News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Frühstück: Der beste Start in den Tag  
  Sollen wir nun morgens frühstücken oder nicht - und wie sieht ein ideales Frühstück aus? Einerseits haben wir immer von unseren Müttern gehört: "Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages", andererseits heißt es auch: "Ein voller Bauch studiert nicht gern." Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte.  
Das Gehirn kann nur einen einzigen Nährstoff verwerten, nämlich Glukose, die durch den Abbau von Kohlenhydraten in unserer Nahrung entsteht. Dieser Umstand hat zu einer Reihe von Mythen geführt, sagt Leigh Gibson von der Roehampton-Universität London.
...
Der Review-Artikel von Leigh Gibson "Carbohydrates and mental function: feeding or impeding the brain?" über 25 Jahre der Erforschung von Glukose und ihrer Wirkung auf das Gehirn erschien in der Zeitschrift "Nutrition Bulletin" (Bd. 32, Ausg. s1, S. 71).
->   Abstract
...
Mythos Zuckerschub
Einer weit verbreiteten Meinung zufolge steigt der Blutzuckerspiegel nach dem Verzehr kohlenhydratreicher Nahrung sprunghaft an, um danach plötzlich abzufallen. Dadurch soll das Gehirn kurzfristig mit Glukose regelrecht überschwemmt werden. Für Gibson ist das bestenfalls eine maßlose Vereinfachung.

Der Ursprung des Mythos liegt in einem einfachen Glukosetoleranztest für die Diabetesdiagnostik, bei dem der Proband auf nüchternen Magen eine Glukoselösung zu trinken bekommt. Das führt tatsächlich zu einem rasanten Anstieg des Blutzuckerspiegels - und anschließend oft zu dessen ebenso raschem Absacken.
Weiter Weg vom Magen ins Hirn
Allerdings isst niemand im Alltag reine Glukose und bei kohlenhydrathältigen Lebensmitteln dauert es eine Weile, bis sie so weit abgebaut sind. Ein gesunder menschlicher Körper besitzt auch ein hochwirksames System, das den Zuckerhaushalt minuziös reguliert.

Ein Anstieg des Blutzuckerspiegels regt die Bauchspeicheldrüse zur Insulinproduktion an. Die Leber reagiert darauf, indem sie überschüssige Glukose aus dem Blut als stärkeähnliches Glykogen speichert, um sie bei Bedarf wieder freizusetzen.

Auf dem Weg zu den kleinen grauen Zellen muss die Glukose noch einen Zwischenspeicher passieren, die sogenannten Astrozyten. Sie speichern Glukose im Gehirn, ebenfalls als Glykogen; nur wenn sie leer sind, wird die Glukose aus dem Blut benötigt und erst nach anhaltender geistiger Höchstleistung muss sie durch Nahrung ergänzt werden.
Mythos II
Eine andere gängige Simplifizierung ist die Idee, dass unser Gehirn besser funktioniert, wenn wir es vor wichtigen Aufgaben mit Kohlenhydraten füttern. Leigh Gibson fand tatsächlich heraus, dass ein Zusammenhang zwischen verbaler Gedächtnisleistung und dem glykämischen Index (GI) unseres Essens besteht. Dieser Wert gibt an, wie rasch der Blutzuckerspiegel nach dem Verzehr ansteigt.

Wie das Magazin "New Scientist" in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, testete Gibson die Wirksamkeit von Nahrungsmitteln mit unterschiedlichem GI an Freiwilligen, denen er zum Frühstück Vollkornflocken bzw. stark gezuckerten Puffreis gab.
Warum Müsli doch besser ist
Erstaunlicherweise war das Frühstück mit der langsameren Glukosefreisetzung besser fürs Gedächtnis. Den Grund vermutet der Psychologe im Stresshormon Cortisol, das in geringen Mengen die Denkleistung steigert. Ist zuviel davon vorhanden, schlägt es allerdings rasch in die gegenteilige Wirkung um.

Deutsche Forscher haben gezeigt, dass Lebensmittel mit hohem GI die Ausschüttung von Cortisol fördern. Wer also ohnehin schon unter Stress steht, sollte besonders vorsichtig sein, was er isst.
Hungrig zum Morgensport
Diese Resultate gelten allerdings nur für sprachliche Gedächtnisleistungen, wie Gibson herausgefunden hat. Wenn es auf rasche Reaktionen ankommt, etwa bei einem Tischtennisturnier oder einem Computerspiel, bringen wir die besten Leistungen mit leerem Magen, die schlechtesten nach einem gesunden Müsli.

Schuld daran ist das Ghrelin, ein Hormon, das von unserem Magen produziert wird, wenn wir hungrig sind. Es sorgt dafür, dass wir wachsam sind - wie ein hungriges Tier auf der Jagd, erklärt Tamas Horvath, Neurologe in Yale. Fett und Protein haben kaum einen Effekt auf das Ghrelin in unserem Blut, aber Kohlenhydrate drosseln seine Produktion.
->   Ghrelin - Wikipedia
Leichte Mahlzeiten erhöhen das Denkvermögen
Ghrelin beeinflusst aber auch die Konzentration an Neurotransmittern, die neuronale Verbindungen stärken. Dadurch reagieren die Gehirnzellen auf einen Stimulus stärker, je öfter er wiederholt wird. "Auf Zellniveau ist das die Basis des Lernens", sagt Horvath.

Für Menschen, deren Glukosestoffwechsel gut funktioniert, ist der Rat der Experten, für eine optimale Gehirnleistung eine leichte Mahlzeit zu sich zu nehmen - gerade genug, um den Hunger zu dämpfen und ein wenig Extra-Traubenzucker zur Verfügung zu stellen: Kohlenhydrate mit niedrigem GI im Gegenwert von 25 Gramm Glukose, das sind 100 Kilokalorien, dazu etwas Eiweiß und Fett, um satt zu werden.

Unter Stress kann das freilich schon zu viel sein. Andererseits: Menschen, bei denen die Regulation des Blutzuckerspiegels nicht so gut funktioniert, brauchen aber vielleicht etwas mehr. Letztlich muss jeder seine optimale Gehirnnahrung selbst finden, aber eine Ausrede für viel Süßes am Morgen hat vor dem Hintergrund von Gibsons Arbeit wohl ausgedient.

Hanni Schopfhauser, science.ORF.at, 27.8.07
->   New Scientist
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Vollkorn-Ernährung verringert Diabetesrisiko (15.5.07)
->   Ernährung: Zu wenig Fett ist auch schädlich (15.3.07)
->   Ernährung: Wie der Körper Wissen speichert (20.2.07)
->   UN-Studie: Hunger vermindert Lernfähigkeit (13.7.06)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010