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Studie: Menschen können Erinnerungen unterdrücken  
  Mit etwas Training können Menschen unangenehme Erinnerungen unterdrücken. Durch ein komplexes Wechselspiel zwischen einem Teil der Großhirnrinde und anderen Regionen im Gehirn ist es bei Konzentration möglich, unangenehme Eindrücke nicht abzurufen, behaupten US-Wissenschaftler. Sie betonen aber, damit kein Rezept zum einfachen Vergessen entwickelt zu haben.  
Den Mechanismus überprüfte die Forschergruppe vom Institut für Psychologie der Universität von Colorado in Boulder (USA), indem sie die Gehirnaktivität von Testpersonen während eines Experiments mittels Magnetresonanz-Tomographen (fMRI) beobachtete.
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Die Studie "Prefrontal Regions Orchestrate Suppression of Emotional Memories via a Two-Phase Process" von Brendan Depue ist am 13. Juli 2007 in "Science" (Bd. 317, S. 215, DOI: 10.1126/science.1139560) erschienen.
->   Science
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Neutrales und unangenehmes Bild präsentiert
Zusammen mit seinen Kollegen hatte Depue den Versuchspersonen in der Lernphase 40 Bildpaare präsentiert. Das erste zeigte ein neutrales menschliches Porträt, das zweite ein unangenehmes Motiv. Zu sehen waren unter anderem ein Unfall, ein elektrischer Stuhl, der Ort eines Verbrechens oder ein verletzter Soldat.
Karten von Gehirnaktivität angefertigt
In der zweiten Phase des Experimentes wurde den Probanden jeweils nur das angenehme, menschliche Gesicht gezeigt. Daraufhin sollten sie versuchen, sich an das zugehörige, verstörende Motiv zu erinnern - oder diese Erinnerung zu unterdrücken. Währenddessen blickten die Forscher den Probanden mit der funktionellen Magnetresonanz-Tomographie ins Hirn. Die dabei entstehenden Karten zeigen, welche Regionen des Hirns bei der jeweiligen Aufgabe aktiv sind (siehe Bild oben).
Hilfe bei Traumata und Phobien?
Die Resultate zeigten, dass die Erinnerung in einigen Fällen tatsächlich aktiv unterdrückt wurde und dieser Vorgang unter der Kontrolle der vorderen Hirnrinde stehe, heißt es in "Science". Die Ergebnisse könnten vielleicht dazu beitragen, Patienten mit traumatischen Erinnerungen und Phobien zu helfen.
Gehirnaktivität im Detail
 
Bild: Science

Der präfrontale Cortex - ein Teil der Großhirnrinde - beeinflusste andere Regionen im Hirn. Davon betroffen war zunächst ein Gebiet, dass mit der Verarbeitung von Sinneseindrücken beim Erinnern zusammenhängt, erklärt Depue. Im zweiten Schritt unterdrücke ein weiterer Teil des präfrontalen Cortex auch die Aktivität zweier weiterer Hirnregionen: Die erste von ihnen ist am Erinnern beteiligt, die zweite stützt Emotionen, die mit einer Erinnerung verbunden sind.

Bild oben: In Reihe A leuchten Bereiche im Gehirn auf, die zur Kontrolle des Verhaltens eines Menschen gebraucht werden, in Reihe B sind Regionen aktiv, die beim bildlichen Erinnern angesprochen werden. Genau diese blauen Flecken waren bei der Aufgabe, die Erinnerung zu verdrängen, nicht zu sehen. Reihe C hebt Hirnareale hervor, die beim Abspeichern und Aufrufen von Erinnerungen aktiv werden. Auch sie leuchteten beim bewussten Vergessen nicht auf.
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Gehirnaktivität im Detail
Der präfrontale Cortex - ein Teil der Großhirnrinde - beeinflusste andere Regionen im Hirn. Davon betroffen war zunächst ein Gebiet, dass mit der Verarbeitung von Sinneseindrücken beim Erinnern zusammenhängt, erklärt Depue. Im zweiten Schritt unterdrücke ein weiterer Teil des präfrontalen Cortex auch die Aktivität zweier weiterer Hirnregionen: Die erste von ihnen ist am Erinnern beteiligt, die zweite stützt Emotionen, die mit einer Erinnerung verbunden sind.
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Hilfe bei Traumata und Phobien?
Die Resultate zeigten, dass die Erinnerung in einigen Fällen tatsächlich aktiv unterdrückt wurde und dieser Vorgang unter der Kontrolle der vorderen Hirnrinde stehe, heißt es in "Science". Die Ergebnisse könnten vielleicht dazu beitragen, Patienten mit traumatischen Erinnerungen und Phobien zu helfen.
Kein Rezept für zu Hause
Die Untersuchung liefert dem Laien allerdings kein Rezept dafür, wie er zu Hause - etwa durch Konzentration oder andere Techniken - gezielt vergessen kann, um zum Beispiel eine Trennung oder andere schlimme Ereignisse auszulöschen.

Die Studie zeige aber, dass die Probanden "eine gewisse Kontrolle über ihre emotionalen Erinnerungen haben", erklärt Depue in einer Mitteilung seiner Universität. "Indem sie einige Bereiche ihres Hirns zumachen, konnten sie den Empfang einiger Erinnerungen stoppen."
Spekulationen über Ursprung
Depue spekuliert auch über den Ursprung dieser Fähigkeit und wählt als Beispiel einen steinzeitlichen Jäger, der bei seiner Hatz auf eine Antilope seinerseits nur knapp einem Löwen entkam. "Wenn der Jäger von seinen Erinnerungen derart mitgenommen wäre, dass er nicht mehr jagen konnte, wäre er verhungert."

Psychologen streiten seit rund 100 Jahren darüber, ob der Mensch die Fähigkeit, "bewusst" zu vergessen, besitzt oder nicht. Während einige Kollegen bereits erste Hinweise darauf geliefert hätten, gelte anderen Experten die Unterdrückung von Erinnerungen als "klinischer Mythos", schreibt Depue.

[science.ORF.at/APA/dpa, 12.7.07]
->   Institute of Cognitive Science (Univ. Colorado)
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01.01.2010