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Naher Osten: Irak-Krieg behinderte Demokratisierung  
  Der Irak-Krieg hat nach Expertenansicht zu Rückschritten bei der Demokratisierung im Nahen und Mittleren Osten geführt. "Der Krieg, der zwischenzeitlich als Schlüssel zur Demokratisierung der Region beschrieben wurde, hat genau das Gegenteil bewirkt", sagt der Politik- und Islamwissenschaftler Lars Berger von der Universität Jena.  
So sei die Möglichkeit des Westens, Einfluss auf politische Entwicklungen in den Ländern der Region zu nehmen, stark geschwächt. Zugleich übten die Europäer zu wenig Druck für Reformen in diesen Ländern aus.
Zu wenige Reformen
Durch den eskalierenden Bürgerkrieg im Irak seien die Amerikaner zunehmend auf Akteure in der Region wie Saudi-Arabien und Ägypten angewiesen. "Deshalb hat man davon Abstand genommen, diese Staaten unter Druck zu setzen - speziell in der Frage innenpolitischer Reformen."

Zudem habe das Engagement der USA im Irak zur Folge, dass die Machthaber und das religiöse Establishment jegliche Reformforderungen etwa nach freien Wahlen oder der Gleichberechtigung von Frauen leicht diskreditieren können: "Solche Bemühungen werden dann als Teil des sogenannten imperialistischen amerikanischen Projekts dargestellt."
Finanzielle Unterstützung als Druckmittel
Deutlich sei dies etwa in Ägypten zu beobachten. "Dort hat man auf Druck der USA noch 2005 Präsidenten- und Parlamentswahlen durchgeführt", sagte der Experte. "Derzeit ist die ägyptische Regierung jedoch wieder damit beschäftigt, bei den wenigen Reformen und Reförmchen, die man erreicht hat, das Rad zurückzudrehen."

Der Westen sollte aus Sicht Bergers die finanzielle Unterstützung dieser Länder stärker als Druckmittel für demokratische Reformen nutzen. "Gerade der amerikanische Kongress versucht da immer wieder anzusetzen."

Dagegen seien die Europäer in dieser Hinsicht nur sehr zaghaft. "Aus der Bundesrepublik Deutschland hört man bei Treffen mit Vertretern dieser Länder nur sehr selten Forderungen nach politischen Reformen". Die Europäer könnten etwa über den Zugang von Waren auf den europäischen Markt Druck ausüben.
Demokratisierung kann Extremismus unterbinden
Langfristig könne eine Demokratisierung in den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens dazu führen, dass die Islamisten an Rückhalt verlieren würden, ist sich der Wissenschafter sicher.

Wenn eine Demokratisierung jedoch nicht mit einer Stärkung der Zivilgesellschaft und der Garantie von Grundrechten wie Meinungs- und Pressefreiheit einher gehe, könne dies zu einem stärkeren Zulauf für Islamisten führen. Dies habe etwa der Wahlsieg der palästinensischen Hamas gezeigt.
Terrorismus sucht Anlässe willkürlich
Die westliche Politik sei jedoch keineswegs die Ursache für das Erstarken des islamistischen Terrorismus; sie diene den Radikalen höchstens als Anlass für ihre Bluttaten. "Selbst eine weniger konfrontative Politik wie in den 90er Jahren, als Hoffnung auf eine Lösung des israelisch-arabischen Konfliktes bestand, wird von den Islamisten als gewaltlegitimierend angesehen", so Berger.

Es handle sich vielmehr um eine Auseinandersetzung innerhalb der islamischen Welt: Zwischen denen mit einer weltoffenen Interpretation des Islam und denen, die ein universelles Verständnis von Menschenrechten ablehnen. Letztere sähen durch die Globalisierung ihr gesellschaftliches Deutungsmonopol hinterfragt und angegriffen.

"Das ist der Knackpunkt", meint Berger. "Die aktuelle Tagespolitik des Westens ist da für die Islamisten nur noch ein Aufhänger, nicht die Ursache."

[science.ORF.at/dpa, 17.8.07]
->   Lars Berger - Uni Jena
->   Irakkrieg - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010