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Gene und Geschlecht: Zusammenhang kaum belegt  
  Je mehr über das menschliche Genom bekannt wird, desto häufiger werden Krankheiten auf bei Mann und Frau unterschiedliche genetische Varianten zurückgeführt. Dieser Zusammenhang zwischen Geschlecht und genetisch bedingter Erkrankung ist aber deutlich schwächer als bisher angenommen. Wie griechische Forscher nachgewiesen haben, lässt die Belegung derartiger Behauptungen mit Daten zu wünschen übrig.  
John Joannidis und seine Kollegen von der Ioannina-Universität haben 432 Behauptungen von unterschiedlichem Krankheitsrisiko aufgrund verschiedener genetischer Ausstattung der Geschlechter untersucht, indem sie ein Set von Kriterien an die Studien anlegten. Nur 12,7 Prozent der wissenschaftlichen Arbeiten erfüllten die Vorgaben.
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Die Studie "Claims of Sex Differences: An Empirical Assessment in Genetic Associations" von John Joannidis und Kollegen ist im "Journal of the American Medical Association" (JAMA) erschienen (Band 298, S. 880-893).
->   Zum Abstract
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Gender Medicine: Kein einfaches Feld
Die Medizin tut sich nicht leicht im Umgang mit geschlechtsspefizischen Unterschieden. Noch immer gibt es Meldungen, dass Herzinfarkte von Frauen nicht erkannt bzw. als nervöse Störungen falsch interpretiert werden - und das, obwohl seit vielen Jahren darüber aufgeklärt wird, dass nicht nur Männer Herzprobleme haben können.

Auch bei Medikamenten bemühen sich zahlreiche Mediziner darauf hinzuweisen, dass Wirkstoffe bei den beiden Geschlechtern unterschiedlich wirken können, was bei der Verschreibung berücksichtigt werden sollte.
Verschiedene Gene, verschiedene Krankheiten?
Die Genomforschung hat dieser Diskussion eine weitere Facette hinzugefügt: Könnte es nicht auch genetische Variationen geben, die die unterschiedliche Anfälligkeit von Frauen und Männern für spezielle Krankheiten begründen?

"Ja", haben zahlreiche Studien diese Frage beantwortet. Genvarianten sind dafür verantwortlich, dass Frauen häufiger an Autoimmunerkrankungen und Störungen des Hormonhaushalts leiden, Männer dafür vermehrt mit Erkrankungen der Herzgefäße, Herzinfarkt und einem hohen Cholesterin zu kämpfen. Der Mediziner John Joannidis und seine Kollegen haben diese Behauptungen auf die Probe gestellt.
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77 Studien mit 432 Behauptungen
Sie recherchierten in der Studiendatenbank "PubMed" Untersuchungen, die behaupten, einen Zusammenhang zwischen einer genetischen Variation und einer stärkeren Anfälligkeit eines Geschlechts dafür festgestellt zu haben. Sie stießen auf 77 Studien, in denen 432 Behauptungen von Geschlechtsunterschieden zu finden waren. An diese Behauptungen legten sie einen Kriterienkatalog an: Ist nur Gleiches mit Gleichem verglichen worden, also etwa nur junge Frauen mit jungen Männern, nicht aber mit Senioren? Sind die Ergebnisse tatsächlich statistisch signifikant? Wurden die Rohdaten begleitend zur Studie zur Verfügung gestellt? Bei Verweisen auf frühere Studien bezogen sie diese in ihre Analyse mit ein.
->   "PubMed"
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Ernüchternde Ergebnisse
Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur 12,7 Prozent der Studien haben den Zusammenhang zwischen Genvariante und geschlechtsspezifischer Erkrankung "angemessen dokumentiert". Bei 303 Behauptungen war die Begründung unzureichend, bei 74 überhaupt unberechtigt. Statistisch signifikant war der behauptete Zusammenhang nur in 44,1 Prozent der Fälle.
Reaktionen von kritisierten Forschern
Einige Forscher, deren Arbeiten von Joannidis kritisiert werden, meldeten sich in "Science" zu Wort. Ein Wissenschaftler gibt durchaus zu, dass der Zusammenhang zwischen akutem progressivem Lungenversagen und dem Geschlecht, den er in seiner Studie herstellt, nur schwach ist. Das habe er im Paper aber auch vermerkt.

Andere meinen, dass das Feld so neu sei, dass man sich eben auf unsicherem Grund vortasten müsse.
Professioneller und transparenter
Joannidis selbst betont in seiner Studie, dass er keinesfalls bewirken möchte, dass die Forschung zum Zusammenhang zwischen Genvarianten und geschlechtsspezifischen Erkrankungen reduziert wird. Der Umgang mit den Daten sollte aber professioneller und transparenter werden, und Forscher sollten sich nicht davor scheuen, Unsicherheiten in der Interpretation herauszustreichen.

[science.ORF.at, 3.9.07]
->   Gender Medicine (Wikipedia)
->   Universität Joannina
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Herzkrankheiten: Gender-Unterschiede ignoriert (5.9.05)
->   Mediziner wollen "Pickerl" für den Mann (4.6.07)
 
 
 
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01.01.2010