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Gebärdensprache: An Unis unterrepräsentiert  
  Wer als Gehörloser oder Schwerhöriger an Österreichs Hochschulen studiert, stellt sich einer großen Herausfordung: Denn Gebärdensprache ist - sowohl als Alltags-, als auch Wissenschaftssprache - nach wie vor unterrepräsentiert. Barbara Hager und Florian Katzmayr vom Verein österreichischer gehörloser Studierender (VÖGS) gaben per E-Mail Auskunft über den Alltag Gehörloser und Schwerhöriger an den Unis, das limitierte Dolmetschbudget und die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Gebärdensprache.  
Wie viele gehörlose Studierende gibt es in Österreich? Sind sie alle im Verein österreichischer gehörloser Studierender (VÖGS) organisiert?

Barbara Hager: Wir schätzen, dass derzeit 15 gehörlose Gebärdensprachige in Österreich studieren. Es gibt aber viele schwerhörige bzw. gehörlose Studierende, denen die Unterstützung des VÖGS nicht bewusst ist.

Warum gibt es in Österreich nur wenige gehörlose und schwerhörige Studierende?

Hager & Katzmayr: Die Lehrer der Gehörlosen- und Schwerhörigenschulen trauen den Schülern Matura und Studium nicht zu. Meist wird nur über die Lehre informiert.
An welcher Hochschule ist die Situation für gehörlose und schwerhörige Studierende Ihrer Erfahrung nach am besten, wo am schlechtesten?

Hager: An der Sozialakademie gibt es die beste, an der TU Wien mäßige, an der Uni Wien wenig Unterstützung und an der WU Wien gibt es keinen Behindertenbeauftragten.

Wo studieren die meisten? Gibt es dominante Disziplinen?

Katzmayr: An der Uni Wien sind die Studienrichtungen Psychologie und Pädagogik relativ stark vertreten, an den Akademien und Fachhochschulen jene für Sozialarbeit und Pädagogik.
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Gebärdensprache an Österreichs Unis
2002 ist die erste gedruckte Grammatik der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) erschienen - verfasst vom "Forschungszentrum für Gebärdensprache und Hörgeschädigtenkommunikation" an der Universität Klagenfurt. Seit dem Wintersemester 2002 gibt es an der Universität Graz ein offizielles und vollwertiges ÖGS-Dolmetschstudium - initiiert von der "Arbeitsgruppe für Gebärdensprache und Gehörlosenkultur".

Ab dem Wintersemester 2008/09 tritt an der Universität Wien das "Erweiterungscurriculum Österreichische Gebärdensprache" in Kraft - die erste Möglichkeit für Pädagogikstudierende in Wien, zwei Jahre lang diese Sprache auf universitärem Niveau als Zusatzqualifikation zu erlernen.
->   Forschungszentrum
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->   Arbeitsgruppe
->   Erweiterungscurriculum
Wie werden neue Fachvokabel in der Gebärdensprache entwickelt?

Hager: Wenn ein Fachvokabel in der Lehrveranstaltung oft erklärt und besprochen wird, entwickelt die gehörlose Studierende mit Kollegen und eventuell Dolmetschern eine Gebärde zu diesem Fachwort. Die Arbeitsgruppe Gebärdensprache an der Universität Graz hat das nunmehr dritte Lexikon für Fachgebärden entwickelt und als Videoclips auf DVD herausgebracht. Es beinhaltet 294 Fachwörter, die im Ausbildungs- und Schulsystem immer wieder vorkommen.

Gibt es eine Lingua Franca, wie das Englische in der Laut- und Schriftsprache?

Hager & Katzmayr: Internationale Gebärden (International Sign, IS) sind eigentlich eine künstliche Sprache wie Esperanto. Verschiedene Gebärden aus unterschiedlichen Ländern sind kombiniert. Die IS wird als Kommunikationsform von Gehörlosen aus unterschiedlichen Ländern untereinander verwendet.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative:
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Was waren für Sie die größten Hürden im Unibetrieb und was war unterstützend?

