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Transplantationen ohne Abstoßung  
  Die Organabstoßung ist eines der Hauptprobleme der Transplantationsmedizin. Drei Studien zeigen nun eine mögliche Lösung auf: Stammzellen "trainieren" das Immunsystem, fremde Organe als Teil des Körpers zu erkennen.  
Vier Nieren im Körper
In Österreich werden an fünf verschiedenen Spitälern Transplantationen durchgeführt. Ob Niere, Leber oder Herz - ein Problem ist bei allen Organverpflanzungen gleich: Das Immunsystem des Empfängers erkennt das neue Organ als Fremdkörper und versucht es abzustoßen. Wie heftig diese Reaktion ausfällt, hängt unter anderem von der Blutgruppe und den Gewebeeigenschaften des Spenderorgans ab.

Daher sind nahe Verwandte als Spender besonders geeignet, ihre Organe sind jenen des Patienten relativ ähnlich und halten so die immunologischen Probleme in einem erträglichen Ausmaß.

Berühmtes Beispiel dafür: Niki Lauda erhielt 1997 eine Niere von seinem Bruder, 2005 spendete ihm seine Lebensgefährtin eine weitere, mittlerweile trägt der Ex-Rennfahrer und Unternehmer vier Nieren in seinem Körper.
Medikamente mit massiven Nebenwirkungen
Um die Organe funktionsfähig zu erhalten, muss Lauda wie die allermeisten anderen Patienten Immunhemmer einnehmen. Die Medikamente verhindern zwar die Abstoßung bzw. Zerstörung des neuen Organs, sind allerdings mit massiven Nebenwirkungen verbunden.

"Manche Präparate sind nierentoxisch, andere lösen Bluthochdruck und erhöhte Blutfettwerte aus. In manchen Fällen kann es auch zu neurologischen Problemen kommen", sagt der Transplantationsmediziner Raimund Margreiter von der MedUni Innsbruck gegenüber science.ORF.at. "Bisher gab es nur sehr wenige Fälle, bei denen Patienten auf diese Medikamente verzichten konnten und eine spontane Immuntoleranz ausbildeten."

Die Gründe dafür seien nicht ausreichend verstanden, sagt Margreiter, klar sei jedenfalls: Die Tolerierung fremder Organe ohne Medikamente "ist der heilige Gral der Transplantationsmedizin".
Lösungsweg: Hybrides Immunsystem
Drei jüngst im Fachblatt "New England Journal of Medicine" (NEJM) veröffentlichte Studien zeigen nun einen möglichen Weg dorthin auf.

Alle drei orientieren sich an folgender Grundidee: Transplantiert man dem Empfänger neben dem neuen Organ auch blutbildende Stammzellen (aus denen diverse Immunzellen entstehen), dann entwickelt sich ein hybrides Immunsystem.

Die Folge: Die Immunzellen erkennen das neue Organ als Teil des "Selbst", die Abstoßungsreaktion bleibt aus.
Studien zeigen: Es funktioniert im Prinzip
Bisher wurde der Ansatz vor allem im Tierversuch erfolgreich angewandt, die neuen Studien weisen darauf hin, dass die Sache auch beim Menschen funktionieren könnte. Ein Team um Michael O. Stormon vom Children's Hospital in Sydney berichtet etwa vom Fall eines 9-jährigen Mädchens, dem nach einer Hepatitits- und Viruserkrankung eine neue Leber verpflanzt wurde. Durch die Krankheit sowie die Einnahme von Medikamenten wurde ihr Immunsystem zunächst so geschwächt, dass sie erneut gegen Masern und Mumps geimpft werden musste.

Stammzellen, die aus der neuen Leber ins Knochenmark eingewandert waren, lösten zur Überraschung der Forscher das Problem: Das Immunsystem regenerierte sich, die Patientin konnte die Medikamente absetzen, Probleme mit dem neuen Organ traten dennoch nicht auf. Ungewöhnlicher Nebeneffekt der spontanen Heilung: Das Mädchen hat heute eine andere Blutgruppe als in der Zeit vor dem Eingriff (NEJM 358, 369).

Ebenfalls optimistisch stimmt der Bericht von einem Team um Stanford-Forscher Samuel Stober. Er und seine Kollegen zerstörten beim Empfänger einer neuen Niere zunächst die T-Zellen des Immunsystems und transplantierten ihm dann mit Stammzellen angereichertes Fremdblut. Das Blut stammte, so wie die Niere, vom Bruder des Patienten.

Genetische Tests zeigten, dass mehr als zwei Jahr nach der Operation noch immer brüderliche Immunzellen in dessen Körper flottierten. Auch er konnte die Immunsuppressiva absetzen (NEJM 358, 362).
Verhaltener Optimismus
Von erfolgreichen Nierentransplantationen mit Stammzellenunterstützung berichten schließlich auch Mediziner um David Sachs vom Massachusetts General Hospital. Ihr Ansatz war dem ihrer Kollegen von der Stanford University durchaus ähnlich, mit einem wichtigen Unterschied: Die Spender waren nicht mit den Empfängern verwandt, trotzdem funktionierte die Methode in vier von fünf Fällen beim ersten Versuch (NEJM 358, 353).

Auch wenn diese Berichte Anlass zur Hoffnung geben mögen, dürfe man keineswegs in Euphorie verfallen, sagt Raimund Margreiter von der MedUni Innsbruck. Für ihn ist nach wie vor nicht ausgemacht, dass gerade die Verpflanzung blutbildender Stammzellen zum "heiligen Gral" führen wird.

Und selbst sein US-Kollege Samuel Stober, der diese Methode propagiert, relativiert gegenüber dem Newsdienst der Zeitschrift "Nature": Auch Knochenmarksverpflanzungen hätten ohne Zweifel Risiken - "man muss sie eben gegenüber den Risiken und Nebenwirkungen der üblichen Medikamente abwägen." Sollte die Methode weiterhin gute Ergebnisse bringen, könnte sie innerhalb von fünf bis zehn Jahren allgemein verfügbar sein, sagt Stober.

Robert Czepel, science.ORF.at, 24.1.08
->   Nature News
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01.01.2010