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Bilder der Wissenschaft: Ästhetisch und wirksam  
  Kunst und Wissenschaft haben mehr gemeinsam als oft angenommen. Beide arbeiten mit Bildern, in beiden Fällen ist Ästhetik ein zentrales Kriterium und ihre Grenzen verschwinden zunehmend, meint der Kunsthistoriker Jan Altmann. Er sieht bei wissenschaftlichen Bildern ein ständiges Wechselspiel von Wahrnehmung und Wirksamkeit, wie er in einem Gastbeitrag ausführt.  
Zur Ästhetik wissenschaftlicher Bilder
Bild: IFK
Robert Koch, Bakterien, 1877 (Mikrofotografie)
von Jan Altmann

Wissenschaftliche Bilder begeistern nicht selten durch ihre Schönheit. Sie bestechen durch Farben und Formen, wie sie einem sonst nur in Kunstmuseen begegnen.

Ein Beispiel derartiger Bilder sind die Fotografien und Computergrafiken des diesjährigen Visualization Challenge der Zeitschrift "Science" und der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF).

Mittlerweile ist es jedoch nichts Ungewöhnliches mehr, dass Bilder aus der Wissenschaft die in ihnen transportieren Fakten ästhetisch verpacken. Man braucht nur die Titelseiten einschlägiger Magazine zu betrachten oder Webseiten aus der Welt der Wissenschaft zu besuchen, um von der Brillanz solcher Bilder in den Bann gezogen zu werden.
Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst verschwimmen
Parallel dazu bedienen sich Mediakünstler wie Christa Sommerer und Laurent Mignonneau oder Fotografinnen wie Felice Frankel und Claudia Fährenkemper zur Anfertigung ihrer künstlerischen Arbeiten teurer und komplexer technischer Ausrüstungen wie sie nur in Forschungslabors vorhanden sind.

Zwischen Visualisierungen in Wissenschaft und Kunst, so scheint es, sind die Grenzen fließend geworden.

In Bezug auf die Darstellung von Bildern in der Wissenschaft stellt sich die Frage, ob besonders schöne Bilder aus der Wissenschaft auch die wissenschaftlich aussagekräftigsten sind.
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Veranstaltungs-Hinweis
Jan Altmann hält am Montag, den 22. Oktober 2007 um 18.00 c. t. am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Schöne Wirksamkeit. Zur Ästhetik wissenschaftlicher Bilder"
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   IFK
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3-D-Scan eines Schädels
 
Bild: Kai-hung Fung, Pamela Youde Nethersole Eastern Hospital

Die Computertomographie einer 33 Jahre alten Chinesin, die wegen einer Schilddrüsenerkrankung untersucht wurde, lieferte das Ausgangsmaterial für dieses Bild. Der Radiologe Kai-hung Fung in Hong Kong montierte 182 CT-Aufnahmen und schuf mit einer eigenen Methode das leicht veränderte und "Alien-artige" 3-D-Bild seiner Patientin. Es gewann 2007 den ersten Preis der "Visualization Challenge".
->   Visualization Challenge (Science)
->   Visualization Challenge (NSF)
Wie ästhetisch sind wissenschaftliche Bilder?
Viele Bilder, die uns heute besonders naturgetreu und damit wissenschaftlich erscheinen, wie die Naturstudien Albrecht Dürers oder Maria Sibylla Merians oder auch die um 1900 entstandenen Makro- und Mikroaufnahmen des Wiener Fotografen Martin Gerlach, sind nicht aus eindeutig wissenschaftlichen Zusammenhängen hervorgegangen oder waren vorrangig nicht für ein wissenschaftliches Publikum gedacht.

Demgegenüber können Bilder spröde, konstruiert und naturfern und folglich wenig wissenschaftlich erscheinen, obwohl sie aus explizit wissenschaftlichen Kontexten stammen, wie die Holzschnitte in Conrad Gesners Naturgeschichte der Tiere oder die mittels bildgebender Verfahren erzeugten Darstellungen in aktuellen naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften.

