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Achtsamer Umgang mit Wort Globalisierung gefragt  
  Einen achtsamen Umgang mit dem Wort Globalisierung wünscht sich der österreichische Sozial- und Kulturanthropologe Andre Gingrich. Denn dem häufigen Missverständnis von einem einheitlichen Prozess stehe gegenüber, "dass in verschiedenen Teilen und Situationen der Welt auf ganz verschiedene Weise mit Globalisierung umgegangen wird - und diese sehr unterschiedlich wirkt".  
Das ist ein Befund des heuer abgeschlossenen sechsjährigen Wittgenstein-Projekts zum Thema "Lokale Identitäten und überlokale Einflüsse", so sein Initiator gegenüber der APA. Der Abschlussbericht samt Abrechnung ging jüngst an den Wissenschaftsfonds FWF.
Auswirkungen auf "Lokalkulturen"
Von den Burjat-Mongolen über tibetisch sprechende Buddhisten in Nordindien und dem Wüstenvolk der Tuareg bis hin zu postkommunistischen Gesellschaften - die Gruppe mehrheitlich junger Nachwuchsforscher um Projektleiter Gingrich konzentrierte sich bei ihren Studien auf "Lokalkulturen" aus Nahost, Tibet sowie Zentral-und Osteuropa.

Bei ihrem Umgang mit der Globalisierung erhoben die Wissenschaftler Verhalten zwischen vollkommener Abschottung bis hin zum kompletten Aufgehen im "Neuen". Manche Kulturen setzt die Globalisierung so stark unter Druck, dass sie gefährdet sind unterzugehen - "das ist schon eine Seite der Medaille, aber es gibt noch viele andere Seiten", so der Professor für Sozial- und Kulturanthropologie der Universität Wien.
Abschottung versus wirtschaftliche Pluralisierung
Im arabischsprachigen islamischen Raum orteten die Forscher etwa "ein zunehmendes Auseinanderklaffen": Tendenzen, angesichts der Globalisierung vor allem in religiös-ideologischer Hinsicht das Eigene sehr zu betonen, würden stärker. Demgegenüber steht laut Gingrich die Entwicklung hin zur wirtschaftlichen Pluralisierung.

Dieser Gegensatz sei in dieser Region - trotz aller Heterogenität der Länder - etwa viel stärker ausgeprägt als im buddhistischen Zentralasien.
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Anwendung: Handbuch zur Globalisierung
Aufbauend auf die Ergebnisse des Wittgenstein-Projekts "Lokale Identitäten und überlokale Einflüsse" wollen die Forscher um Andre Gingrich in einem dreibändigen Handbuch zur Globalisierung Praktikern ein Nachschlagewerk an die Hand geben. Das Manuskript wird im Winter beim Verlag abgegeben, berichtete der Anthropologe.
->   Forschungsstelle Sozialanthropologie
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Beispiel Tuareg
Ein gutes Beispiel dafür, wie sich "eine scheinbar archaische Minderheit nicht nur behauptet, sondern letztlich einen Aufstieg durchläuft", sieht Gingrich in den Tuareg. Sorge der EU über stärkere illegale Migration habe zu Abkommen mit Ländern wie Libyen und Algerien geführt, die diese Länder verstärkt ihre eigenen Südgrenzen schützen lassen.

Das Nomadenvolk der Sahara wisse, diese Grenzen zu nutzen. Sei es als Makler mit guten Kontakten zu beiden Seiten, die kleinen Grenzverkehr organisieren oder sich im Tourismus engagieren, oder auch "im weniger legalen Bereich" tätig werden.
Negativ: Nationalismus
Ein negatives Beispiel für Selbstbehauptung ist etwa die Tendenz zum Nationalismus. Das Problem ist dem Wissenschaftler zufolge innerhalb der EU und an ihren Rändern in den vergangenen zehn Jahren nicht schwächer geworden. In Armenien und den Staaten des ehemaligen Jugoslawien erkannte sein Team ähnliche Entwicklungen.

Der starke westliche Einfluss in Richtung Menschenrechte, Demokratisierung und Ausrichtung auf den globalen Markt wird dabei nicht nur als positive Einwirkung empfunden, sondern als "ungehörige Einmischung". Eine zunehmende Liberalisierung könne auch zu negativen Wirkungen wie etwa Organhandel, Verschleppung und Prostitution führen. Als Gegenreaktion sei beispielsweise eine starke Traditionalisierung von Familie zu erkennen.
Konstruktive Gegenentwicklung schwierig
"Man glaubt, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder man gibt dem globalen Druck nach und lässt sich mit allen negativen Konsequenzen auf alles ein, was Europa oder auch die USA auferlegen, oder man schottet sich in Form von Traditionalisierung ab", so Gingrich. Es sei schwer, im heutigen Armenien und Serbien aus dieser Pattsituation heraus eine konstruktive Gegenentwicklung zu finden.

[science.ORF.at/APA, 13.7.07]
->   Mehr zum Stichwort Globalisierung im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010