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Marienkult: Wichtiger Faktor der Kolonialisierung  
  Dass Jesus aus Sicht der Katholiken unbefleckt empfangen wurde, ist weithin bekannt. Weniger bekannt ist, dass dies auch für seine Mutter Maria gilt. Der Glaube an die unbefleckte Empfängnis hat entscheidend dazu beigetragen, die Geschichte des Christentums vom Judentum zu trennen.  
Und das hatte weitreichende Konsequenzen, erklärt die italienische Historikerin Luisa Accati in einem science.ORF.at-Interview. Zum einen befindet sich hier eine Wurzel des christlichen Antisemitismus. Zum anderen begann so der Marienkult.

Maria, die keine Verbindung mehr hatte zu ihren Eltern, wurde zum Symbol für die Kirche. Die spanischen Kolonialisten von Lateinamerika machten sich dieses Marienbild im 17. Jahrhundert zunutze - und löschten die indigenen Kulturen aus wie die Verbindung von Maria zu ihren Eltern gelöscht wurde.
science.ORF.at: Ich bin wie viele andere Österreicher katholisch erzogen worden, mein zweiter Vorname lautet sogar Maria, dennoch habe ich von Marias Eltern Joachim und Anna nie etwas gehört. Woher kommt meine Ignoranz?

Luisa Accati: Ich würde sagen, Sie befinden sich in guter Gesellschaft, dieses Nichtwissen ist weit verbreitet. Diese Geschichte ist historisch in Vergessenheit geraten, man findet auch nur noch ganz wenige Darstellungen von Joachim und Anna. Es gibt ein Gemälde von Giotto, eine Skulptur befindet sich auch in Wien am Hohen Markt. Die wenigsten werden das Sujet als solches erkennen, die Bilder gibt es zwar, aber die dazugehörige Geschichte wurde vergessen. Und dieses Vergessen wurde geschichtlich produziert.
Wie und warum ist das geschehen?

Das war im 16. und 17. Jahrhundert, also zu jenem historischen Zeitpunkt, als es darum ging, die Macht des Staates zu konstruieren - dabei wurde das Wissen über die Abstammung von Maria gezielt zerstört. Ziel war es, die Position des Vaters zu schwächen, um die symbolische und reale Macht in der Person des Monarchen oder des Souveräns zu konzentrieren. Alle anderen lokalen und regionalen Formen des Patriarchats und der Herrschaft wurden delegitimiert.

Zugleich musste man einen Ausgleich schaffen, um das soziale Gefüge aufrechtzuerhalten. Und so ist das Verhältnis zwischen Untertan und Souverän jenem von Mutter und Kind nachempfunden worden: Untertanen, die nicht reif werden, denn das würde Emanzipation bedeuten.
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Luisa Accati war vor kurzem Gast des Instituts für Wissenschaft und Kunst (IWK) und der Sigmund Freud Privatstiftung in Wien. Im Sigmund Freud Museum hielt sie den Vortrag "Dominante Mütter".
->   Institut für Wissenschaft und Kunst
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In Ihrem Buch "Das Monster und die Schöne" betonen Sie dabei die Bedeutung Spaniens, warum ist Spanien für diese Entwicklung ein besonders gutes Beispiel?

Spanien dominiert im 17. Jahrhundert die Geschichte. Die spanischen Könige haben die Päpste enorm beeinflusst, um das Dogma der unbefleckten Empfängnis durchzusetzen. Der Hintergrund: Die spanische Krone hat als Kolonialmacht vor allem in Lateinamerika versucht, unterschiedliche Völker in einen einheitlichen symbolischen Rahmen zu bringen und sich dabei der Kirche bedient. Das beginnt mit Karl V und geht bis zum 19. Jahrhundert, wo das Dogma dann wirklich ausgerufen wurde.
Dieses Dogma birgt auch einige Überraschungen für den theologisch nicht so Sattelfesten.

Ja, die meisten Menschen glauben, dass es darum geht, dass Maria Jesus unbefleckt empfangen hat. Dabei bedeutet es, dass sie selbst unbefleckt empfangen wurde und somit wie Jesus von der Erbsünde befreit ist.
Welche praktischen Konsequenzen hatte das?

Maria ist nicht mehr an ihren Vater Joachim gebunden, damit ist auch jede Beziehung zum Judentum gebrochen. Die spanischen Könige haben die Vorstellung der unbefleckten Empfängnis deshalb forciert. Sie wiederholen in Lateinamerika das, was das Christentum mit dem Judentum gemacht hat.

Maria ist die entscheidende Figur: Sie hat weder eine leibliche Beziehung zu Josef, ihrem Mann, noch zu ihrem jüdischen Vater. Ehemann und Vater wurden symbolisch ausgelöscht. Und damit auch die Verantwortung des Christentums, das natürlich viel von der jüdischen Tradition übernommen hat.

Es gibt eine Parallele zwischen dem christlichen Antisemitismus und dem, was bei der Kolonialisierung geschehen ist. Auch hier wurde bei Null begonnen. Die spanischen Könige wollten keine Verantwortung übernehmen für die Aufnahme der indigenen Kulturen Lateinamerikas, sondern sie wurden einfach ausgelöscht. Auch hier wurde gesagt: Wir kümmern uns nicht um die Väter, die für das kulturelle Erbe stehen, sondern um die Mütter und Kinder, die als Nullpunkt eingesetzt wurden.

