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Philosoph Dretske: Metaphysik der Information  
  Neben Globalisierung gehört "Informationsgesellschaft" zu jenen Schlagwörtern, mit denen die heutige Welt am häufigsten charakterisiert wird. Was Information überhaupt ist, wird dabei selten thematisiert. Der Philosoph Fred Dretske von der Universität Stanford hat sich beim Eröffnungsvortrag des Wittgenstein-Symposions genau dieser Frage gewidmet.  
Information zeichnet sich ihm zufolge durch drei Eigenschaften aus: Sie bezieht sich erstens immer auf etwas, muss zweitens wahr sein und drittens übertragbar. "Wenn nur eine dieser drei Eigenschaften fehlt, ist es keine Information", meint Dretske.
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Eröffnungsvortrag des Wittgenstein-Symposions
"Philosophie der Informationsgesellschaft" ist der Titel des 30. Internationalen Wittgenstein-Symposions in Kirchberg, NÖ. Fred Dretske, emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Stanford und derzeit an der Duke University in Durham, North Carolina, hielt am Montag den Eröffnungsvortrag. science.ORF.at bekam von ihm den Text dazu, den wir hier in Auszügen vorstellen.
->   30. Internationales Wittgenstein-Symposion
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Information, sagt der Hausverstand
Bild: Duke University
Fred Dretske
Dretske ist alles andere als ein Unbekannter auf dem Gebiet. Bereits 1981 hat er sein Buch "Knowledge and the Flow of Information" veröffentlicht, das neben "Naturalisierung des Geistes" zu seinen wichtigsten zählt. In letzterem hatte Dretske seinen Hauptbeitrag zur "Philosophie des Geistes" geliefert und eine sehr naturalistische Theorie vertreten, derzufolge Subjektivität und Bewusstsein biologisch zu erklären ist.

In Kirchberg zäumte er dem Motto der Veranstaltung entsprechend das Pferd vom Begriff der Information auf. Nicht weniger als eine "Metaphysik der Information" versprach sein Vortrag.

So riskant der Titel, so griffig und nachvollziehbar waren die Thesen. Mit dem für angelsächsische Philosophen typischen Bezug auf den Hausverstand: "Ich möchte auf einem Niveau des Common Sense sagen, was Information ist", beginnt Dretske bescheiden.
->   Philosophie des Geistes (Wikipedia)
Das metaphysische Biest ist immer abstrakt
Das "metaphysische Biest", wie er es nennt, beschäftigt so unterschiedliche Menschen wie Journalisten, Computerwissenschaftlerinnen, Geheimdienstler und Bibliothekarinnen - da sei es höchst an der Zeit für die Klärung grundlegender Fragen.

Information, so seine Hauptthese, habe drei unverzichtbare Eigenschaften: Sie ist intentional und semantisch, wahr sowie übertragbar.

Der Reihe nach: "Information ist immer Information über etwas", betont Dretske. Ein Ziegel etwa sei keine Information, könne eine solche aber tragen - Form oder Farbe etwa können Aufschluss über seine Herkunft geben. Information ist für Dretske abstrakt, existiert in Aussagen, ist intentional in dem Sinne, dass sie sich immer auf etwas bezieht. Die Träger der Information seien hingegen "notwendigerweise konkret und beobachtbar".
Wahr: Kirchberg liegt nicht 600 km nördlich von Wien
Um wirklich als Information für Dretske zu gelten muss das, worauf sie sich bezieht, auch wahr sein. "Nicht alle Aussagen sind Informationen, nur die wahren." Information sei dabei nicht gleichzusetzen mit Wörtern oder Sätzen. Was gesagt wird, kann auch falsch sein, bleibt aber gesagt.

Mit Information verhalte es sich anders: Desinformation ist laut Dretske nicht eine andere Art von Information, sondern gar keine.

