News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Flüssiges Werkzeug: Orang-Utans in Erfinderlaune  
  Dass Menschenaffen ein gewisses Maß an Erfindungsgabe besitzen und etwa mit Ästen nach Termiten angeln, ist bekannt. Deutsche Forscher haben nun herausgefunden, dass Orang-Utans sogar Wasser als Werkzeug einsetzen.  
Das weist darauf hin, dass sie selbst bei relativ abstrakten Problemen gezielt nach Lösungen suchen, berichtet ein Team um Natascha Mendes vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie.
...
"Raising the level: orangutans use water as a tool" von Natacha Mendes et al. erscheint demnächst in den "Biology Letters" (doi: 10.1098/rsbl.2007.0198).
->   Biology Letters
...
Das Bananenproblem
Was macht ein Werkzeug zu einem Werkzeug? Nicht die Form, auch nicht das Material, sondern der Zweck. Das zeigt ein klassischer Versuch, den der deutsche Zoologe Wolfgang Köhler im Jahr 1914 mit Schimpansen machte: Er hing einige Bananen an der Decke eines Zimmers auf, so hoch, dass die Versuchstiere die Früchte nicht erreichen konnten. Im selben Raum befanden sich auch einige Holzkisten - sonst nichts.

Zunächst versuchten die Tiere mit Sprüngen an das Ziel zu kommen. Vergeblich. Ein Schimpanse namens Sultan fand schließlich die Lösung: "Er geht unruhig im Raum umher, bleibt plötzlich vor der Kiste stehen, ergreift sie, kantet sie hastig in gerader Linie auf das Ziel zu, steigt aber schon hinauf, als sie noch etwa einen halben Meter (horizontal) entfernt ist, und reißt, sofort mit aller Kraft springend, das Ziel herunter", notierte Köhler damals.

Später hing Köhler die Bananen so hoch, dass die begehrten Früchte allein dann erreicht werden konnten, wenn man mehrere Holzkisten übereinander stapelte. Interessanter Weise bereitete dieser Schritt den Tieren größte Schwierigkeiten. Erst dem Schimpansenweibchen Grande gelang der technologische Durchbruch. Nach vielen vergeblichen Versuchen baute sie einen ausreichend hohen, stabilen Turm und löste das Bananenproblem.
Experiment mit Wasser und Erdnuss
Köhler schloss daraus, dass die Schimpansen zumindest im ersten, einfacheren Experiment nicht nur durch Zufall auf die richtige Lösung gestoßen seien. Sie hätten vielmehr "einsichtiges Verhalten von der Art des beim Menschen bekannten" bewiesen.

Eine interessante Variante dieses Experiments haben nun deutsche Verhaltensforscher vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie entwickelt. Sie präsentierten Orang-Utans ein Plexiglasgefäß, das zu einem Viertel mit Wasser gefüllt war.

Auf der Wasseroberfläche schwamm eine Erdnuss, allerdings zunächst unerreichbar, denn das Gefäß war mit fünf Zentimetern Durchmesser und 26 Zentimetern Höhe gerade so bemessen, dass selbst die langen Finger der Menschenaffen nichts ausrichten konnten. Ausschütten war auch nicht möglich, daher war eine kreative Lösung gefragt.
Der Trick mit dem Wasserspiegel
Die Orang-Utans fanden sie: Sie begaben sich zu einem in der Nähe stehenden Wasserspender, nahmen einen Mund voll und spuckten das Wasser in das Gefäß. So lange, bis sie die Nuss mit den Fingern erreichen konnten. Die deutschen Verhaltensforscher werten auch das als einsichtiges Verhalten - unter anderem deswegen, weil der Sinnzusammenhang "Wasserspender - Wasserspiegel - Erdnuss" keineswegs vorgegeben wurde.

Die Wasserquelle war in machen Varianten des Versuchs nicht einmal im selben Raum, und trotzdem fanden die Tiere die richtige Lösung. Das Experiment bietet indes auch einen interessanten historischen Anknüpfungspunkt. Der griechische Dichter Äsop berichtete nämlich bereits vor mehr als zweieinhalb tausend Jahren von einer ganz ähnlichen Begebenheit.

In der "Fabel von der durstigen Krähe" schrieb er: "Eine durstige Krähe fand einen Wasserkrug; doch war nur so wenig Wasser darin, dass sie es mit ihrem Schnabel nicht zu erreichen vermochte. Sie versuchte, den Krug umzuwerfen; aber dazu war sie zu schwach. Da suchte sie nach einer List, wie sie es dahin brächte, dass sie dennoch aus dem Kruge trinken möchte. Zuletzt nahm sie kleine Steinchen und warf deren so viele in den Krug, dass das Wasser immer höher emporstieg, bis sie es endlich erreichen und ihren Durst löschen konnte."
Fabel mit Wahrheitsgehalt?
Dass eine Krähe in Äsops Erzählung die Hauptrolle spielt, mag kein Zufall sein. Krähenvögel sind neben den großen Menschenaffen die einzigen Lebewesen, die laufend neue Zwecke für Gegenstände erfinden und das offenbar mit einem gewissen Maß an Einsicht tun. Ob sie auch eine Flüssigkeit als Werkzeug verwenden würden, wurde allerdings noch nicht überprüft.

Robert Czepel, science.ORF.at, 4.7.07
->   Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie
->   Werkzeuggebrauch bei Tieren - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Schimpansen-Steinzeit ist 4.300 Jahr alt
->   Wilde Gorillas verwenden Werkzeuge
->   Delfine verwenden Werkzeuge bei der Futtersuche
->   Krähen vererben Fähigkeit zur Werkzeug-Nutzung
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010