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Kriminelle und die DNA: Das "Geschäft" wird härter  
  Jeder Kriminelle muss sich davor fürchten, DNA-Spuren zu hinterlassen - oder doch nicht? Die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack hat Häftlinge befragt, was sie über DNA wissen. Im Gespräch mit science.ORF.at erklärt sie, dass Kriminelle ihre Informationen hauptsächlich aus Fernsehserien wie "CSI" und "Tatort" beziehen, warum sich Häftlinge gegenseitig mit DNA-Spuren drohen und warum Verbrechensbekämpfung letztlich ein primär moralisches und nicht technologisches Feld ist.  
Bild: Chris Dematté
Barbara Prainsack
science.ORF.at: In Fernsehserien wird immer wieder der molekularbiologisch geschulte Täter vorgeführt, der beinahe keine Spuren hinterlässt, weil er schon weiß, wie die Ermittler arbeiten. Gibt es diesen Täter wirklich?

Barbara Prainsack: "Den Täter" kennt man in der Forensik nicht - und ich sage bewusst "der Täter", weil es zumeist Männer sind, die in solche Verbrechen involviert sind. Es hängt vom Fall ab. Auf viele Mörder trifft das nicht zu. Morde passieren häufig im Affekt, da macht sich der Täter vorher keine Gedanken über mögliche DNA-Spuren. Sehr häufig sind das auch Taten im Zustand der Berauschung, wo Menschen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss die Urteilskraft verloren haben. Ein Interview-Partner hat gesagt, dass auch die meisten "Berufsmörder" sich über Datenbanken keine Gedanken machen, weil sie in Österreich nicht erfasst sind und aus dem Ausland "anreisen" - oder weil sie die Leiche verschwinden lassen.
Wie ist das bei anderen Tätern, beispielsweise Einbrechern?

Auch da muss man unterscheiden zwischen berauschten Tätern, die, zumeist aus einer Suchtgiftproblematik, der Beschaffungskriminalität zuzuordnen sind und sich keine Gedanken über Spuren machen, und habituellen Einbrechern, die natürlich schon über geeignete Einbruchsobjekte und über die Spurenvermeidung nachdenken. Einige haben in Interviews gesagt, dass "das Geschäft immer schwieriger wird und es sich kaum mehr auszahlt" - weil es nahezu unmöglich ist, keine DNA-Spuren zu hinterlassen.
Woher beziehen Kriminelle ihr Wissen über DNA-Analysen?

Ganz stark aus dem Fernsehen, hier insbesondere aus den Serien "CSI" und "Tatort", sowie aus dem Gefängnis. In den Strafanstalten wird informell praktisches Wissen zwischen Häftlingen weitergegeben, wissenschaftliche Hintergrundkenntnisse sind bei Kriminellen generell gering. Die wirklichen ¿DNA-Experten¿ sind jene, die aufgrund von DNA-Spuren verurteilt wurden und jetzt im Gefängnis recherchieren, wie das passieren konnte und wie sie sich gegen ihre Verurteilung wehren können.
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Das Projekt
Die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack hat bisher 26 zu mindestens 18 Monaten Haft verurteilte Delinquenten in Gefängnissen interviewt. In halbstrukturierten Tiefeninterviews hat sie gemeinsam mit dem forensischen Psychologen Martin Kitzberger das Wissen und die Einstellung der Kriminellen zu DNA-Analysen erforscht. Zusätzlich wurden Polizisten und Mitarbeiter des Erkennungsdiensts befragt. Dieser Aspekt ist Teil des Projekts "Genes Without Borders", das vom Genomforschungsprogramm GEN-AU gefördert wird.
->   Informationen zu "Genes Without Borders"
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In Polizeijournalen wird die DNA-Analyse als Anbruch eines neuen Ermittlungszeitalters gefeiert. Ist das auch die Wahrnehmung von Kriminellen?

Für die Täter hat sich nicht wahnsinnig viel verändert, bis auf das, dass "das Geschäft schwieriger wird". Serientäter lassen sich nicht davon abschrecken, dass sie erwischt werden können. Mit dem Risiko haben sie schon früher gelebt. Bei Gelegenheitstätern sieht es teilweise anders aus, sie lassen sich vom diffusen Bedrohungsbild DNA noch am ehesten abschrecken.
Wie sieht die Polizei die neuen Ermittlungsmethoden?