Sein aus dem Leben gegriffenes Beispiel: "Wer am Flughafen Schwechat die Auskunft bekommt, dass Kirchberg 600 Kilometer nördlich von Wien liegt, darf sich zurecht beschweren. Die Leute vom Info-Stand können sich nicht damit entschuldigen, dass sie bloß nach Information gefragt wurden und nicht nach wahrer Information. Das wäre lächerlich. Wer nach Information fragt, fragt nach der Wahrheit."

Zur Information: Kirchberg liegt rund 70 Kilometer südlich von Wien.
Übersetzungshilfen nötig
Wahrheit ist für Dretske also ein unverzichtbarer Bestandteil von Information. Wer aber als des Deutschen Unkundiger am Flughafen Schwechat steht und wahre, aber ausschließlich deutschsprachige Information über Kirchberg erhält, wird trotz aller Wahrheit nichts mit ihr anzufangen wissen.

Er oder sie braucht dann eine Übersetzungshilfe. Damit aus Information Wissen wird, ist Wahrheit notwendig, reicht aber nicht aus.
Erkenntnis braucht Wahrheit
Dretske schießt auch eine Breitseite gegen die Skeptiker und Computerwissenschaftler, die mit seinem Informationsbegriff ihre Probleme haben, weil ihr Wahrheitsgehalt oft unklar ist. Für Computerberechnungen mag die Wahrheit unerheblich sein - falsche wie wahre Argumente kann man digitalisieren und es lässt sich mit ihnen arbeiten - für Erkenntnis sei sie aber unabdingbar.

Wir Menschen bzw. die "Tiere, die Computer und Büchereien benutzen", brauchen Informationen, mit deren Hilfe wir wahre Schlüsse über die Welt ziehen können. "Im Gegensatz zu Maschinen und Büchereien, müssen Tiere wissen, bedürfen sie der Information," betont Dretske.
Wissen wird nicht übertragen
Dritter unverzichtbarer Bestandteil für Information ist für den Philosophen ihre Übertragbarkeit. Diese Transmissibilität sei es auch, welche die "auch von Wörterbüchern ausgelöste Konfusion" zwischen Information und Wissen klären kann.

Das, was etwa in der Erziehung weitergegeben wird, sei nicht Wissen, sondern Information. "Wenn du mich etwas lehrst, gibst du mir dein Wissen nicht, du hast es ja noch immer."
Eine Uhr mit richtiger Zeit und dennoch ohne Wert
Bei der Übertragung kann es aber zu Problemen mit der Wahrheit kommen. Es gibt nämlich wahre Aussagen über etwas, die dennoch keine Information sind.

Sein Beispiel: Eine stehengebliebene Uhr zeigt zweimal am Tag die richtige Uhrzeit an, dennoch vermittelt sie niemals Information. Obwohl sie zweimal die Wahrheit spricht, kann man von ihr nie die Uhrzeit erfahren.
Fragen bleiben offen
"Die Kommunikation der Wahrheit ist zwar notwendig für die Kommunikation von Information, aber nicht ausreichend", so Dretske. Der Empfänger brauche nicht nur die Wahrheit, sondern auch eine Art Schlüssel, um diese Wahrheit zu erkennen.

Deshalb gebe es technische Geräte, die Fakten dokumentieren - etwa die Tankanzeige im Auto. Experten sind für Dretske übrigens wie Tankanzeigen der Fachinformation.

Insgesamt wollte Dretske in Kirchberg die "metaphysische Bestie Information" nur umreißen. Seiner Ansicht nach gelte es nun, die aufgeworfenen Thesen zu vertiefen. Und detailliertere Antworten zu finden auf die Frage: "Was ist es genau, das wir mit der Wahrheit kommunizieren müssen, damit aus der kommunizierten Wahrheit Information wird?"

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 8.8.07
->   Fred Dretske: The Pragmatic Dimension of Knowledge
->   Fred Dretske, Universität Stanford
->   Naturalizing the Mind, MIT Press
->   Wiki zum Wittgenstein Symposium Kirchberg 2007
->   Programm zum Wittgenstein Symposium
->   Herbert Hrachovec: Und überhaupt der Fortschritt
 
 
 
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01.01.2010