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Moderner Mensch sieht wie Jäger und Sammler  
  Tiere oder Menschen blitzschnell wahrzunehmen - als mögliche Bedrohung oder als potenzielle Beute - war für unsere Ahnen lebensentscheidend. US-amerikanische Forscher konnten nun zeigen, dass ein visuelles Subsystem der Jäger- und Sammlerkultur noch heute wirkt, obwohl es für das moderne Leben eigentlich keinerlei Vorteile bringt.  
In den Experimenten reagierten die Probanden schneller auf belebte als auf unbelebte Objekte. Die belebte Kategorie scheint insgesamt deutlich mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen, berichten Forscher rund um Joshua New von der Yale University.
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J. New, L.Cosmides et J.Tooby: "Category-specific attention for animals reflects ancestral priorities, not expertise" erscheint zwischen 24. und 28. September in den PNAS (DOI: 10.1073/pnas.0703913104).
->   Studie (sobald online)
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Selektive Wahrnehmungsoperationen
Mit visueller Aufmerksamkeit beschreibt man üblicherweise all jene Operationen, die bestimmte Ausschnitte der Umgebung auswählen, um diese weiter zu verarbeiten. Entwickelt haben sich diese Prozesse, weil manche Informationen wichtiger oder zeitkritischer als andere sind.

Die Selektionskriterien haben unterschiedliche Ursachen: Manchmal wird die Aufmerksamkeit bewusst auf ein Ziel gerichtet. Manche Kriterien sind einfach ererbt, weil sie der gesamten Spezies über mehrere Generationen nützlich waren. Auch die persönliche Erfahrung spielt eine wesentliche Rolle. Es gilt als gesichert, dass Menschen jenen Objekten, die für die momentane Situation oder Aufgabe wichtig sind, mehr Aufmerksamkeit schenken.
Schnelle Identifizierung als Überlebensvorteil
Weniger gut untersucht sind laut den Forschern vom Department of Psychology der Yale University jene Selektionskriterien, die sich als Reaktion auf das Leben in der Welt unserer frühen Vorfahren entwickelt haben.

So sei etwa die schnelle Identifizierung von Objekten anhand ihrer Eigenschaften und ihrer Bedeutung für eine konkrete Situation eine entscheidende Adaptionsleistung gewesen. Augenblicklich zu registrieren, ob es sich etwa um eine Bedrohung oder um Nahrung handelte, stellte einen wesentlichen Überlebensvorteil dar.
Die Aufmerksamkeitskriterien unserer Ahnen
Mit der so genannten Animal Monitoring Hypothesis wollten die US-amerikanischen Wissenschaftler nun untersuchen, ob für den modernen Menschen noch immer ähnliche Aufmerksamkeitskriterien wie für unsere Ahnen gelten. Für diese waren Tiere oder Menschen die zwei Kategorien, deren Erkennen besonders zeitkritisch und folgenreich sein konnte. Darüber hinaus bewegen sich belebte Objekte natürlich deutlich häufiger als etwa Pflanzen oder Steine.

Im Experiment sahen die Probanden jeweils zwei Fotografien einer bestimmten natürlichen Szene in rascher Abfolge. Das zweite Foto wies lediglich eine kleine Änderung auf. Die Hypothese, dass die Testpersonen Veränderungen, die belebte Objekte betreffen, schneller und genauer feststellen würden, konnte dabei bestätigt werden.

Die Wissenschaftler rund um Joshua New konnten auch zeigen, dass diese Wahrnehmung quasi automatisch und autonom funktioniert. So konnten unserer Vorfahren derartige Änderungen blitzschnell registrieren, unabhängig vom momentanen Kontext oder anderen Aktivitäten.
Seltene Tiere werden schneller erkannt als fahrende Autos
Im Rahmen der Untersuchung überprüften die Forscher auch eine wesentliche Gegenhypothese. Wäre ausschließlich die Bewegung ausschlaggebend für die schnelle Aufmerksamkeitsreaktion, müsste der moderne Mensch auf bewegte Fahrzeuge ebenso schnell reagieren, nicht zuletzt aufgrund der Gefahr, die etwa von fahrenden Autos ausgeht, wie das heutige Menschen im Lauf ihres Lebens gelernt haben müssten.

Dennoch: Auch hier hielt die Hypothese. Autos fallen gemäß den Experimenten eindeutig in die Kategorie lebloser Objekte. Ihre Bewegungsänderungen wurden deutlich langsamer registriert als etwa jene von seltenen Tierarten. Erfahrung oder Lernen scheinen also keine Rolle zu spielen.

Laut Studienautoren ähnelt diese Form der Aufmerksamkeitssteuerung dem Blinddarm: Moderne Menschen besitzen ihn, da er für ihre Vorfahren notwendig war, auch wenn er heute nutzlos ist.

[science.ORF.at, 25.09.07]
->   Yale Perception&Cognition Laboratory
->   Yale University
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->   Aufmerksamkeit schärft die Sinne (14.8.06)
->   Zeigt her eure Füße! Wie Tiere Gefahren erkennen (19.4.06)
 
 
 
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01.01.2010