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Handknochen zeigen: Der "Hobbit" war eine eigene Art  
  War der Urmensch namens Homo floresiensis nun eine eigenständige Art oder nicht? Seit seiner Entdeckung im Jahr 2003 streiten Fachleute wegen dieser Frage, Einigung gab es bisher keine. US-Forscher meinen nun, den entscheidenden Hinweis in der Anatomie seiner Hände gefunden zu haben.  
Offenbar gleichen Handwurzelknochen des zwergwüchsigen Menschen jenen von Schimpansen und anderen nicht-menschlichen Primaten, berichtet ein Team um Matthew W. Tocheri von der Smithsonian Institution. Das spricht dafür, dass der "Hobbit" zu einer bisher unbekannten Spezies gehört.
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"The Primitive Wrist of Homo floresiensis and Its Implications for Hominin Evolution" von M.W. Tocheri et al. ist in "Science" erschienen (Bd. 317, S. 1743; 10.1126/science.1147143).
->   Abstract der Studie
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Spektakulärer Fund in Indonesien

Fast vier Jahre ist es nun her, dass man auf der indonesischen Insel Flores fossile Überreste einer ausgestorbenen Spezies entdeckt hat. Nicht irgendeine Art, sondern ein bisher unbekannter Vertreter der Gattung Homo, der aufgrund seines Fundortes Homo floresiensis getauft wurde.

So etwas passiert nicht alle Tage, dementsprechend groß war das Echo in der Fachwelt und nicht zuletzt auch in den Medien. Das Fachjournal "Science" beispielsweise wertete die Entdeckung des zierlichen, rund einen Meter großen Wesens mit Spitznamen "Hobbit" als die zweitwichtigste wissenschaftliche Erkenntnis des Jahres 2004, übertroffen nur von der Nachricht, dass es einst Wasser auf dem Mars gegeben habe.
Nur ein kranker Homo sapiens?
Allerdings waren nicht alle Forscher mit dieser durchwegs affirmativen Haltung einverstanden. Der indonesische Paläoanthropologe Teuku Jacob etwa vermutete von Anfang an, dass die Entdecker des "Hobbits" einem fatalen Irrtum aufgesessen seien.

Es handle sich dabei keineswegs um den Vertreter einer neuen Spezies, so Jacob, sondern vielmehr um einen äußerst kleinen Homo sapiens. Und zwar konkret um einen Pygmäen, der an einer abnormen Verkleinerung des Schädels litt - eine Krankheit, die unter dem Namen Mikrocephalie bekannt ist.
Anthropologen-Streit
Das Lager um den Australier Peter Brown, der Entdecker des Zwergmenschen, widersprach dieser These umgehend, woraufhin sich wieder die Anhänger der Mikrocephalie-These zu Wort meldeten. Was folgte, war ein publizistisches Duell, bei dem die jeweiligen Fraktionen alle paar Monate neue Beweise vorlegten, mal für die eine, dann wieder für die andere Theorie.

Konsens ist bis heute keiner in Sicht, im Gegenteil: Da sich die beiden Lager durchaus ähnlicher Methoden bedienten (virtuelle Schädelausgüsse, Werkzeuganalysen), allerdings zu völlig gegenteiligen Schlussfolgerungen gelangten, sind die Gräben zwischen ihnen tiefer denn je.
Beweise in der Handwurzel
 
Bild: Science

Daher ist wohl auch nicht zu erwarten, dass die nun von Matthew W. Tocheri vorgestellte Studie sämtliche Kontrahenten im "Hobbit"-Streit überzeugen wird. Dabei hat der Anthropologe von der Smithsonian Institution in Washington durchaus etwas Neues zu bieten. Während sich nämlich die bisherigen Analysen vor allem auf den grapefruitgroßen Kopf des Homo floresiensis konzentrierten, hat sich Tocheri nun die Hand des Flores-Menschen genauer angesehen.

Dabei fand er heraus, dass dessen Handwurzelknochen relativ primitiv gebaut sind und große Ähnlichkeiten mit jenen von nicht-menschlichen Primaten aufweisen. So ist etwa das kleine Vieleckbein (Trapezoid, Bild oben) beim modernen Menschen und beim Neandertaler stiefelförmig, beim "Hobbit" und Schimpansen ist es hingegen eher keilförmig.
Altes Merkmal übernommen
Tocheri und seine Kollegen schließen daraus, dass der Homo floresiensis diese urtümliche Anatomie von Vorfahren aus der Hominidenreihe geerbt habe. Die Handwurzelknochen des modernen Menschen seien hingegen eine Neubildung, die vor rund 800.000 Jahren entstand.

Nachdem man außerdem davon ausgeht, dass der Flores-Mensch erst vor rund 12.000 Jahren ausstarb, müsste er tatsächlich eine eigenständige Art gewesen sein.

Wenn sich die Gegner von Brown, Tocheri und Co. auf diese Argumentation einlassen, könnten sie nur mehr behaupten, dass Mikrocephalie eben auch den Wuchs der Handgelenke verändert. Doch das scheint sehr unwahrscheinlich.

Robert Czepel, science.ORF.at, 20.9.07
->   Smithsonian Institution
->   Homo floresiensis - Wikipedia
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01.01.2010