Hager: Ich konnte die Vorlesungen nicht mitverfolgen, da die Vortragenden ziemlich schnell sprechen und ich beim Lippenlesen nicht mitkam. Ich hatte wenige Kollegen, die mich selbstverständlich unterstützten. Studienkollegen, die für mich als Tutoren arbeiten, schrieben in der Vorlesung für mich mit und nachher wiederholten wir den Inhalt gemeinsam. In Seminaren war der Dolmetschereinsatz ausschlaggebend für mich, damit ich die Gespräche und Referate der Kolleginnen und Lehrenden mitverfolgen konnte.

Katzmayr: Genau. Die größten Hindernisse sind Vorlesungen und Übungen, in denen Vortragende zu schnell sprechen. Es steht nicht genug Dolmetscherbudget zur Verfügung. In der FH konnte ich zwei Vorlesungen pro Woche finanzieren, obwohl ich pro Woche an mindestens acht Vorlesungen teilnehmen musste. Zum Glück hatte ich einen Studienkollegen, den ich sehr gut verstehen konnte und der eine große Unterstützung für mich war.
Was hat sich in der Österreichischen Gebärdensprache verändert, seit es gehörlose Akademiker gibt?

Katzmayr: Die ÖGS hat sich seither extrem weiterentwickelt, vor allem im Bereich Fachvokabular. Durch den internationalen Austausch kommen immer mehr fremde Gebärden (Fremdwörter) vor.

Hager: Die ÖGS wird bekannter und diese Sichtbarkeit ist nicht nur an der Uni extrem wichtig.
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Studie zur Österreichischen Gebärdensprache
Die sozialwissenschaftliche Studie "Sprache Macht Wissen" wurde im Jahr 2006/2007 durchgeführt. Ziel des von Verena Krausneker und Katharina Schalber durchgeführten Projekts war es, den Ist-Zustand des österreichischen Bildungswesens für gehörlose und hörbehinderte Menschen aufzuzeigen, mit besonderem Fokus auf die sprachlichen Aspekte und die Verwendung der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS).
->   Studie
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Haben Sie schon einmal an einem Forschungsprojekt mitgewirkt?

Katzmayr: Ich habe in Telearbeit ein Forschungsprojekt an der Universität in Toulouse beim Programmieren unterstützt.

Katzmayr & Hager: In Österreich haben wir bis jetzt noch in keinem Forschungsprojekt mitgewirkt, aber wir haben schon etliche Interviews gegeben.
In welchen Disziplinen könnte ÖGS besonders gut eingesetzt werden und wo besteht der größte Forschungsbedarf?

Katzmayr: Auch wenn man die Lautsprache Deutsch beherrscht, bleibt sie für Gehörlose eine Fremdsprache. In der Gebärdensprache können sich Gehörlose sicher ausdrücken. Technische Hilfsmittel wie E-Learning-Videos mit ÖGS-Dolmetschern und Untertiteln können eine Unterstützung sein. In Technik und Naturwissenschaften ist die ÖGS derzeit leider noch nicht so gut entwickelt.

Hager: Eingesetzt werden kann die ÖGS überall und ebenso besteht in jeder Disziplin Forschungsbedarf. Bis jetzt ist die ÖGS im Sozialbereich gut vertreten. Im Ausbildungsbereich wird es langsam besser.

Astrid Kuffner, 11.8.08
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Florian Katzmayr (28)
ist Absolvent der FH für Informationstechnik in Wiener Neustadt studiert seit 2005 an der Uni Wien und der Technischen Universität Wien Informationsmanagement. Er unterrichtet ÖGS im Polycollege und beim Österreichischen Roten Kreuz, engagiert sich in E-Learning Projekten für Gehörlose und ist Kassier des VÖGS.
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Barbara Hager (28)
studiert Psychologie an den Unis Salzburg und Wien und schreibt derzeit an ihrer Diplomarbeit zum Thema "Emerging Adulthood bei Gehörlosen und Hörenden". Die Vorsitzende des VÖGS engagiert sich auch im Verein VITA (zur Förderung Gehörloser und Schwerhöriger Frauen/Gebärdensprachlerinnen) und arbeitet als Bildungsberaterin für Gehörlose und Schwerhörige im Polycollege.
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->   Verein Gehörloser Studierender
->   Gehörlosenbund
->   Kompetenzzentrum
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010