News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Körperwahrnehmung: Messbare Folgen von Selbsttäuschung  
  Das Bewusstsein, dass unser Körper mit all seinen Teilen tatsächlich zu uns gehört, ist uns wesentlich. Viele Erkrankungen können diese Selbstwahrnehmung erheblich beeinträchtigen. Forscher haben nun nachgewiesen, dass das bei gesunden Menschen durch eine simple Selbsttäuschung möglich ist - und sogar messbare körperliche Folgen hat.  
Bei Menschen, die eine Gummihand für ihre eigene hielten, führte dies nämlich zu einem signifikanten Abfall der Temperatur in der echten Hand. Das könnte eine neue Erklärung für ähnliche Symptome bei Kranken liefern.
...
Die Studie "Psychologically induced cooling of a specific body part caused by the illusory ownership of an artificial counterpart" von G. Lorimer Moseley et al ist am 26. August in den "Proceedings of the National Academy of Science" (DOI: 10.1073/pnas.0803768105) erschienen.
->   Studie
...
Komplettes Körperbild ist Teil des Ichs
Dass unser Körper zu uns gehört, ist für die meisten von uns selbstverständlich und für unser Ichbewusstsein maßgeblich. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Krankheiten, die die Selbstwahrnehmung mehr oder weniger stark beeinträchtigen können. Dazu zählen neurologische und psychiatrische Erkrankungen wie Schlaganfälle, Schizophrenie, Autismus, Epilepsie, aber auch Magersucht und Bulimie.

Gleichzeitig kommt es dabei häufig zu einer Störung des Temperaturhaushalts, was auf eine krankheitsbedingte Schädigung von Gehirnstrukturen zurückgeführt wird. Diese Erscheinungen treten allerdings oft nur sehr lokal auf.

Das brachte die Wissenschaftler rund um G. Lorimer Moseley vom Department of Physiology, Anatomy and Genetics der Oxford University zu ihrer Hypothese: Die Störung der Temperaturregulierung könnte eine Folge der gestörten Körperwahrnehmung sein.
Körperliche Folgen der gestörten Wahrnehmung
Unter dieser Annahme müsste eine Beeinträchtigung auch bei gesunden Menschen dieselben körperlichen Konsequenzen haben.

Zur Überprüfung verwendete das Team eine bereits bekannte experimentelle Anordnung. Dabei wird den Teilnehmern suggeriert, eine Gummihand sei ihre eigene. Dafür wird diese vor der Versuchsperson auf den Tisch gelegt, während die echte Hand verborgen wird.

Diese Art von Illusion macht sich die Tatsache zunutze, dass das menschliche Gehirn optische und gefühlte Informationen sozusagen unter einen Hut bringen möchte.
Künstliches Objekt als Teil des Körpers
Bei einem der bekanntesten Experimente dieser Art wird gleichzeitig über die verborgene Hand und die Gummihand gestrichen. Das führt dazu, dass die Testpersonen das Gefühl haben, die Berührung käme von der Gummihand und ihre eigene Hand befände sich viel näher bei dieser als dies tatsächlich der Fall ist.

In gewisser Weise nehmen sie das künstliche Objekt als Teil ihres Körpers wahr. Welche Folgen das allerdings für den echten Körperteil hat, wurde bisher noch nicht untersucht.
->   The Rubberhand Illusion (YouTube)
Selbsttäuschung führt zu Temperaturabfall
Im aktuellen Experiment verglichen die Forscher die Hauttemperaturen der versteckten Hand während und nach der Selbsttäuschung durch die Gummihand. Während der Illusion war sie um bis zu 0,27 Grad Celsius niedriger. Je realer die Illusion den Teilnehmern erschien, desto deutlicher war der Temperaturabfall.

Darüber hinaus stellte das Team rund um Moseley fest, dass die Täuschung die taktile Wahrnehmung zeitlich verzögert. Durch verschiedene Zusatztests wurden laut den Forschern andere Ursachen für die Veränderungen - wie etwa eine allgemeine körperliche Reaktion oder gesteigerte Aufmerksamkeit auf die Hand - ausgeschlossen.
Körperliche Reaktionen eng ans Bewusstsein geknüpft
Das Ausmaß des Temperatureffekts gleicht dabei in etwa jenem, den man bei Schizophreniepatienten gemessen hat. Das ist laut den Wissenschaftler besonders erstaunlich, da es sich bei den Testpersonen um neurologisch gesunde Menschen handelt, die natürlich wissen, dass die Gummihand nicht ihre ist, auch wenn es sich so anfühlt.

Die Ergebnisse würden zeigen, wie eng der bewusste Sinn für den eigenen Körper mit der physiologischen Regulierung des Körpers verknüpft ist. Störungen der Temperaturregulierung müssen also nicht unbedingt eine Folge von Beeinträchtigungen des Zentralnervensystems sein.

Vielmehr seien offenbar höhere kognitive Prozesse beteiligt, welche die Vorstellungen über unseren Körper betreffen.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 26.8.08
->   Department of Physiology, Anatomy, and Genetics (Oxford University)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Wie die Fantasie unsere Wahrnehmung prägt (4.7.08)
->   Phantomschmerz: Bein-Illusion wirkt sich im Gehirn aus (22.2.08)
->   Wie man den eigenen Körper verlässt (24.8.07)
->   Studie: Wie sich das Gehirn "verzaubern" lässt (20.11.06)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010