News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Alkohol kann Aggression reduzieren  
  Alkohol macht aggressiv - aber nicht immer. Wer durch andere Aufgaben abgelenkt wird, während er sich betrinkt, ist sogar weniger streitlustig als im nüchternen Zustand, berichten US-amerikanische Wissenschaftler.  
Dass der Weingeist die Streitlust steigert, ist nicht nur eine weit verbreitete Annahme, sondern wurde auch schon von empirischer Forschung untermauert: Bei etwa 50 Prozent aller Gewaltverbrechen ist Alkohol im Spiel.
Weniger Aufmerksamkeit im Suff
Warum das so ist, wollte die Wissenschaft auch schon beantworten. Eine gängige Theorie besagt, dass Alkohol jenen Teil des Gehirns beeinträchtigt, der die begrenzten Ressourcen unserer Aufmerksamkeit verwaltet. Dann fehlt der nötige "Arbeitsspeicher", um alle Reize zu registrieren und richtig zu gewichten.

Wer betrunken ist, bekommt nicht mehr alles in der Umgebung mit, darum konzentriert er sich auf die Reize, die herausstechen und provozieren. Reize, die die Situation entschärfen könnten, fallen dabei unter den Tisch - wenn einer "blöd schaut", bringt der Versuch zu kalmieren nicht mehr viel. Gerade Männer können sich so schnell ein blaues Auge holen.

Peter Giancola und Michelle Corman von der University of Kentucky haben diese Theorie nun mit einem Experiment überprüft.
...
Die Studie "Alcohol and Aggression: A Test of the Attention-Allocation Model" von Peter R. Giancola und Michelle D. Corman ist in der Zeitschrift "Psychological Science" (Bd. 18, S. 649 - 655; Juli 2007; doi: 10.1111/j.1467-9280.2007.01953.x) erschienen.
->   Zum Abstract
...
Elektroschocks und Wodka Orange
Die Psychologen luden 170 junge Männer aus Kentucky in ihr Labor ein und spendierten ihnen dort drei bis vier "Screwdriver", bei uns besser bekannt unter dem Namen Wodka Orange. Die Mitglieder der Placebo-Gruppe bekamen nur Orangensaft (zur Täuschung wurde der Glasrand kurz vor dem Servieren mit Ethanol besprüht).

Dann mussten die Männer in einem Spiel gegen einander antreten, bei dem sie möglichst schnell auf einen Knopf drücken mussten. Wenn sie gewannen, durften sie ihrem Gegner einen Elektroschock verpassen. Dabei konnten sie die Intensität des Schocks selber bestimmen - so wurde gemessen, wie aggressiv die Teilnehmer gerade waren.
Zusätzlicher Auftrag lenkt ab
Ein Teil der Probanden bekam noch einen zusätzlichen Auftrag. Sie mussten gleichzeitig eine kleine Gedächtnisübung absolvieren, die sie von ihrer eigentlichen Aufgabe - dem Verteilen von Elektroschocks - ablenken sollte. Dem Gewinner dieses anderen Spiels wurden 30 Dollar zusätzlich zum Honorar versprochen.

Die Forscher wollten damit herausfinden, ob sie die betrunkenen Männer mit dieser Extra-Aufgabe so stark ablenken könnten, dass sie sich nicht mehr auf die Elektroschocks konzentrierten - und darum weniger aggressiv würden.

Nach der beschriebenen Theorie müsste die Aussicht auf das schnelle Geld dafür sorgen, dass die Männer die anderen Reize, die aggressiv machen, nicht mehr richtig registrieren.
Alkohol macht nicht immer aggressiv
Genau so geschah es auch. Wie erwartet verteilten die Trinker, die nicht abgelenkt waren, die stärksten Elektroschocks. Doch die Betrunkenen, die gleichzeitig die Gedächtnisübung machten, verhielten sich sogar weniger aggressiv als die Mitglieder der Kontrollgruppe, die vollkommen nüchtern waren.

Alkohol macht also keineswegs immer aggressiv. Es kommt nur darauf an, worauf die beschränkte Aufmerksamkeit gerichtet wird. Um Raufhändel zu vermeiden, könnten Bingo-Abende also mehr ausrichten als jeder Türsteher.

[science.ORF.at, 20.7.07]
->   Webseite von Peter Giancola
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Aggression bedingt Mehrzahl der Verkehrsunfälle (25.4.07)
->   Alkoholiker verpassen häufig die Pointe (23.2.07)
->   Studie: Wie Rauchen Alkoholkonsum fördert (25.7.06)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010