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Wiener Genforscher erstellen "Fliegenkatalog"  
  Die Fruchtfliege gilt als einer der wichtigsten Modellorganismen der Biologie. Seit über sieben Jahren ist ihr Erbgut entschlüsselt. Damit die Funktion der einzelnen Gene in Zukunft noch besser geklärt werden kann, hat ein Wiener Forscherteam nun einen "lebenden Katalog" vorgestellt. Sein Inhalt: 22.000 gentechnisch veränderte Fliegenstämme, bei denen gezielt jeweils ein Gen ausgeschaltet werden kann.  
Dies berichten Barry Dickson vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) und seine Kollegen in einer aktuellen Studie.
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Die Studie "A genome-wide transgenic RNAi library for conditional gene inactivation in Drosophila" ist in "Nature" (Bd. 448, S. 151; 12.7.07) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Abwehrmechanismus der Zelle genutzt
Das 14-köpfige Forscherteam vom IMP und vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien hat sich dabei der so genannten RNA-Interferenz (RNAi) bedient, einem natürlichen Abwehr- und Steuerungsmechanismus der Zelle.

RNA (Ribonucleinsäuren) ist in der Zelle normalerweise in Form von Einzelsträngen unterwegs. Bei doppelsträngiger RNA ist der Verdacht groß, dass es sich um eine Virenattacke handeln könnte und die Abwehrmaschinerie der Zelle springt an.

Mittels eines so genannten Dicers wird die fragliche RNA zerhackt, die Bruchstücke bilden gemeinsam mit bestimmten Proteinen einen Mechanismus, der alle Gensequenzen lahm legt, welche der ursprünglich entdeckten RNA oder Teilen davon entsprechen. Die still gelegten Sequenzen werden in Folge nicht mehr abgelesen.
->   RNA-Interferenz
22.000 Fliegenstämme hergestellt
Bild: IMP/ Lukas Beck
Geord Dietzl bei der Arbeit
Der Mechanismus lässt sich seit einigen Jahren auch zu wissenschaftlichen Zwecken anwenden, um einzelne Gene gezielt auszuschalten, erklärte Geord Dietzl vom IMP.

Nachdem das Genom der Fruchtfliegen (Drosophila) bereits bekannt ist, sind die IMP-Forscher daran gegangen, für jedes Gen auf der Fliegen-Erbsubstanz eine Art Ausschalt-Variante in Form einer eigenen genetischen Linie zu erzeugen.

Mittlerweile sind 88 Prozent der rund 15.000 Drosophila-Gene abgedeckt. Da es von einigen Genen mehrere Varianten in den Wiener Labors gibt, kommt man auf die Zahl von 22.270.
Suche nach Funktionen der Gene
 
Bild: Jürgen Berger/ Ralf Dahm

Gefärbte Aufnahme zweier Fruchtfliegen: rechts eine normale, links eine Mutante, bei der ein Gen zur Bildung der Sehorgane defekt ist. Das Bild wurde beim Fotowettbewerb
"Bilder der Forschung 2005" der Max-Planck-Gesellschaft ausgezeichnet.


Die gentechnisch veränderten Tiere sind an sich völlig unauffällig. Erst wenn man sie mit Artgenossen kreuzt, die einen so genannten Induzierer - ebenfalls eine gentechnische Veränderung - in sich tragen, wird der Mechanismus aktiviert und das gewünschte Gen stillgelegt.

Dabei lässt sich über den Induzierer auch steuern, in welchen Organen und Geweben die RNAi aktiviert wird. So können Wissenschaftler nun Schritt für Schritt ausloten, welche Funktionen jedes Gen der Fruchtfliege hat.
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Modellorganismus der Genforschung
Dabei geht es bei weitem nicht nur um Insektenforschung. Drosophila gilt als so genannter Modellorganismus der Genforschung, an dem auch grundlegende Mechanismen der Genetik erforscht werden. Am 19. Februar 2000 wurde von Forschern der Universität Berkeley die vollständige Sequenzierung des Erbguts der Fruchtfliege mit rund 15.000 Genen und 160 Millionen Basenpaaren bekanntgegeben.
->   Drosophila: Kleine Geschichte der Laborzoologie
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Acht Aufseher für die Labortierchen
Abgesehen von der wissenschaftlichen Leistung ist alleine die Fliegen-Haltung am IMP mittlerweile eine Herausforderung.

Acht Personen sind nur mit der Tierpflege betraut. Fruchtfliegen werden auf speziellen Nährböden gehalten, in welchen sie ihre Eier ablegen und in denen die Larven leben.

Alle paar Tage müssen die Fliegen auf neue Nährböden umgesetzt werden - und das wenigstens 22.270 Mal.

[science.ORF.at/APA, 11.7.07]
->   Drosophila (Wikipedia)
->   Institut für Molekulare Pathologie
->   IMBA
Mehr zu den IMP-Forschungen in science.ORF.at:
->   Wiener Genetiker: Fliegen-Sex sehr einfach gestrickt (28.3.07)
->   Fliegen-Genetik: Sex und Aggression sehr ähnlich (20.11.06)
->   Ein Gen kontrolliert Sex-Verhalten von Fliegen (2.6.05)
 
 
 
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01.01.2010