Bleibt die Frage, wie ästhetisch wissenschaftliche Bilder wirklich sind.
Wechselspiel von Wahrnehmung und Wirksamkeit
 
Bild: IFK

E.Coli-Bakterien, SEM (Scanning Electron Microscopy)

Versteht man unter "ästhetisch" nicht ausschließlich "schön" im Sinne von "wohlgefällig" oder "künstlerisch" und definiert man Ästhetik nicht als Philosophie der Kunst oder des Schönen, sondern als die "Lehre von den Sinnen", bezieht sich das Ästhetische auf das Sinnliche, auf das mit den Sinnen Wahrnehmbare.

Nimmt man eine solche Ästhetik für wissenschaftliche Bilder an, liegt ihre Wirksamkeit in der sinnlichen Erscheinung und deren Wahrnehmung. Zugleich besteht jedoch ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis, indem die sinnliche Erscheinung und Wahrnehmung wissenschaftlicher Bilder Bedingungen für ihre wissenschaftliche Wirksamkeit sind.

So besteht ein ständiges Wechselspiel von Wahrnehmung und Wirksamkeit wissenschaftlicher Bilder.
Besonders bei apparativ hergestellten Bildern
Darüber hinaus wurden und werden vielen ursprünglich wissenschaftlichen Bildern künstlerische Qualitäten zugesprochen. Umgekehrt kommt es oft vor, dass Kunstwerke mit bildgebenden Techniken angefertigt wurden, die normalerweise nur bei der Herstellung wissenschaftlicher Darstellungen Anwendung finden, und dass sie Sujets verwenden, die wir eher in der Welt der Wissenschaft vermuten würden.

Dies macht deutlich, wie nah Kunst und Wissenschaft beieinander liegen können. Besonders schwer ist die Grenze zwischen diesen beiden Welten bei apparativ hergestellten Bildern zu ziehen. Das liegt an ihrem hoch technischen, scheinbar so kunstfernen Herstellungsprozess.

Ein manuelles Eingreifen der künstlerischen Kreativität ist dabei nicht möglich, zumindest nicht direkt an der Stelle, an der sich letztendlich das Bild abzeichnet. Demgegenüber Umgekehrt ist bei scheinbar wissenschaftlichen Bildern oftmals nicht festzustellen, ob sie tatsächlich für einen spezifisch wissenschaftlichen Gebrauch gedacht waren. Beispiele davon lassen sich in der frühen Fotografie entdecken.
Älteste Daguerreotypie - eine Mikrokskopaufnahme

Als sei sie ein Emblem für die Verquickung von Kunst und Wissenschaft, ist die älteste erhaltene österreichische Daguerreotypie ausgerechnet eine Mikroskopaufnahme. Sie stammt von dem international renommierten Physiker und Mathematiker Andreas von Ettingshausen und gibt den Querschnitt durch den Stengel einer Clematis wieder.

Aufgenommen wurde diese Mikrodaguerreotypie während einer Sitzung der "Gesellschaft der Ärzte" am 5. März 1840 und bildet zweifellos eine der Pionierleistungen in der Geschichte bildgebender Verfahren.

Außerdem jedoch eröffnet sie als bildliche Komposition durch ihre Form und Erscheinung, aber auch durch ihren Bildgegenstand einen Raum für die künstlerischen Möglichkeiten des damals brandneuen Mediums Fotografie.

Dessen Ästhetik wiederum beschränkt sich nicht auf den Bereich der Kunst. Es gilt, die Bilder aus dem Bereich wissenschaftlicher Fotografie und anderer Bildtechniken ästhetisch in den Blick zu nehmen und herauszufinden, warum sie "so schön wirksam" sein können.

[18.10.07]
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Über den Autor
Jan Altmann studierte Kunstgeschichte, Philosophie, Europäische Ethnologie und Wissenschaftsgeschichte in Marburg, Zürich, Berlin und Paris. Er wurde 2005 in Berlin mit einer Arbeit zur visuellen Repräsentation von empirischem Wissen promoviert. Anschließend war er Postdoctoral Research Fellow am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und Visiting Scholar am Department of History and Philosophy of Science der Universität Cambridge. Zurzeit Research Fellow am IFK in Wien.
->   Jan Altmann (IFK)
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->   Weitere Beiträge des IFK in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010