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Märchen als "Superdoping" für Kindergehirne  
  Sie galten lange Zeit als grausam und moralsauer, doch inzwischen sind alte Volksmärchen wieder beliebt. "In einer immer komplizierter werdenden Welt sind die Märchen wie ein Mikrokosmos", so Heinz Rölleke.  
Rölleke ist Literaturwissenschaftler an der Bergischen Universität Wuppertal. "In Märchen ist die Welt überschaubar, es gibt feste Mechanismen und Gesetze." So greifen Erzieher und Lehrer wieder öfter zu den Geschichten von Rotkäppchen, Rapunzel und Co. Dabei erhalten sie inzwischen auch "Rückendeckung" von Neurobiologen.
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Am 26. September 2007 hat in Altenburg (Thüringen, Deutschland) der Kongress "Burg und Schloss, Tor und Turm im Märchen" begonnen. Rund 250 Expertinnen und Experten werden auf Einladung der Europäischen Märchengesellschaft zahlreiche Vorträge und Seminare besuchen. Die Themenpalette reicht von "Königsschlössern und Kristallpalästen" bis hin zu "Träumen als Schlüssel zur Märchenwelt". Und: "Es werden auch viele Märchen erzählt", sagt Mit-Organisator Werner Schmidt.
->   Europäische Märchengesellschaft
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Bei 68er-Generation in Misskredit geraten
Die deutschen Volksmärchen waren nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem bei den Alliierten und der 68er-Generation in Misskredit geraten. Damals standen sie im Ruf der "schwarzen Pädagogik".

"Das hat zehn bis zwölf Jahre nachgewirkt", sagt Märchenforscher Rölleke. Erst mit dem Buch "Kinder brauchen Märchen" von Bruno Bettelheim im Jahr 1975 setzte ein Wandel ein.
Identifikationsangebot ...
"Kinder hören Märchen gerne", berichtet die Pädagogin Helga Zitzlsperger aus ihrer langjährigen Erfahrung. Die Geschichten böten den Kindern ein großes Identifikationsangebot. Sie lernten dadurch Einfühlungsvermögen. "Die Kinder versetzen sich in andere Rollen und lernen auch mit deren Argumenten zu arbeiten."
... und "Superdoping" für Kindergehirne
Das bestätigen auch Erkenntnisse aus der Hirnforschung. Als "Superdoping für Kinderhirne" bezeichnet der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther Märchen. Märchenstunden könnten verstärkt die emotionalen Zentren im Gehirn aktivieren und dabei helfen, dass Kinder Ruhe finden und lernen, sich zu konzentrieren.

Beim Erzählen werde die Fantasie und Kreativität der Kinder angeregt. "Man muss die Bilder und Gefühle selbst im Kopf erzeugen." Diese kreative Leistung sei bei Hörspielen oder Verfilmungen eingeschränkt, erklärt der Wissenschaftler.
Gutes Ende wirkt beruhigend
Beruhigend wirkt nach Ansicht der Experten auf Kinder und Erwachsene, dass Märchen meist gut ausgehen und einen starken Lebensoptimismus vermitteln. Zudem gibt es selten ausweglose Situationen. "Selbst wenn Rotkäppchen vom Wolf gefressen wird, kommt es aus dieser misslichen Lage wieder raus", erklärt Rölleke.

Wie viele Märchen es im deutschsprachigen Raum gibt, lasse sich nicht abschätzen. "Die Zahl der Motive, die in den Märchen immer wieder vorkommen und neu kombiniert werden, ist auf 3.000 bis 4.000 in der ganzen Welt begrenzt", sagt er.

[science.ORF.at/dpa, 26.9.07]
->   Heinz Rölleke (Bergische Universität Wuppertal)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Die vergessenen Volkserzählungen (18.5.01)
 
 
 
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01.01.2010