl Gene, die einerseits unter starkem Selektionsdruck stehen und andererseits in vielen Varianten vorliegen.

Eine Begründung dafür könnte sein, dass die Selektion eben in einem Ping-Pong-Modus verläuft, wie er nun von Foerster bei Rothirschen nachgewiesen wurde. Eigentlich spricht nichts dagegen, dass das selektive Hin und Her weit verbreitet ist - zwei Geschlechter gibt es schließlich bei den allermeisten Tierarten.

[science.ORF.at, 28.6.07]
->   Max-Planck-Institut für Ornithologie
->   Selektion - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Soziobiologie: Cousin ist nicht gleich Cousin
->   Selektion: Individuum oder Gruppe?
->   Wozu Sex gut ist
 
 
 
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01.01.2010