 
Bild: Luisa Accati

In Ihrem Buch illustrieren Sie dieses Vergessen und den Wechsel des Marienbildes anhand von Darstellungen aus der Kunstgeschichte. Können Sie dazu ein paar Beispiele anführen?

Es gibt zwei Arten, die Empfängnis Mariens darzustellen. Das eine ist die passive Empfängnis, das andere die Zeugung, der aktive Vollzug. Bei Giotto (Bild links) etwa findet sich ausgedrückt durch die Umarmung von Anna und Joachim - beide mit einem Heiligenschein - noch eine Metapher für die fleischliche Vereinigung, für die Zeugung. Diese fehlt bei Tiepolo (Bild rechts) komplett, seine Darstellung ist ein Beispiel für die Unbefleckte Empfängnis, wie sie sich ab der Zeit der Gegenreformation immer mehr durchsetzt. Es gibt keinen Bezug zum Geschlechtsakt mehr, Maria ist einfach die empfangene Tochter.

Aber sie ist zugleich auch die ewig Schwangere, die gemäß dem göttlichen Entwurf von allem Anfang und in alle Ewigkeit Schwangere. Und das ist die Kirche, die Mutter, die ihre Kinder nicht auslässt. In Italien ist das z. B. auch im realen Leben sehr stark verbreitet, Mütter sind dominant, die Kinder lösen sich nur ganz schwer von ihnen ab.

Das hat psychologische Konsequenzen, kann aber auch politisch genutzt werden. Die Untertanen, die immer unreife Kinder bleiben, folgen den Befehlen. Bei jeder gesunden Mutter-Kind-Relation findet ein Ablösungsprozess statt, und damit auch ein Infragestellen der Autorität.
Maria ist ein ambivalentes Symbol für die Kirche. Die Macht der realen Väter wird durch diese sehr dominante Frauenfigur gebrochen und zugleich die Macht der Kirchenmänner begründet.

Die Ambivalenz liegt an der gregorianischen Reform vom elften Jahrhundert, als das zölibatäre Modell als das moralisch höherwertige eingeführt wurde. Die Priester sind ja keine normalen Männer, sie dürfen nicht heiraten, keine Familien gründen. Ihre große Leistung besteht im Verzicht. Die Kirchenmänner können zu Frauen keine Beziehung mehr als Väter oder Ehemänner haben, sondern nur noch als Söhne. Und die Wahl von Maria, einer Frauenfigur, für die Kirche ist in gewisser Weise eine Kompensation für den Ausschluss, den sie erfahren.

Die entscheidende Frage aber ist: Woher kommt die Macht? Vom persönlichen Standpunkt aus muss man sagen: von den Müttern selbst - die Angst, verlassen oder nicht akzeptiert zu werden, die Abhängigkeit von der Mutter ist die ursprünglichste Erfahrung von uns allen.

Wer diese ursprüngliche Macht auf eine symbolische Ebene verlagern kann, wer sie verwaltet, der hat die absolute Macht. Und das ist, was die Kirchenmänner in der Gegenreformation auch durchsetzen, danach brauchen sie keine Heere mehr, arrangieren sich mit dem säkularen Staat und weiten ihre Macht über das soziale Gefüge aus.
Wie weit reicht diese Macht der Kirche heute noch - wenn Sie etwa an die höchst umstrittene Frage der Abtreibung denken?

Benedikt XVI hat wie sein ideologischer Zwillingsbruder und Vorgänger Johannes Paul II mehrfach gesagt, dass Abtreibung wie die Shoah sei. Das ist natürlich aus historischer Sicht betrachtet eine skandalöse Behauptung, über die sich auch alle aufgeregt haben, aber sie haben sich nicht gefragt, was das eigentlich bedeuten soll.

Was heißt Abtreibung? Damit ist eine Mutter gemeint, die ihr Kind nicht empfängt. Und die Juden sind jene Kinder, die nicht von der Kirche empfangen werden, die nicht zu ihr gehören. Also bedeutet die Gleichung von Abtreibung und Shoah, dass alle Kinder, die nicht von der Kirche empfangen werden, Gefahr laufen, umgebracht zu werden.

Zugleich sind das auch wütende Angriffe gegen alle patriarchalen Institutionen, nicht zuletzt auf den Staat. Sie tragen immer dieses Erbe mit, dass der erste Vater, der angegriffen wurde, der jüdische Vater war. Angriffe wie diese sind deshalb immer auch antisemitisch codiert.


Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 3.4.08
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Buch zum Thema
Von Luisa Accati ist 2006 im trafo Verlag Berlin das Buch "Das Monster und die Schöne" erschienen, eine Übersetzung des italienischen Originals aus dem Jahr 1998 von Klaus Neundlinger. Accati analysiert darin die Folgen der Idealisierung des Marienkultes ab dem 15. Jahrhundert.
->   Mehr über das Buch (trafo Verlag)
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->   Luisa Accati, Universität Triest
->   Sigmund Freud Museum
 
 
 
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01.01.2010