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Kunst-Diskussion: "Geldanlage" und "Wertsteigerung"  
  Zeitgenössische Kunst gilt schon lange nicht mehr nur als An- und Aufreger, sondern immer mehr als Objekt eines komplexer werdenden Wirtschaftszweigs. Nicht nur Sponsoring durch Unternehmen spielt eine Rolle, sondern auch die steigenden Erlöse von Auktionshäusern und Museen, meint der Kunsthistoriker Patrick Werkner. Er leitet beim Europäischen Forum Alpbach 2007 ein Seminar zu dem Thema.  
Kunst und Geld
Von Patrick Werkner

Kunst als finanzielles Investment bildet seit den 1980er Jahren zunehmend einen bedeutenden wirtschaftlichen Sektor. Was früher nur für einige Spezialisten oder für privilegierte Sammler von Belang war, die aktuellen Auktionspreise von Künstlern des 20. Jahrhunderts, wird heute, ähnlich den täglich wechselnden Aktienkursen, von einer großen Gruppe von potenziellen oder tatsächlichen Sammlern verfolgt.

Die neue Rolle zeitgenössischer, aber auch älterer Kunst bei der Imagepflege von Unternehmen hängt damit eng zusammen. Nicht nur das Sponsoring von Kunstaktivitäten, sondern auch der Aufbau eigener Sammlungen wird seit den 1980er Jahren von immer mehr Firmen betrieben. Manche Unternehmer mischen so nachhaltig im Kunstmarkt mit, dass ihre Wirkung eines führenden Museums gleichzusetzen ist.
Saatchi & Saatchi könnte Maler ruinieren
Die weltweit tätige Londoner Werbeagentur Saatchi & Saatchi mit ihrem Inhaber Charles Saatchi gewann schon in den 1980er Jahren so starken Einfluss auf die Marktbewertung einzelner Künstler, dass sie im negativen Fall auch auf einzelne Maler ruinöse Auswirkungen haben konnte. Saatchi hatte ganze Werkblöcke einzelner Künstler aufgekauft.

Im Falle des italienischen Transavanguardia-Künstlers Sandro Chia verkaufte Saatchi dessen Werke auf einen Schlag, sodass die Preise von Chias Werken plötzlich drastisch fielen und sich jahrelang nicht von diesem Ausverkauf erholten.
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Seminar beim Europäischen Forum in Alpbach
Patrick Werkner leitet gemeinsam mit Thomas Zaunschirm beim Europäischen Forum Alpbach 2007 das Seminar "Kunst und Kreativität" (17.-22.8.2007). science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.
->   Details zum Seminar
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Markt beeinflusst Museen
Der Kanon der jüngeren Kunstgeschichte wird zunehmend unter dem Einfluss ökonomischer Gegebenheiten geschrieben. In einer früher ungeahnten Weise beeinflusst der Markt die Museen, ihre Ausstellungspolitik und damit die Kunstgeschichte. Es sind nicht mehr nur die bedeutenden Rückblicke auf das Werk eines einzelnen Künstlers, die großen Museumsretrospektiven auf eine Epoche oder eine Bewegung der Kunstgeschichte, die das größte Interesse von Seiten des Publikums und der Medien bekommen.

Es sind heute die Kunstmessen in Basel, Köln, Madrid oder Miami, über die sowohl in den Wirtschaftsnachrichten wie im Kultur-Feuilleton, aber auch in den Lifestyle-Magazinen berichtet wird. Zahlreiche Museen wurden und werden für Schenkungen oder Leihgaben von Sammlern errichtet. Entscheidungen darüber sind zentrale Angelegenheiten der Kulturpolitik von Städten und Regionen geworden.
Notlösungen
Das Ausstellen von Privatsammlungen auch innerhalb öffentlicher Museen ermöglicht Einblicke in ansonsten nicht zugängliche Kollektionen, bildet allerdings nicht selten eine Notlösung angesichts schrumpfender Budgets der Museen, die damit nicht mehr ihre eigene Ausstellungslinie verfolgen können. Dies betrifft vor allem die Präsentation des 20. Jahrhunderts und insbesondere der zeitgenössischen Kunst.
Dynamischste Rolle am Aktienmarkt
1998 setzte sich das Auktionshaus Christie's über ein Tabu hinweg, das lange gegolten hatte: Kunst, die jünger ist als zehn Jahre, nicht zu versteigern. Seither werden auch Werke, die frisch aus dem Atelier kommen, in Auktionen angeboten - mit größtem Erfolg.

Dies hat einige weitere Drehungen in der Spirale des Kunstbooms zu Beginn des neuen Jahrtausends verursacht. Im Jahr 2005 verdoppelte sich bei Christie's der Umsatz zeitgenössischer Kunst. Derzeit spielt die zeitgenössische Kunst sogar die dynamischste Rolle innerhalb des Auktionsmarktes. Noch mehr als bisher wurde die Diskussion über Kunst zunehmend zu einer Diskussion über Geld, Wertsteigerung und Vermögensveranlagung.
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Preise bis zu 140 Mio. Dollar
Im Februar 2006 wurde durch das Auktionshaus Sotheby's eine Fotografie Edward Steichens von 1904, "The Pond - Moonlight" für die höchste jemals für eine Fotografie bezahlte Summe verkauft, um 2,9 Mio. Dollar. An dieser Summe lässt sich die Bedeutungssteigerung des Mediums Fotografie auf dem Kunstmarkt ablesen.

