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Auch Weiterbildung bei atypisch Beschäftigten "prekär"  
  Soziale Unterschiede in der Gesellschaft spiegeln sich auch im Zugang von Menschen zu Weiterbilungsangeboten. Während Angestellte in einer relativ komfortablen Situation sind, weil viele Betriebe in den Ausbau ihrer Kompetenzen investieren, erhalten atypisch Beschäftigte kaum Unterstützung. Das Versagen des Bildungssystem wird damit in der Weiterbildung prolongiert, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Karin Steiner in einem Gastbeitrag.  
Bildungsferne Schichten: Kaum Zugang zu Weiterbildung
Von Karin Steiner

Wer beruflich aufsteigen will, muss sich weiterbilden - ein Leben lang, so lautet unisono das mediale und bildungspolitische Credo.

Unter dieser glatt polierten Oberfläche, den lächelnden Gesichtern auf den Plakatwänden, die dank einschlägiger Kurse beruflich aufgestiegen sind, verbergen sich freilich die Untiefen einer Gesellschaft, die immer stärker in Bildungsgewinner und -verlierer zu zerfallen droht.
"Denn wer hat, dem wird gegeben"
Je höher das Bildungsniveau, desto häufiger bilden Menschen sich weiter. 2006 gaben in einer Befragung 21 Prozent der Akademiker an, in den letzten vier Wochen einen Kurs besucht zu haben.

Kein Wunder: Man darf unterstellen, dass ihre Einstellung zu Bildung positiv ist. Ihr gesamter Habitus, ihr Denken, Handeln, ihr Lebensstil ist durch ihr Studium geprägt.
"Wer aber nicht hat ..."
Ein Drittel der Österreicher zwischen 15 und 65 Jahren hat nur einen Pflichtschulabschluss. Es überrascht nicht, dass diese Gruppe auch bei der Teilnahme an Weiterbildung an hinterster Stelle liegt.

Nur fünf Prozent antworteten auf die Frage, ob sie in den letzten vier Wochen einen Kurs besucht haben, mit "ja".
Hürden in der Weiterbildung
Ja, die AK bietet Pflichtschul- und Lehrabsolventen einen Weiterbildungsgutschein an. Aber ob lediglich ein Kurs pro Jahr den betrieblichen Aufstieg fördert? Eine umfangreichere Förderung, wie etwa durch das Programm FRECH des WAFF (für Frauen ohne Matura-Abschluss) muss frau mitfinanzieren. Auch bei der so genannten Ziel 2-Förderung des AMS (für Ältere bzw. gering Qualifizierte) muss der Betrieb nicht nur die Kurszeit als Arbeitszeit finanzieren, sondern auch die Kosten für die Weiterbildung mittragen.

Diese Hürden halten die Beschäftigten und Betriebe davon ab in Weiterbildung zu investieren - ganz zu schweigen von der Abneigung bildungsferner Schichten gegenüber schulähnlichen Erfahrungen. Angesichts der geringen Weiterbildungsquote der Pflichtschulabsolventen liegt der Schluss nahe, dass ihnen diese Förderungen kaum helfen.
->   Alle Kursförderungen auf einen Blick
Geringe Qualifikation, kaum Weiterbildung
Die Weiterbildungskluft findet sich selbst bei atypisch Beschäftigten. Nur drei Prozent der Betriebe investieren in die Weiterbildung von Leiharbeitern, sofern sie diese überhaupt beschäftigen, 14 Prozent in die von geringfügig Beschäftigten.

Unter Leiharbeitern finden sich vor allem Migranten und niedrig Qualifizierte. Unter geringfügig Beschäftigten finden sich v.a. Frauen mit Kinderbetreuungspflichten, die häufig an oder unter der Armutsgrenze leben.
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Neue Selbstständige - bessere Perspektiven
Die Quote der Betriebe, die Werkvertragsnehmern Weiterbildung finanzieren, liegt mit 14 Prozent gleich hoch wie bei den geringfügig Beschäftigten. Bei den freien DienstnehmerInnen ist sie mit 19 Prozent sogar noch höher. Diese Zahlen überraschen zunächst, sind doch die Neuen Selbständigen betrieblich kaum eingebunden. Da sie aber über ein höheres Qualifikationsniveau verfügen, sind sie trotz höherer sozialer und arbeitsrechtlicher Unsicherheit (weiter-)bildungsaffiner und weniger gefährdet, Zeit ihres Lebens prekär beschäftigt zu sein.
->   Wiener Beschäftigungs- und Qualifizierungsmonitor (WAFF)
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Angestellte haben's besser
Angestellte verfügen meist über ein mittleres Bildungsniveau. Betriebe investieren bei weitem mehr in deren Weiterbildung als bei atypisch Beschäftigten. Bei Teilzeitbeschäftigten sind es 40 Prozent der Betriebe, 30 Prozent sogar regelmäßig.

Obwohl bisher noch nicht erhoben, ist anzunehmen, dass noch wesentlich mehr Betriebe die Weiterbildung ihrer Vollzeitbeschäftigten finanzieren.
->   Studie zu Neuen Erwerbsformen in Wien
Problem bei der Wurzel packen
Es gibt auf dem Arbeitsmarkt - trotz allem Gerede von der Wissensgesellschaft - immer noch eine Reihe von Jobs, für die es reicht, wenn man dafür angelernt wird.

Was den gering Qualifizierten ungleich mehr helfen würde als ein Computerkurs, ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz, eine verstärkte Kontrolle betrieblicher Vorschriften (Pausen, Arbeitszeit usw.), die Bezahlung von Überstunden oder Zeitausgleich sowie die Möglichkeit zur Umschulung (Recht auf berufliche Rehabilitation!), wenn der bisherige Job aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausgeübt werden kann.
Bevor das Kind in den Brunnen fällt
So unerlässlich Weiterbildung an sich ist, darf sie nicht so verkauft werden, als ob sie strukturelle soziale Probleme lösen könnte, die unter anderem durch das Versagen des Schul- und Ausbildungssystems zustande kommen. Damit werden hierzulande schon zu Beginn des Berufswegs Ungleichheiten festgeschrieben. Die bestehende Bildungskluft wird derzeit durch Weiterbildung faktisch vergrößert, keinesfalls geschlossen.

Entsprechende Kurse helfen nur dann, wenn alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit erhalten, eine verwertbare berufliche Ausbildung abzuschließen. Weder die Schule noch die Lehrbetriebe haben sich dieser gesellschaftlichen Verantwortung bis heute gestellt. Von gleichen Chancen am Arbeitsmarkt mithilfe von Weiterbildung zu schwadronieren, ist letztlich nur zynisch.

[30.4.08]
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Zur Autorin
Die Soziologin Karin Steiner ist Geschäftsführerin des Vereins abif - Analyse, Beratung und interdisziplinäre Forschung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Entwicklungen am Arbeitsmarkt und Bildungssektor, Auswirkungen neuer Technologien sowie die Evaluation von Bildungs- und Arbeitsmarktmaßnahmen.
->   abif
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01.01.2010