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AIDS: Die Verleugnung des HI-Virus  
  Vor mittlerweile 23 Jahren wurde das HI-Virus entdeckt. Dennoch: Noch heute wird von manchen bestritten, dass dieses Virus Auslöser der lebensbedrohlichen Krankheit AIDS ist. Vor allem das Internet dient der Verbreitung diverser Verschwörungstheorien, was zu ihrer immer breiteren Akzeptanz in der Öffentlichkeit führt.  
Darauf weisen Tara C. Smith und Steven P. Novella im Policy Forum des OpenAccess-Journals "PLoS Medicine" hin. Dabei beleuchten sie die verschiedenen Strategien der Verleugner und mögliche gesellschaftliche Auswirkungen.
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Der Beitrag ist in "PLoS Medicine" (Bd.4, August 2007) erschienen.
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Aufklärung und Forschung gefährdet
Im Jahr 2000 erregte der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki einiges an Aufsehen, als er seine Zweifel am HI-Virus als Auslöser von AIDS öffentlich machte. Er nahm zwar in der Folge Abstand von seiner Äußerung. Dennoch forderte er eine neuerliche Analyse der Gesundheitsausgaben, die sich weniger auf die HIV- oder AIDS- Bekämpfung konzentrieren sollten.

Das ist laut den Autoren nur eine Möglichkeit, wie sich derartige Propaganda negativ auf das Gesundheitssystem auswirken könnte. Die massive Verbreitung über das Netz konterkariere vor allem die öffentlichen Aufklärungskampagnen. Auch Fördergelder für die medizinische Forschung seien dadurch gefährdet.
Eine Volksmeinung verbreitet sich
Seine Ursprünge hat die Verleugnung in der US-amerikanischen Bevölkerung. Plattformen, die eigentlich zur Bekämpfung der Krankheit gegründet wurden, wechselten plötzlich die Seiten. Rockstars, wie etwa die Mitglieder der "Foo Fighters", nahmen öffentlich für die Verschwörungstheoretiker Stellung und sorgten so für zusätzliche Publizität.

Eine der bekanntesten Aktivisten-Gruppen ist "Alive and Well" von Christine Maggiore, selbst seit 14 Jahren Trägerin des HI-Virus, aber symptomfrei. Ihre Geschichte steht auch im Mittelpunkt der Initiative. Sie ist sozusagen das lebende Beispiel, dass HIV nichts mit AIDS zu tun hat. Auch der Tod eines ihrer Kinder konnte sie in ihrem Kampf gegen die mächtige Medizin nicht erschüttern, obwohl das Kind an einer - vermutlich von HIV ausgelösten - Lungenentzündung starb.

Inhaltlich gibt es zwischen den verschiedenen Aktivisten zwar einiges an Unstimmigkeiten, manche gehen allerdings sogar soweit zu behaupten, HIV existiere überhaupt nicht.
Wissenschaftliche Autorität wird in Frage gestellt
Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist sich die wissenschaftliche Gemeinschaft einig, dass HIV die primäre Ursache von AIDS ist. Den Gegnern dieser Überzeugung bleibt also nicht viel anderes übrig, als die Autorität der Wissenschaft grundsätzlich in Frage zu stellen oder ihr eine Beeinflussung durch die Pharmaindustrie vorzuwerfen.

Aus Misstrauen gegenüber anerkannten medizinischen Therapien sprechen sich viele Gegner für "alternative" Behandlungsmethoden aus. Dass diese mit ihren eigenen obskuren Methoden, wie etwa Vitaminbehandlungen, auch gutes Geld verdienen, wird von den Verschwörungstheoretikern offensichtlich gern übersehen.
"Schwammige" Hypothesen contra wissenschaftlicher Evidenz
Die Hypothesen für die Ursache von AIDS sind laut Smith und Novella oft abhängig vom Ort, an dem sie entstehen. In Afrika wird etwa behauptet, dass AIDS eine Folge von Mangelernährung und schlechter Gesundheitsvorsorge sei, die Krankheit sei bloß ein neuer Name für alte Seuchen. In den USA stehen in erster Linie der Drogenmissbrauch und die Promiskuität am Pranger. Nähere Erklärungen für die Wirkungszusammenhänge gibt es allerdings keine.

Auf der anderen Seite lehnen die Leugner sämtliche Evidenzkategorien wissenschaftlicher Studien ab. Korrelationen seien eine unzureichende Grundlage für kausale Zusammenhänge, auch wenn es mittlerweile mehr als 100.000 Publikationen zum Thema gibt.

Das pauschale Infragestellen der wissenschaftlichen Autorität erinnert stark an andere religiös oder weltanschaulich motivierte Debatten, wie etwa den Streit zwischen Kreationisten und Evolutionstheoretikern oder die Verleugnung des Holocaust.
Vakuum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit
Da diese Verschwörungstheorien vor allem über das Internet oder obskure Druckwerke verbreitet werden, sind sich viele Wissenschaftler weder ihrer Existenz noch der von ihnen ausgehenden Bedrohung für das Gesundheitssystem bewusst, so die Autoren des Beitrags. Viele Argumente der Gegner wurden längst durch wissenschaftliche Studien entkräftet. Der breiteren Öffentlichkeit fehlt aber das nötige Hintergrundwissen. So sind sie der Missinformation mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.

Smith und Novella stellen auch die Frage nach der Mitverantwortung der Medien und der Wissenschaft. Lange Zeit wurde über HIV und AIDS ausschließlich als todbringende Seuche berichtet. Man müsste erst wieder eine Balance herstellen - zwischen der Ernsthaftigkeit der Krankheit und den Fortschritten in den Behandlungsmethoden.

Generell entstünde im Zeitalter des Internets eine immer größere Distanz zwischen Wissenschaft und ihrer öffentlichen Wahrnehmung. Genau dieses Vakuum wird von Verschwörungstheoretikern besetzt, die zusätzlich das generelle Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Einrichtungen schüren. Die Wissenschaft selbst sei also gefragt, ihre Rolle in der Gesellschaft besser zu verteidigen und zu propagieren.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 5.10.07
->   Tara C. Smith
->   Steven P. Novella
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01.01.2010