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Muränen beißen mit Extra-Kiefer  
  Muränen gelten als äußerst aggressive Fische, die etwa in Korallenriffen an der Spitze der Nahrungskette stehen. Das bissige Image haben sie wohl nicht zu Unrecht: US-amerikanische Zoologen haben nämlich herausgefunden, dass die Tiere gleich zwei Kiefer besitzen.  
Mit dem einen packen sie ihre Beute, mit dem anderen, im Schlund verborgenen Kiefer ziehen sie ihre Beute in das Körperinnere.
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Die Studie "Raptorial jaws in the throat help moray eels swallow large prey" von Rita S. Mehta und Peter C. Wainwright ist am 6.9.07 in "Nature" erschienen (Bd. 449, S. 79; doi:10.1038/nature06062).
->   Abstract der Studie
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Kauen vs. Schlingen
30 Mal kauen und dann schlucken, hat man uns einst gesagt. Diese Regel mag schon ihre Richtigkeit haben, aber sicher nicht für alle Tierarten. Das weiß jeder, der schon einmal einem Hund beim Fressen zugesehen hat.

Wer nicht kaut und sein Fressen im Ganzen verspeist, steht in der Tat vor einem Problem: Wie bekommt man äußerst voluminöse Nahrungsstücke in den Magen - zumal, wenn man selbst einen langen schlanken Körper oder Hals besitzt?

Im Prinzip gibt es drei Strategien: Fische etwa nutzen einen Saugeffekt, der entsteht, wenn sie Wasser schlucken. Sie spülen ihre Beute quasi in das Körperinnere. Schlangen, die besonders große Stücke verschlingen können, haben wiederum einen besonders ausgeklügelten Mechanismus entwickelt. Sie bewegen die linke und rechte Kieferhälfte unabhängig voneinander und befördern so die Beute Biss für Biss in den Schlund.

Und dann gibt es noch die konventionelle Methode, die sich auf die Wirkung der Schwerkraft verlässt. Pelikane sind etwa ein gutes Beispiel für diese Form des gravitationsunterstützten Schlingens.
Extra-Kiefer erledigt das Schluckproblem
 
Bild: Rita Mehta & Candi Stafford

Rita Mehta und Peter Wainwright von der University of California in Davis haben nun eine vierte Strategie entdeckt, diesem Problem zu begegnen. Und sie ist ohne Zweifel jene mit dem größten Gruselfaktor. Muränen fangen zunächst, wie andere Tiere auch, ihre Beute mit dem Maul und halten sie mit ihren klauenförmigen Zähnen fest.

Sie besitzen allerdings noch einen zweiten Kiefer, der tief in ihrem Schlund sitzt, sich im Bedarfsfall in Richtung Mund bewegt, die Beute packt und dann nach unten zieht (siehe Video).

Das Ganze ist möglich durch ein antagonistisches Muskelsystem sowie durch die Tatsache, dass sich die Kiemenbögen im Lauf der Evolution offenbar in veritable Beißwerkzeuge verwandelt haben. Detail am Rande: "Nature" fand für die vorliegende Studie die schöne Überschrift "Jaw II" - leider nur auf der Presseseite, offiziell hat man dann auf den ironisch-cineastischen Verweis verzichtet.
Überlebensvorteil durch Sonderbildung
 
Bild: Rita Mehta

Blickt man in die Verwandtschaft der zur Gruppe der Aale gehörenden Muränen, stellt sich heraus, dass auch andere Fischarten ein solches Zusatzorgan besitzen. "Allerdings nichts, was ähnlich spektakulär wäre", sagt Peter Wainwright.

Andere Fische könnten ihren Extra-Kiefer nämlich nicht bewegen und daher auch nicht für die Beförderung der Beute einsetzen. Mehta und Wainwright geben den Beißwerkzeugen der Muränen daher einen eigenen Namen, sie heißen von nun an "räuberische Schlundkiefer" - "raptorial pharyngeal jaws". Man darf vermuten, dass die Muränen ihre ökologisch unumstrittene Position auch Dank dieser Sonderbildung erobert haben.

Robert Czepel, science.ORF.at, 6.9.07
->   Rita S. Mehta - UC Davis
->   Peter C. Wainwright - UC Davis
->   Muränen - Wikipedia
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01.01.2010