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Bericht: Unis sozial selektiv, FHs ausgewogener  
  Die Hochschulen in Österreich sind nach wie vor sozial selektiv. An Universitäten und Fachhochschulen (FHs) beginnen Kinder von Maturanten und Akademikern drei Mal häufiger ein Studium als Kinder bildungsferner Schichten.  
Doch die Situation ist besser geworden, wie aus dem am Mittwoch von Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) präsentierten "Bericht zur sozialen Lage der Studierenden 2006" hervorgeht: Der Anteil bildungsferner Schichten hat sich seit 1990 kontinuierlich erhöht, vor allem dank der Expansion des Fachhochschul-Sektors, dessen soziale Zusammensetzung deutlich ausgewogener ist als an den Unis.
Unterschied zwischen Uni und FH
Grafik: APA, Quelle: APA/BMWF/IHS
Die soziale Herkunft haben die Studienautoren Martin Unger und Angelika Wroblewski vom Institut für Höhere Studien (IHS) unter Berücksichtigung der Veränderungen des Bildungsniveaus in der Bevölkerung berechnet ("Rekrutierungsquote").

Demnach kommen an den wissenschaftlichen Universitäten auf 1.000 Männer im Alter von 40 bis 65 Jahren mit Pflichtschulabschluss 9,5 Studienanfänger, deren Vater über einen Pflichtschulabschluss verfügt (WS 2005/06). Diesen stehen 43 Anfänger gegenüber, deren Vater über einen Hochschulabschluss verfügt - also vier Mal so viele.

"Sozial deutlich ausgewogener" als an den Unis ist die Zusammensetzung der FH-Anfänger. Dort betragen die entsprechenden Werte bei Studienanfängern, deren Vater einen Pflichtschulabschluss aufweist, 4,7, bei jenen mit einem Akademiker als Vater 9,0 - also nur doppelt so viele.
Soziale Schere geht leicht zusammen
Im gesamten Hochschulsektor ist laut Studie der Hochschulzugang bildungsnaher Schichten seit mehr als zehn Jahren relativ konstant, während sich der Anteil bildungsferner Schichten geringfügig, aber kontinuierlich erhöht hat. "Die soziale Schere geht etwas zusammen, Hauptgrund dafür sind die FHs, die attraktiver für bildungsferne Schichten sind", sagte Unger.

Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) bestreitet das: Sie hat die Anfängerzahlen ebenfalls durchgerechnet und kommt zu dem Schluss, dass in den letzten drei Jahren die Zahl der Studierenden aus niedrigen sozialen Schichten abgenommen hat.

Politische Gründe für die "leichte Verbesserung" in der sozialen Symmetrie sind laut IHS-Bericht nicht zu erkennen, die Studienautoren vermuten etwa hinter der abnehmenden Hochschulzugangsquote bildungsnaher Schichten an den Unis unterschiedliche Fertilitätsraten. So würden Frauen aus bildungsnahen Schichten weniger und später Kinder bekommen.
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9.000 Studierende befragt
Für die Sozialerhebung wurden - erstmals online - 9.000 Studenten insgesamt 115 Fragen gestellt. Aus diesen Daten sollen weitere Detailberichte, etwa für ausländische und behinderte Studenten, erscheinen. Die Daten sollen auch in eine europäische Vergleichsstudie einfließen.
->   Zur Studie
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Großteil arbeitet neben Studium
42 Prozent der Studenten an Universitäten und FHs sind während des ganzes Semesters und weitere 18 Prozent gelegentlich während des Semesters erwerbstätig, insgesamt jobben also 60 Prozent neben dem Studium.

Im Schnitt arbeiten erwerbstätige Studenten 19 Stunden pro Woche, Männer um vier Stunden mehr als Frauen. Je intensiver die Erwerbstätigkeit, desto weniger Zeit wird erwartungsgemäß fürs Studium aufgewendet. Nicht arbeitende Studenten wenden im Schnitt 38 Stunden dafür auf. Wird mehr als 15 Stunden gearbeitet, sinkt die für das Studium zur Verfügung stehende Zeit rapide. Vollzeitbeschäftigten stehen nur 17 Stunden für Uni oder FH zur Verfügung.

72 Prozent sagen, dass die Arbeit für den Lebensunterhalt unbedingt erforderlich ist. Ebenso viele klagen, dass es schwierig sei, Studium und Erwerbstätigkeit unter einen Hut zu bringen. Jeder zweite Student könnte sich ohne Arbeit das Studium nicht leisten. 38 Prozent der erwerbstätigen Studenten würden ihre Arbeitszeit gerne reduzieren.
Entwicklung der Stipendien
Besonders interessant ist daher die Entwicklung der Stipendien: Die gesamte Förderquote, also Stipendien als auch Rückvergütung der Studienbeiträge, stieg von 23,3 Prozent im Jahr 2002 um rund drei Prozentpunkte auf 26,3 Prozent, freut sich das Ministerium über den Bericht. Die ÖH kontert: "Die durchschnittlich ausbezahlte Studienbeihilfe ist von 2002 bis 2006 von 341 auf 316 Euro gefallen."

Alleine die Abgeltung der Inflation würde eine durchschnittlichen Studienbeihilfe von 370 Euro erfordern. 84 Prozent der Studierenden seien mittlerweile erwerbstätig, ein Vollzeitstudium einer Minderheit vorbehalten. Darunter leide die Qualität universitärer Bildung, vor allem für sozial Schwächere, so die Studentenvertreter.

Dennoch freut sich Hahn im Gespräch mit Ö1: "Die Untersuchung zeigt, vielleicht zur Überraschung mancher, dass die Lebensumstände von Studenten nicht schlechter geworden sind, vielleicht kann man sogar sagen: tendenziell besser. Ich denke, dass hier auch die Entwicklung der Studienbeihilfen der letzten Jahre ihre Spuren hinterlassen hat. Ich möchte aber auch gleich dazusagen, dass die eben beschlossene Erhöhung der Stipendien um zwölf Prozent logischerweise hier noch keinen Eingang finden konnte."

Martin Haidinger, Ö1 Wissenschaft/science.ORF.at/APA, 25.7.07
->   Institut für Höhere Studien
->   Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung
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01.01.2010