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Fremdsprache: Muttersprache denkt mit  
  Wer längere Zeit im Ausland verbringt, kennt das Gefühl: Man glaubt, nicht nur in der Zweitsprache reden, sondern auch denken zu können - und ganz ohne die eigene Muttersprache auszukommen. Forscher zeigen aber nun, dass Menschen, die mit mehr als zwölf Jahren eine Fremdsprache erlernt haben, Begriffe unbewusst zurück in ihre Muttersprache übersetzen.  
Guillaume Thierry und Yan Jing Wu von der Universität von Wales in Bangor haben dies belegt, indem sie die Gehirnaktivität von in Großbritannien studierenden Chinesen beim Lösen einfacher Aufgaben gemessen haben.
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"Brain potentials reveal unconscious translation during foreign-language comprehension" von Guillaume Thierry und Yan Jing Wu ist in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (DOI: 10.1073/pnas.0609927104) erschienen.
->   Zur Studie (sobald online):
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Test mit Chinesisch-Englisch-Bilingualen
Die Forscher wählten jeweils dreißig englische Muttersprachler und dreißig Chinesen aus, die in Großbritannien studierten und fließend Englisch sprachen. Die Probanden bekamen englische Wortpaare vorgesetzt und mussten entscheiden, ob die Begriffe zusammenhängen.

Gleichzeitig maßen die Forscher die Hirnaktivität der Testpersonen, genau genommen die ereigniskorrelierten Potenziale (ERP), mit der man kognitive Prozesse im Gehirn, wie zum Beispiel Sprachverarbeitung, untersuchen kann

Der Trick: Die Hälfte der Wortpaare waren sich auf Mandarin-Chinesisch sehr ähnlich, auch wenn sie auf Englisch nicht zusammen hingen. Zum Beispiel haben die Wörter "Zug" und "Schinken" nichts miteinander zu tun, doch auf Chinesisch lauten sie "Huo Che" und "Huo Tui"; das erste Schriftzeichen ist identisch.
Unbewusst übersetzt
Die bilingualen Chinesen unterschieden sich in der Antwortgeschwindigkeit und der Fehlerquote kaum von den Muttersprachlern, doch die ERPs zeigten: Bei den Wortpaaren, die sich im Chinesischen ähnelten, ließ sich eine Hirnaktivität messen, die bei den Einheimischen nicht auftrat. Die Ähnlichkeit der Wortpaare wurde also vom Gehirn registriert.

Thierry und Wu schließen daraus, dass die Bilingualen die Wörter in ihre Muttersprache übersetzten. Sie waren sich dessen aber nicht bewusst, nach dem Test gaben sie an, gar nicht daran gedacht zu haben, dass die Wörter auf Chinesisch in einem Schriftzeichen übereinstimmten.
"Muttersprache automatisch aktiviert"
"Der Zugang des Gehirns zur Bedeutung eines Wortes in der Zweitsprache mag vielleicht direkt sein, trotzdem wird auch der Wortschatz der Muttersprache automatisch aktiviert", erklären die Wissenschaftler.

Als nächstes wollen die Forscher untersuchen, ob der Effekt auch in umgekehrter Richtung auftritt, ob also die Zweitsprache einen Einfluss auf die Muttersprache haben kann.

[science.ORF.at, 10.7.07]
->   University of Wales in Bangor
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01.01.2010