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Die Ökonomie dominiert im Netzwerk der Uniräte  
  Je ein Drittel der 139 Universitätsräte in Österreich kommt aus Wirtschaft, Wissenschaft und anderen Bereichen wie Kulturmanagement oder Rechtsanwaltskanzleien. Dass die Mitglieder mit ökonomischem Hintergrund dennoch die einflussreichsten sind, zeigt der Netzwerkanalytiker Christian Gulas. Damit sei auch belegt, dass die Uniräte nicht das ursprüngliche Ziel erreichen, die Universitäten mit der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu verbinden.  
Wie Gulas im Gespräch mit science.ORF.at erklärt, wertete er Daten über Firmen- und Universitätszugehörigkeiten sowie Club- und Vereinsmitgliedschaften der Universitätsräte aus. Als Ergebnis konnte er eindeutig belegen: Albert Hochleitner, ehemals Generaldirektor von Siemens Österreich, ist der einflussreichste Unirat Österreichs.

Als Institutionen entsenden die Österreichische Industriellenvereinigung, das Europäische Forum Alpbach und der Österreichische Cartellverband die einflussreichsten Mitglieder an die Spitze der heimischen Universitäten.
Universitätsräte: Universitäten mit Umfeld verknüpfen
Die Universitätsräte sind eine Erfindung des Universitätsgesetzes 2002: Je nach Größe der Universität bestehen die Räte aus fünf, sieben oder neun Personen. Der Sinn der Räte abseits sehr konkreter Aufgaben wie etwa der Rektorswahl: Sie sollen die Universitäten mit ihrem gesellschaftlichen Umfeld verbinden, Expertise "von außen" der Uni zur Verfügung stellen und sie damit aus ihrem vermeintlichen Elfenbeinturm holen.
->   Das UG 2002 zu den Uniräten
Informationen über Uniräte gesammelt
Mit welchen gesellschaftlichen Feldern die österreichischen Universitäten tatsächlich durch die Einrichtung der Räte verknüpft wurden, wollte der Sozialwissenschaftler Christian Gulas im Rahmen seiner Diplomarbeit wissen, die er im Rahmen seiner Mitarbeit bei FAS.research, einem auf Netzwerkanalyse spezialisierten Unternehmen, erstellte.

Gulas sammelte alle öffentlich verfügbaren Informationen über die 139 Universitätsräte wie etwa Firmenbucheintragungen, Führungsfunktionen und Mitgliedschaften in Vereinen, Verbänden, Clubs sowie Institutionen der Forschungs- und Technologiepolitik.
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Vorbild Bourdieu
Zum Vorbild nahm sich Christian Gulas den französischen Soziologen Pierre Bourdieu, insbesondere seine 1984 veröffentlichte Studie "Homo academicus". Dafür sammelte Bourdieu gemeinsam mit seinen Mitarbeitern so viele Informationen wie möglich über wissenschaftliches Personal an Universitäten: Von der Schule angefangen über den späteren Bildungsweg bis hin zu sozialen Status und Beruf des Vaters machte Bourdieu eine klassische soziodemografische Erhebung, die er dann hinsichtlich der politischen und wissenschaftlichen Macht der Einzelpersonen analysierte. Die Netzwerkanalyse bietet den Vorteil, dass sie das Beziehungskapital von Einzelpersonen gewichten und diese Gewichtungen visualisieren kann, wie Gulas jüngst im Buch "Bourdieus Erben" dargestellt hat.
->   Bourdieus Erbe: Was die Netzwerkanalyse damit tut (27.8.07)
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Zugehörigkeit zu Feldern nicht aussagekräftig
Wie aussagekräftig die Bestimmung des Beziehungskapitals ist, wird in Gulas' Analyse deutlich: Denn rein von der Zugehörigkeit der Universitätsräte zu verschiedenen gesellschaftlichen Feldern ergibt sich noch kein eindeutiges Bild: Rund ein Drittel kommt aus der Wirtschaft, ein weiteres Drittel aus der Wissenschaft und das letzte Drittel setzt sich aus Leuten verschiedenster Bereiche wie etwa Kulturmanagement, Rechtsanwaltskanzleien oder öffentlicher Verwaltung zusammen.
Netzwerk von Personen ...
 
Bild: Christian Gulas/FAS.research

Interessant ist hingegen die Gewichtung: Wie die Visualisierung zeigt, stehen Menschen aus der Wirtschaft (siehe Bild oben) ebenso im Zentrum wie ihre Organisationen: Die Industriellenvereinigung, der Cartellverband und das Europäische Forum Alpbach dominieren das Bild (siehe Visualisierung unten).
... und Institutionen
 
Bild: Christian Gulas/FAS.research

"Ranking" der wichtigsten Räte
Gulas hat die Räte auch hinsichtlich der Bedeutung ihrer Verbindungen gewichtet. Folgendes "Ranking" ist entstanden:
1. Albert HOCHLEITNER, eh. Siemens Österreich (Unirat: Technische Universität Wien)
2. Ludwig SCHARINGER, Raiffeisen Landesbank Oberösterreich (Unirat: Universität Linz)
3. Hannes ANDROSCH, Androsch Unternehmensgruppe (Unirat: Montanuniversität Leoben)
4. Klaus LIEBSCHER, Österreichische Nationalbank (Unirat: Wirtschaftsuniversität Wien)
5. Karl STOSS, eh. Generali Holding Vienna (Unirat: Universität Wien)
6. Johann MARIHART, Agrana (Unirat: Universität für Bodenkultur Wien)
7. Helmut O. LIST, AVL List (Unirat: Technische Universität Graz)
8. Werner TESSMAR-PFOHL, Sattler AG (Unirat: Universität Graz)
9. Werner STEINECKER, Energie AG Oberösterreich (Unirat: Universität Linz)
10. Theresa JORDIS, Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH (Unirätin: Medizinische Universität Wien)
11. Jochen PILDNER-STEINBURG, Grazer Armaturenwerke (Unirat: Medizinische Universität Graz)
Macht aus der Vielfalt der Beziehungen
Dass diese Personen ihre Macht in erster Linie aus der Vielfalt ihrer Beziehungen beziehen, erklärt Gulas am Beispiel von Albert Hochleitner: Der ehemalige Siemens-Generaldirektor ist - neben anderen Funktionen - auch noch Präsident der Industriellenvereinigung Wien, Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und Mitglied des Rotary-Clubs Wien, der "Zweigstelle" mit den einflussreichsten Mitgliedern, und des Cartellverbandes (CV). "Er kann unterschiedliche Welten verbinden, das rückt ihn ins Zentrum", so Gulas.
Universitäres Feld verliert an Autonomie
Was damit gezeigt werden konnte: "Die von den Räten getroffenen Entscheidungen stehen mit der Logik der Institutionen und Felder in Zusammenhang, denen sie angehören", meint Gulas. Seine Analyse habe gezeigt, dass das universitäre Feld zugunsten des ökonomischen an Autonomie verloren habe. Das ursprüngliche Ziel, die Universitäten mit der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit über die Uniräte zu verknüpfen, sei demnach nicht erreicht worden.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 19.9.07
->   FAS.research
Mehr über Netzwerkanalyse in science.ORF.at:
->   Netzwerk: Ökonomische Ungleichheiten visualisiert (26.7.07)
->   Exzellente Netzwerke: Europas Weg zu Innovation? (8.11.05)
->   Netzwerkanalyse: Macht ist robust und anpassungsfähig (31.8.04)
 
 
 
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01.01.2010