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Juliputsch 1934: Lavanttaler Nazis am "erfolgreichsten"  
  Am Mittwoch jährt sich der Juliputsch der Nationalsozialisten von 1934. Während er in Wien trotz der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß rasch von den Austrofaschisten niedergeschlagen wurde, gingen die Uhren in Kärnten anders. Der Historiker Christian Klösch hat untersucht, warum die Nazis im Lavanttal bereits 1934 die Macht übernahmen und ganze fünf Tage Bundesheer und Gendarmerie Widerstand leisten konnten.  
1.300 Männer waren in dem politischen Bezirk Wolfsberg an dem Umsturzversuch beteiligt, nach dem Scheitern floh die Hälfte nach Deutschland, die andere wurde verhaftet und für kurze Zeit interniert. Insgesamt forderten die Kämpfe rund 25 Tote, sieben davon Nazis, der Rest Angehörige von Bundesheer und Heimwehr.

Im Lavanttal hatten die Nazis schon 1934 im Vergleich zu Restösterreich den "größten Erfolg" - was in der Zweiten Republik zu einem großen Kärntner Tabu werden sollte, wie Klösch in einem science.ORF.at-Interview schildert.
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Von Christian Klösch ist vor kurzem das Buch "Des Führers heimliche Vasallen. Die Putschisten des Juli 1934 im Kärntner Lavanttal" im Czernin Verlag erschienen.
->   Das Buch im Czernin Verlag
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Bild: Czernin Verlag
Maschinengewehrstellung der Putschisten
in St. Andrä, 27. Juli 1934
science.ORF.at: Woher kam der große "Erfolg" der Lavanttaler Nazis?

Christian Klösch: Trotz Konkurrenzsituation zwischen SS und SA - die SS wollte unbedingt noch vor dem Sommer putschen, die SA lieber mit einer Terrorwelle das Land sturmreif machen und erst im Herbst den Putsch durchführen - wurde die Aktion gemeinsam durchgeführt.

In Kärnten war die SA am besten organisiert, hatte sie die meisten Aktivisten und Sympathisanten. Sie war gut bewaffnet, wurde militärisch geführt und war ziemlich fanatisch.

Putschisten haben nicht davor zurückgeschreckt, auch Geiseln zu nehmen - etwa einen 13-jährigen Buben, damit sich die Gendarmerie ergibt.
Wie groß war der Rückhalt in der Bevölkerung?

Rund ein Drittel waren Nazis, ein weiteres Drittel christlich-sozial, der Rest war sozialdemokratisch. 1.300 Männer haben sich bei einer Gesamtbevölkerung von 44.000 aktiv mit der Waffe an dem Putsch beteiligt. Frauen haben nur Hilfsdienste verrichtet wie Nahrung bereiten und Fahnen nähen.

Der Rückhalt in der Bevölkerung war sehr groß. Es gibt Berichte von SA-Führern, die aus der Steiermark geflüchtet sind, wo schon alles vorbei war, die sich über die "positive" Stimmung in Kärnten gewundert haben, überall hingen Hakenkreuzfahnen, alle waren glücklich. Das hat die Steirer sehr überrascht.
Bild: Czernin Verlag
Putschistenführer Josef Welz
in St. Andrä, 27. Juli 1934
Wie haben sich die Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten verhalten?

Christlich-Soziale und Heimwehr haben gegen die Nazis gekämpft. Das war ein richtiger Bürgerkrieg und ging quer durch die Schulkameraden und Familien. Was später dazu geführt hat, dass kaum jemand darüber sprechen wollte.

Die Sozialdemokraten waren eher passiv, sie warteten ab, was passiert. Wie schon zuvor bei den Februarkämpfen. Da gab es im Lavanttal nur einen einzigen Solidaritätsstreik in einem Bergwerk, sonst nichts.

Die Kärntner Sozialdemokraten waren seit den Zeiten des Abwehrkampfes sehr deutschnational eingestellt, suchten aber auch den Ausgleich mit den Christlich-Sozialen. Mit ihnen gab es eine historische Waffenbrüderschaft.
Wie hat die Sozialstruktur der Juliputschisten ausgesehen?

Das ging quer durch alle Berufs- und Altersschichten, der Jüngste war 14, der Älteste 70, vom Knecht bis zum Millionärserben waren viele beteiligt. Bauern waren unterrepräsentiert, Arbeiter, Handelsangestellte und Selbstständige überrepräsentiert.

Das Spezifikum im Lavanttal betrifft die Lehrer - ein Drittel aller Volks- und Hauptschullehrer war aktiv am Putsch beteiligt.
Einer der Lehrer aus dem Lavanttal wurde später als "Geschichtelehrer des Führers" berühmt, Leopold Pötsch ...

Pötsch ist an eine Linzer Realschule gegangen, wo Hitler sein Schüler wurde. Hitler erwähnt ihn in "Mein Kampf" als den, der in ihm sein nationales Gefühl erweckt hat und dem er sein gesamtes Weltbild verdankt.

Aus einem Briefwechsel zwischen den beiden aus dem Jahr 1929, den ich gefunden habe, geht hervor, dass sich Pötsch sehr darüber gefreut hat.

