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Fliege trägt gesamte Erbinformation eines Bakteriums  
  Dass ein Parasit seinen Wirtsorganismus nicht nur ausnutzen, sondern sogar langfristig "erobern" kann, berichten US-Forscher in einer aktuellen Studie. Sie wollten Fruchtfliegen durch Antibiotika vom Befall durch das Bakterium Wolbachia "heilen", fanden aber immer wieder Gene des Parasiten im Wirtstier.  
Zuerst dachten die Wissenschaftler vom Craig Venter Institute und der Universität Rochester, dass es ihnen nicht gelingt, den Parasiten abzutöten. Dann aber kamen sie auf die Idee, Gene und Gewebe getrennt zu untersuchen. Und siehe da: Im Gewebe war Wolbachia nicht mehr zu finden, sehr wohl aber im Genom der Fliege. Dort fanden sich exakte Kopien des Parasiten-Genoms.
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Die Studie "Widespread Lateral Gene Transfer from Intracellular Bacteria to Multicellular Eukaryotes" von Julie Dunning-Hotopp und Michael Clark ist am 30. August 2007 in "Science Express" erschienen (DOI: 10.1126/science.1142490).
->   "Science Express"
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Der produktivste Parasit der Welt
 
Bild: University of Rochester

Wolbachia-Bakterien sind wahrscheinlich der produktivste "Parasit" der Welt - eine richtige "Pandemie", wie es Jack Werren, Studien-Ko-Autor und Wolbachia-Experte an der Rochester University, in einer Presseaussendung der Uni formuliert. Sie dringen in eine Tierart - meistens ein Insekt - ein, schaffen es bis zu den Eizellen bzw. dem Sperma und werden damit an alle nachfolgenden Generationen übertragen.

Bild oben: die gelben Wolbachia-Bakterien zwischen roten Zellen des Wirttieres.
Wolbachia-Gen in Käfer
Dass Gene der Bakterienart in ihre Wirte übergehen, vermuteten die Forscher schon länger. Zuletzt wurden sie durch Berichte von japanischen Kollegen bestärkt, die ein Wolbachia-Gen in einem Käfer gefunden haben.
Fliegen mit Antibiotika behandelt
Um es genau zu wissen, begannen die Forscher der Uni Rochester mit den Kollegen vom Craig Venter Institute Fruchtfliegen (Drosophila ananassae) systematisch zu durchleuchten. Michael Clark, einer der Hauptautoren der Studie, nahm sich die mit Wolbachia-Bakterien infizierten Tiere vor. Damit das Fliegengenom von jenem der Parasiten isoliert werden konnte, bekamen die Tiere Antibiotika verabreicht.

Um sicher zu gehen, dass die Bakterien nicht mehr vorhanden sind, testete Clark einige DNA-Samples auf Wolbachia-Gene - und er wurde immer wieder fündig.
Drosophila-Eierstöcke
 
Bild: University of Rochester

Links ein mit Wolbachia infizierter Eierstock einer Fliege, recht ein Eierstock ohne Infektion.
Im Gewebe keine Bakterien-Spuren mehr
"Einige Monate lang dachte ich, dass ich schlicht versage", schildert Clark. "Ich gab ständig Antibiotika und noch immer waren Gene vorhanden. Zuerst dachte ich an eine Resistenz. Nach mehreren Monaten kam mir die Idee, nicht nur DNA-Samples, sondern auch Gewebe zu analysieren, und dort konnte ich keine Wolbachia-Spuren mehr finden."
Bakterien-Genom im Erbgut der Fliegen
 
Bild: University of Rochester

Clark hatte die Fliegen geheilt, nachdem aber eine Kopie des Bakterien-Genoms im Fliegen-Genom vorhanden war, wurde er bei Gen-Tests immer wieder fündig (Bild: die grüne Farbe kennzeichnet das Wolbachia-Gen).
Zufälliges Ereignis?
Wolbachia-Spezialist Jack Werren bezweifelt, dass das Bakterium "absichtlich" eine Kopie seines Genoms im Erbgut der Fliegen hinterlassen hat. Vielmehr vermutet er, dass es dazu zufällig im Rahmen der normalen DNA-Reparaturmechanismen gekommen ist. Es kann irrtümlich passieren, dass Zellen fremde DNA in ihre eigene Erbinformation integrieren. "Aber dass ein ganzes Genom transferiert wurde, war eine große Überraschung", so Werren.

Was tut das Bakterien-Genom nun in der Fliege? Dass es sich neutral verhält, ist bei dieser Menge an Erbinformation unwahrscheinlich, meint Werren. Wie es sich aber auswirkt, können die Forscher noch nicht beantworten. Dazu müssten weitere Analysen durchgeführt werden.
Analogien zu Mitochondrien tauchen auf
Interessant ist dieser Genom-Transfer auch vor dem Hintergrund der Entwicklung der Mitochondrien, der Zellkraftwerke: Auch sie waren einmal Bakterien, die in Zellen lebten - wie Wolbachia heute.

Die Mitochondrien erhielten sich ihre, wenn auch kleine, so doch eigene DNA. Auch sie tauschten DNA mit ihren Wirtszellen aus. Wolbachia könnte dem Weg der Mitochondrien folgen und ebenfalls Aufgaben der Zellen übernehmen. Aber das ist, wie die Wissenschaftler selbst betonen, derzeit noch Spekulation, der in weiteren Projekten nachgegangen werden muss.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 31.8.07
->   Mehr über Wolbachia (Wikipedia)
->   University of Rochester
->   J. Craig Venter Institute
->   Das Stichwort Gentransfer im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010