News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Netzwerk: Ökonomische Ungleichheiten visualisiert  
  Um zu klären, warum manche Länder wirtschaftlich prosperieren und andere scheinbar keinen Weg aus der Armut finden, hat ein Team aus französischen und US-amerikanischen Forschern zu einer ungewöhnlichen Methode gegriffen: Sie analysierten, welche Produkte wie eng mit einander "verwandt" sind. Aus den Beziehungen zogen sie Rückschlüsse auf die Position von Ländern bzw. Regionen in der Weltökonomie.  
So wie Netzwerke von Menschen besonders gut funktionieren, wenn mit wenigen Zwischenschritten jedes andere Mitglied des Netzwerks erreicht werden kann, ist es für eine Nationalökonomie besonders positiv, wenn sie mit ihren Produkten an andere, erfolgreichere anknüpfen kann. Theorien der Politikwissenschaft, wonach die Welt in Zentren und Peripherie zerfällt, erlebt auf diesem Weg eine Verbildlichung.
...
Die Studie "The Product Space Conditions the Development of Nations" von C.A. Hidalgo, B. Klinger und Kollegen ist am 27. Juli 2007 in "Science" erschienen (Band 317, S. 482-487, DOI:10.1126/science.1144581).
->   Zum Abstract
...
Erfolgsfaktoren: Politische Institutionen ...
Die Politikwissenschaft, und hier insbesondere die Entwicklungstheorie, kennt verschiedenste Ansätze, die erklären sollen, warum manche Länder wirtschaftlich auf die Beine kommen.

Einige konzentrieren sich auf innerstaatliche Faktoren wie etwa das Institutionengefüge: Je instabiler und ungleicher die Macht verteilt ist, desto schlechter kann sich ein Wirtschaftsgefüge etablieren, das großen Gruppen der Bevölkerung Wohlstand bietet.
... natürliche Umgebung und Geschichte
Ausschlaggebend sind natürlich auch natürliche Umstände wie Rohstoffe und das Klima, aber auch - von der Geschichte eines Landes beeinflusste - Faktoren wie der Bildungsgrad der Bevölkerung und die Wirtschaftstradition: Wurde im Land selbst produziert bzw. verarbeitet oder Rohstoffe nur exportiert, um anderswo für Wohlstand zu sorgen?
...
Zentrum und Peripherie
In den 1960er Jahren entstanden Theorien, die statt der Nationalökonomie die Weltwirtschaft in den Fokus nahmen. Der einflussreichste Ansatz, die Dependenztheorie, teilte die Welt in zwei Bereiche: in Zentren, die wirtschaftlich prosperieren, selbst aber kaum Rohstoffe haben, und die Peripherie, die wegen ihrer Rohstoffe von den Zentren ausgebeutet und in Abhängigkeit gehalten wird.
->   Mehr über Dependenztheorie (Wikipedia)
...
Ähnlichkeit von Produkten als Ausgangsbasis
Cesar Hidalgo, Physiker an der Universität Notre Dame, und Bailey Klinger, Ökonom an der Harvard University, fügen den bisherigen Theorien einen weiteren Denkansatz hinzu: Sie analysierten, welche Produkte bzw. produzierenden Branchen mit einander verwandt sind.

Die Nähe ("Proximity") könnte Aufschluss geben, in welche Richtung sich eine Nationalökonomie entwickelt - denn sind Grundkenntnisse in einem Bereich da, fällt die Erweiterung um einen ähnlichen meist nicht schwer.

Als Basis für ihre Berechnungen verwendeten die Forscher Daten zu internationalen Handelsbeziehungen des "National Bureau of Economic Research".
Branchenverteilung
 
Bild: Cesar A. Hidalgo

Als ersten Schritt entwarfen sie eine Weltkarte der Warenproduktion, in der sich die Zentrum-Peripherie-Verteilung deutlich spiegelt: Den Kern in den Zentren bilden die Metallurgie, der Maschinenbau und die Chemieindustrie, der Rest der produzierenden Branchen ist in der Peripherie angesiedelt (siehe Bild oben).

Der Maschinenbau zerfällt wieder in zwei Cluster: Auto- und Fahrzeugproduktion sowie Elektronik. Es zeigt sich, dass der Maschinenbau eng mit einigen kapitalintensiven Branchen verwoben ist, nicht jedoch mit ähnlichen Bereichen wie der Texilindustrie.
Globale Verteilung
 
Bild: Cesar A. Hidalgo

Besonders interessant sind die Produkte der zentralen Branchen deshalb, weil man sich durch ihre Herstellung einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann.

Danach analysierten die Forscher, wo vorteilhafte Produkte hergestellt werden - und sahen eine Konzentration in den industrialisierten Ländern (siehe Bild oben, die schwarzen Vierecke stehen für wettbewerbsfähige Produkte). In afrikanischen Ländern südlich der Sahara kommen sie hingegen nur vereinzelt vor.
Anschluss kaum möglich
Als letzten Schritt untersuchten Hidalgo und Klinger folgende Hypothese: Wenn alle Produkte - wenn auch weitläufig, aber dennoch - einander nahe sind, dann müsste es doch für arme Länder möglich sein, über viele Zwischenschritte von ähnlichen Produkten zum Zentrum aufzuschließen.

Aber auch im mathematischen Modell zeigte sich: Sind bestimmte Grundverbindungen nicht vorhanden, ist es kaum möglich, Anschluss an produktivere Branchen zu finden.
Grenzen des Experiments
Und hier werden auch die Grenzen des Gedankenexperiments von Hidalgo und Klinger deutlich: Sie ist mehr eine Verdeutlichung bestehender Abhängigkeiten als ein neuer Ansatz für die Entwicklungspolitik, wie es die Studien-Autoren andeuten.

Graduell bietet sie Einsichten, über welche Zwischenschritte wirtschaftlicher Aufschwung möglich wäre - ob davon wiederum die Bevölkerung profitiert, spielt in diesem Modell keine Rolle, ist aber für eine erfolgreiche Transformation maßgeblich.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 26.7.0
->   Cesar Hidalgo, Universität Notre Dame
->   Bailey Klinger, Universität Harvard
->   "National Bureau of Economic Research"
Mehr über Netzwerkanalyse in science.ORF.at:
->   Exzellente Netzwerke: Europas Weg zu Innovation? (8.11.05)
->   Erfahrung und Vielfältigkeit führen Teams zum Erfolg (29.4.05)
->   Netzwerke: Die Zukunft der Gesellschaft (1.12.04)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010