2006 war auch das Jahr, in dem alle früheren Preise für Kunst der Klassiker der Moderne in den Schatten gestellt wurden, als der New Yorker Sammler Ronald Lauder Gustav Klimts "goldenes" Bildnis von Adele Bloch-Bauer für die Summe von 135 Mio. Dollar erwarb. Im November 2006 wurde auch dieser Preisrekord übertroffen, als Jackson Pollocks Gemälde "No. 5, 1948" um 140 Mio. Dollar verkauft wurde (Meldung der New York Times vom 2. 11. 2006).
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Quasi-feudale Tendenzen
Was heute in der Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts als relevant gilt, ist das Ergebnis eines hochkomplexen Vorgangs der Rezeption, an dem Tausende von Künstlern, Kritikern, Sammlern, Kuratoren und Kunsthistorikern beteiligt waren und sind.

In jüngster Vergangenheit verengte sich der Rezeptionsvorgang in Richtung quasi-feudaler Tendenzen. Die Entscheidungen Einzelner spielen dabei eine ähnliche Rolle wie in der Renaissance oder im Barock, als Fürsten und die hohe Geistlichkeit Auftraggeber waren.
Wichtige Einträge im Lebenslauf
Die großen Museumsausstellungen zur zeitgenössischen Kunst, die Biennalen und Triennalen in den unterschiedlichsten Ländern, wurden seit jeher vom Kunstmarkt intensiv beobachtet. Mehr denn je sind sie aber zum Testgelände für Kunstmessen und kommerzielle Galerien geworden.

Wer als Künstler auf der Biennale Venedig oder der Kasseler "documenta" zu sehen war, kann damit wichtige Einträge in seinem Lebenslauf verzeichnen und hat weitere Ausstellungen in kommerziellen Galerien garantiert.
Rekorde bei Biennale Venedig und "documenta"
Die Bedeutung als Markt-Barometer wirkt sich auch auf die Anziehungskraft großer Kunstausstellungen aus. Die Biennale Venedig wurde im Lauf der letzten 30 Jahre immer mehr zu einer sommerlichen Dauerattraktion für ein Publikum, das die traditionellen Venedigbesucher um ein wesentliches Segment ergänzt und im gesamten italienischen Kulturtourismus einen wichtigen Akzent setzt. Führende italienische Firmen und Konzerne sind in die finanzielle Trägerschaft der Biennale eingebunden.

Die documenta 11 brachte Kassel im Jahr 2002 über 650.000 Besucher, die für die Stadt und für die gesamte Region einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellen. Für die heuer stattfindende documenta 12 wurde ein neuer Besucherrekord prognostiziert.
Hochorganisierter ökonomischer Bereich
Der Kunstmarkt stellt heute weltweit einen beträchtlichen Wirtschaftszweig dar. Für 2001 wurde errechnet, dass allein in Europa Transaktionen im Umfang von etwa 12 Milliarden Dollar erfolgten. Weltweit waren es 16,7 Milliarden Dollar. In Europa arbeiteten im Kunstmarkt im Jahr 2001 rund 73.600 Beschäftigte in 28.600 Unternehmen. Dazu kamen noch weitere 61.000 Beschäftigte in Branchen mit unterstützenden Gütern und Leistungen (Nachrichtenmeldung im österreichischen Rundfunk ORF, März 2002).

Schätzungen des weltweiten Umsatzes mit Kunst gehen für das Jahr 2006 von einem Jahreserlös aus, der deutlich über 30 Milliarden Dollar liegt (Der Spiegel, Nr. 50/2006, S. 169). Darüber hinausgehend umfasst die Infrastruktur für die Vermittlung und Verwertung von moderner und zeitgenössischer Kunst heute nicht nur Museen und Verlage, Museumsshops und Buchhandlungen, sondern den gesamten Sektor des Kulturtourismus einschließlich Hotellerie, Restaurants etc. und die zugehörigen Kommunikationsstrukturen, stellt also einen hochorganisierten und vernetzten ökonomischen Bereich dar.

[1.8.07]
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Über den Autor
Patrick Werkner: Geb. Innsbruck 1953. Kunsthistoriker, ao. Univ.-Prof. an der Universität für Angewandte Kunst Wien, Leiter der Sammlungen der Universität mit Oskar-Kokoschka-Zentrum
Gastprofessuren: Bard College/New York 1989/90, Stanford University/Kalifornien 1990, Universität Salzburg 1992, Universität Freiburg/D 1994/95 (Vertretungsprofessur), Universität Leiden/NL 2001
->   Kontakt - Universität für Angewandte Kunst
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01.01.2010