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Wie Stadtlärm den Vogelgesang verändert  
  Lärm ist neben Licht und Umweltverschmutzung eine der größten Belastungen für Stadtvögel. Wie sehr er sich auswirkt, wird immer deutlicher. Manche Tiere zwitschern lauter, andere höher, wieder andere singen jetzt nachts. Diese "sprachlichen" Veränderungen führen bei einigen Vögeln sogar zur Untreue und langfristig womöglich zu einer Ausdifferenzierung in ländliche und städtische Arten.  
Vogelforscher haben untersucht, was Vögel alles unternehmen, um sich in den immer lauter werdenden Städten doch noch Gehör zu verschaffen. Davon berichtet der "New Scientist" in seiner aktuellen Ausgabe (29.3.08).
Hörbare Veränderungen
Der steigende Geräuschpegel in unseren Städten ist für uns Menschen äußerst unangenehm und kann auch die Gesundheit gefährden Für Vögel allerdings entscheidet er mitunter über Leben und Tod, denn Lärm kann sowohl die Nähe eines Angreifers als auch Alarmrufe verdecken. Außerdem ist der Gesang ein wichtiges Instrument bei der Partnerwahl und der Abgrenzung von Territorien.

Wie nachhaltig der Lärm in das Leben der Vögel eingreift, wird laut einigen Forschern immer offensichtlicher. Während manche Arten sich verdrängen lassen, ändern andere einfach ihre Kommunikation. Diese Änderungen seien auch bereits hörbar.
Manche singen nachts oder einfach lauter
So hat etwa Richard Fuller von der University of Sheffield beobachtet, dass manche Rotkehlchen mittlerweile nicht mehr morgens, sondern nachts singen. Dabei war gerade der Morgen früher die beliebteste Gesangszeit, der Verkehrslärm macht das zunehmend unmöglich.

Ursprünglich machte man in erster Linie die Lichtverschmutzung für dieses geänderte Verhalten verantwortlich. Laut Fuller hat aber der Tageslärm viel größere Auswirkungen, die Nachtsänger tauchten nämlich vor allem in den lautesten Stadtgebieten auf.

Nachtigalle haben einen anderen Weg gewählt, den Lärm zu bekämpfen. Sie singen einfach lauter, wenn das ihren lieblichen Melodien auch nicht gerade entgegen kommt. Der englische Ornithologe Henrik Brumm hat beobachtet, dass Nachtigalle in Berlin durchschnittlich 14 Dezibel lauter singen als ihre ländlichen Geschwister, zusätzlich wächst die Lautstärke proportional zum steigenden Umgebungslärm.
Wechsel in höhere Frequenzen
Neben diesen recht offensichtlichen Strategien, sich Gehör zu verschaffen, gibt es auch subtilere Methoden. Da die Stadt besonders im unteren Frequenzbereich - zwischen ein und drei Kilohertz - sehr laut ist, vermeiden Amseln, Sperlinge oder Hausfinken neuerdings diese niederen Töne und werden so wieder hörbarer.

Auch die Kohlmeise geht diesen Weg. Fünf Jahre lang hat Hans Slabbekoorn von der Universität Leiden ihr Leben in Städten untersucht. Demnach singen die Vögel in den lauten Stadtteilen in deutlich höheren Frequenzen als in den ruhigen. Im Vergleich zur Landbevölkerung lag die Durchschnittsfrequenz von Stadtvögeln etwa 200 Hertz höher
Flexibles Repertoire ist von Vorteil
Die Fähigkeit, den Gesang zu ändern, ist für Stadtvögel mittlerweile eine sehr wertvolle Eigenschaft. Vogelarten, die ihr ganzes Repertoire bereits im Nest lernen, sind heute eindeutig im Nachteil. Anderen fehlen körperliche Voraussetzungen, so können der Kuckuck, die Goldamsel und der Hausspatz gar nicht in höhere Frequenzen wechseln.

Kohlmeisen und Sperlinge hingegen können ihre Lieder immer wieder verändern und so optimal an den Kontext anpassen. Erfolgreiche neue Gesänge verbreiten sich dann weiter, wenn die Jungen den Erwachsenen zuhören.

Laut Slabbekoorn passiert das auch im natürlichen Umfeld. So singen etwa Vögel, die in der Nähe von Flüssen oder Wasserfällen leben, auch in höheren Frequenzen. Noch seien derartige Anpassungen gelernte Reflexe. Aber langfristig könnte es durchaus genetische Veränderungen geben, nachdem der Vogelgesang für Überleben und Reproduktion entscheidend ist.
Anpassung führt zu Artendifferenzierung
Wenn sich der Gesang auf lange Sicht so stark verändert, dass sich Vögel aus der Stadt und vom Land vielleicht nicht mehr erkennen, könnte dies dazu führen, dass sich ganze Populationen teilen, in einen ländlichen und einen städtischen Zweig.

Manche Wissenschaftler glauben, dass dies bei der europäischen Amsel bereits der Fall ist. Slabbekoorn und seine Kollegen untersuchen daher, ob die Stadtamsel mehr auf ihresgleichen oder auch auf die ländlichen Verwandten reagiert. Zumindest seien schon erste Anzeichen einer Artendifferenzierung zu erkennen.
Unerwartete Auswirkungen auch beim Verhalten
Zusätzlich hat der Lärm noch andere unerwartete Auswirkungen. So treibt er etwa die eigentlich treuen Zebrafinken zum Ehebruch. Sie erkennen und orten ihren Partner anhand seiner Rufe. Der US-amerikanische Forscher John Swaddle hat beobachtet, dass der steigende Lärm diese Laute unhörbar macht und so die monogame Beziehung bedroht.

Auch bei jenen, die sich scheinbar erfolgreich anpassen, geschieht das nicht ganz schadlos. Lauter zu singen, verbraucht etwa mehr Energie und muss daher oft kürzer sein, was mitunter Aufmerksamkeit kosten kann. Auch sanftere Töne, wie sie etwa während der Paarung der Kohlmeise vorkommen, müssen laut Slabbekoorn den hörbaren Liedern weichen.

Wie sehr sich der Lärm letztlich auf Gesang, Leben und Vielfalt der Tiere auswirken wird, kann laut den Forschern heute noch nicht abgeschätzt werden.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 27.3.08
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01.01.2010