Große Datenmengen computerunterstützt vernetzen zu können, hat für die Polizei sehr viel verändert. Man muss aber auch sagen: Das Bild vom gläsernen Menschen und der allwissenden Polizei wurde in meiner Forschung nicht bestätigt. Meiner Erfahrung nach wird mit den Daten sorgsam umgegangen. In den forensischen Datenbanken wird auch nicht generell genetische Information gespeichert, sondern nur Merkmale von bestimmten Stellen eines Chromosoms. Daraus kann man keine gesundheitsrelevanten Informationen gewinnen, wie oft befürchtet wird.
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Durch DNA zur Unschuld
DNA-Analyse kann nicht nur zur Überführung eines Täters führen, sondern auch unschuldig Verurteilten zur Freilassung verhelfen. Weltweit gibt es bereits mehrere "Innocence Project"-Initiativen, an die sich - ihrer Meinung nach schuldlos - einsitzende Menschen wenden können. In vielen Fällen waren die "Innocence Project"-Mitarbeiter bereits erfolgreich.
->   "Innocence Project" (USA)
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Welches Bild haben die Opfer von den Möglichkeiten der DNA-Analyse?

In der Öffentlichkeit gibt es eine sehr eigenartige Auffassung von Ermittlungsarbeit: Sie ist umso besser, je mehr Technologie eingesetzt wird - wie im Fernsehen. Dort führt jede Spur zum Erfolg. Manche Leute üben an Tatorten großen Druck auf die Polizisten aus, dass sie mit dem gesamten technologischen Reservoir ermitteln müssen, egal ob es sinnvoll ist oder nicht.
Welche Bedeutung hat die DNA-Datenbank für die Delinquenten?

Sie wissen, dass ihr DNA-Profil in der Datenbank gespeichert ist und man sie bei einem nochmaligen Verbrechen damit überführen kann. Aber: Alle bis auf zwei Delinquenten in der Studie befürworten die DNA-Datenbank. Einer hat das so begründet: "Damit man die Schwerverbrecher, die Mörder und Kinderschänder, erwischt - aber für uns kleine Einbrecher ist das schon ein bissl hart." Viele haben aber auch Ängste vor Missbrauch geäußert. Sie befürchten, dass ihnen mit ihren gespeicherten DNA-Profilen ein Verbrechen angehängt werden könnte. Sogar untereinander drohen einander Häftlinge, indem sie etwa sagen: "Pass auf deine Haarbürste auf!"
Aus dem Blickwinkel der Menschenrechte: Müsste man Menschen in Verhörsituationen über die Aussagekraft von DNA-Spuren besser aufklären, damit sie ihre Rechte wahren können?

Das ist ein Dilemma. Ich würde einerseits zustimmen, aber: Man kann nicht aufklären, ohne preiszugeben. Und ich glaube, die Nachteile würden die Vorteile überwiegen. Wenn ich wirklich etwas über DNA wissen möchte, kann ich es mir aus dem Internet holen.
Können Anwälte mit dem neuen Wissen umgehen?

Die Situation in den USA ist ganz anders als in Österreich. Hier gibt es nicht so eine Industrie wie in den USA. O.J. Simpson wurde freigesprochen, obwohl die DNA-Spuren ein Treffer waren. Da hat es die Verteidigung geschafft, die moralische Integrität und Berufsethik der Ermittler so sehr in Frage zu stellen, dass im Strafverfahren trotz recht klarer Beweislage gegen Simpson ein Freispruch heraus gekommen ist. Die moralische Geschichte hat das wissenschaftliche Argument sozusagen überlagert. Das darf man nie vergessen: Verbrechensaufklärung und -bekämpfung ist nicht nur ein technologisches, sondern auch ein moralisches Feld. Über "Kriminell oder nicht-kriminell" entscheidet nicht in erster Linie die Technologie, sondern die moralische Schwere des Vergehens.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 20.7.07
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Kongress in Wien
Zwischen 21. und 25. Juli 2007 findet in Wien eine internationale Konferenz zu "Intelligent Systems for Molecular Biology" und "Computational Biology" statt. Im Rahmen dieses Events wird an einem Vormittag über "Private Fears in Public Places" diskutiert. Vortragende aus verschiedensten Forschungsfeldern analysieren Bedenken der Öffentlichkeit gegenüber Biobanken in Medizin und Forensik.
->   Zum Session-Programm
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->   GEN-AU
->   Mehr zur kriminalistischen Spur (Wikipedia)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Vergewaltiger durch Immunzellen identifizierbar (8.3.07)
->   Mit Hilfe von Hirnströmen auf Verbrechersuche (6.7.06)
->   Fernsehen wandelt das Bild der Forensik (8.9.05)
 
 
 
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01.01.2010