Auch wenn Hitler bei der Beschreibung der Wichtigkeit von Pötsch für sein späteres Leben übertrieben hat, bleibt er ein Symbol für die deutschnationale Lehrerschaft, die die Jugend beeinflusst hat.
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Quellen: Autobiografien der Nazis
Christian Klösch hat für sein Buch die Lebensläufe der Juliputschisten untersucht. Als Quellen dienten ihm Zeitungsberichte, Gerichtsakten von Gendarmerieverhören und Militärgerichtsprozessen von 1934 sowie Volksgerichtsprozessen nach 1945 und Biografien aus Personalakten in Berliner Archiven. Diese wurden von den Nazis selber verfasst, um nach ihrer Flucht von NS-Deutschland aufgenommen zu werden. Weil immer Zeugen für die Echtheit der Angaben nötig waren, dürfte es sich dabei um sehr zuverlässige Quellen handeln.
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1934 konnten die Nazis ihre Diktatur letztlich noch nicht errichten, vier Jahre später ist ihnen das gelungen. Wie wurde der Juliputsch zwischen 1938 und 1945 bewertet?

Er hatte den gleichen Stellenwert wie der Kärntner Abwehrkampf. Während Letzterer gegen den "äußeren Feind", die Slowenen, ging, wurde der Juliputsch uminterpretiert - zu einem Symbol, wonach sich die Arbeiter und Bauern gegen eine klerikale Diktatur erhoben und für ihre Freiheit gekämpft hätten.

In den ersten Jahren gab es eine starke Gedenkkultur, 1939 wurden die Feierlichkeiten in der ganzen "Ostmark" live im Radio übertragen. Mit Kriegsbeginn wurde das weniger, denn die Erinnerung daran war immer auch eine Abrechnung mit dem innenpolitischen Gegner.

Im Krieg aber musste eine Front gegen den äußeren Feind aufgebaut werden, da wollte man keine inneren Gräben aufreißen.
Wie ging es mit der Gedenkkultur in der Zweiten Republik weiter?

Nach 1945 wurde der Juliputsch zum Tabu. In den Volksgerichtsprozessen wurden noch rund 120 Lavanttaler auf Grund ihrer Beteiligung angeklagt und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Mehrheit von ihnen wurde schnell begnadigt, ab Mitte der 50er Jahre war es das große Tabu in Kärnten.

Im Gegensatz etwa zur Mitgliedschaft in der Waffen-SS, die in Nachrufen niemals verschwiegen wurde, blieb die Teilnahme am Juliputsch immer im Dunkeln. Da wurden dann oft sehr blumige Redewendungen verwendet wie "bis er nach Deutschland wanderte" oder "den ein kurzes berufliches Zwischenspiel nach Deutschland verschlug".
Wie ist es zu dem Tabu gekommen?

Wie hätte man den eigenen Kindern oder Enkelkindern erklären sollen, dass man schon vier Jahre vor dem Anschluss mit der Waffe in der Hand für die Etablierung der NS-Diktatur gekämpft hat?

1938 konnte man sich auf alles Mögliche ausreden: auf die schlechte Wirtschaftslage, dass irgendwie "alle" dafür waren, selbst die Sozialdemokraten und die katholische Kirche.

Für die NSDAP zu sein ist etwas anderes, als aktiv für sie zu kämpfen und auf Gendarmerie oder Bundesheer zu schießen. So kam es zu dem Tabu, das es im Grunde bis heute geblieben ist.
Bild: Czernin Verlag
Denkmal für die Juligefallenen auf dem Wolfsberger Friedhof, errichtet 1934, Zustand 2004
Welche Erfahrungen haben Sie heute in Kärnten gemacht?

Bei der Buchpräsentation Mitte Juni im Rathaus von Wolfsberg war der Saal mit 200 Menschen überfüllt. Wir haben Hunderte Bücher verkauft.

Der Tenor der Anwesenden war: Wir haben zwar punktuell immer gewusst, was damals passiert ist, aber im Ganzen hat uns das niemand erzählt. Insofern hat dieses Buch bei vielen ein Aha-Erlebnis ausgelöst. Sie kommen jetzt erst drauf, dass ihr Großvater vielleicht auch dabei gewesen ist.

Deshalb habe ich auch ein langes Namensregister mit möglichst vielen der Beteiligten an das Buch angefügt, damit klar wird, dass der Juliputsch im Lavanttal nicht von einigen wenigen, sondern von einem großen Teil der Bevölkerung mitgetragen wurde. Ich hoffe, dass dieses Buch auch für viele ein Anlass wird, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinander zu setzen.
Ist das ein wohlwollendes Interesse, das Ihnen entgegenschlägt?

An den Stammtischen gibt es sicher Kritik, aber vor allem ältere Frauen und junge Menschen, Schüler und Schülerinnen, haben sehr viel positives Feedback gegeben. Ich habe versucht, so nahe wie möglich an den Quellen zu bleiben, viel aus den Lebensläufen zu zitieren.

Als gebürtiger Wolfsberger konnte ich auch den in Kärnten üblichen Anti-Wien-Reflex vermeiden und wurde nicht als der Historiker aus Wien wahrgenommen, der die Kärntner wieder einmal schlecht macht.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 24.7.07
->   Biografie Christian Klösch (Czernin Verlag)
->   Vorabdruck des Buchs "Des Führers heimliche Vasallen" (Datum)
->   Juliputsch 1934 (Dokumentationsarchiv des österr. Widerstandes)
Mehr zu dem Thema:
->   NS-Flüchtlingskinder: Erfolg trotz Traumas (19.3.07)
->   Rückblick auf das Gedenkjahr 2005 (30.12.05)
->   Otto Urban: März 1933 - Der Beginn des Austrofaschismus (11.2.02)
 
 
 
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01.01.2010