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Gehörlose Menschen fühlen Sprache im Kiefer  
  Menschen, die seit längerem gehörlos sind, können ihr Sprachvermögen bewahren. Das Gefühl in ihrem Kiefer sagt ihnen, ob sie korrekt sprechen oder nicht, berichten kanadische Wissenschaftler.  
"Eines der großen Mysterien unserer Sprache ist, dass Menschen, die im Erwachsenenalter ihr Gehör verlieren, trotz der Abwesenheit von Lauten oder Geräuschen weiterhin jahrelang sprechen können", sagte David Ostry, Forscher an der McGill University in Montreal, gegenüber dem Online-Dienst von "New Scientist". In einem Experiment hat er dieses Mysterium nun erklärt.
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Die Studie "Speech motor learning in profoundly deaf adults" ist am 14. September 2008 in "Nature Neuroscience" erschienen (doi:10.1038/nn.2193).
->   "Nature Neuroscience"
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Neuer Ansatz in der Forschung
Die meisten Studien, die sich mit Sprache beschäftigen, gehen von der Idee aus, dass Fehler in der Sprache anhand von gehörter Information korrigiert werden. Dass Sprache auch einen motorisch-sensorischen Aspekt hat, wurde bislang eher vernachlässigt.

David Ostry hat sich nun näher mit diesem neuen Ansatz beschäftigt und kam zu einem interessanten Ergebnis: Ähnlich einem Tennisspieler, der vom Gefühl in seiner Hand her weiß, ob er den Ball gut getroffen hat oder nicht, können Menschen spüren, ob sie korrekt sprechen.
Störender Roboter
 
Bild: Nature Neuroscience

Sechs gehörlose Menschen halfen den Wissenschaftlern bei ihrem Experiment. Dadurch konnte ausgeschlossen werden, dass die Versuchspersonen Fehler in ihrer Sprache hören und sie deshalb korrigieren.

Für den Versuch mussten die Testpersonen einfache Wörter von einem Bildschirm ablesen. Dabei war an ihrem Kiefer ein kleiner Roboter befestigt, der sie während des Sprechens leicht schubste (siehe Grafik). Diese Stöße waren schwach sehr und wurden deshalb von vielen Testpersonen nicht bewusst wahrgenommen.
Gutes Gefühl, korrekte Sprache
Dennoch reagierten die Versuchspersonen auf den störenden Roboter. Nachdem sie hunderte von Wörtern abgelesen hatten, korrigierten sie die Position des Kiefers so, dass die kleinen Stöße abgedämpft wurden und sich das Sprechen wieder richtig anfühlte.

Für Ostry ein Zeichen, dass der Einfluss von motorisch sensorischen Faktoren auf Sprache größer ist als bisher angenommen: "Wenn man spricht, sind die richtigen Bewegungen genauso wichtig wie eine deutliche Sprache. Es geht nicht nur darum, dass es richtig klingt, es muss sich auch richtig anfühlen."
Neue Therapien möglich
Jeffery Jones, ein Gehirnforscher an der Wilfrid Laurier University in Waterloo, Canada, geht dabei noch weiter: "Es könnte sein, dass sich gehörlose Menschen ganz auf das Gefühl in ihren Muskeln verlassen, um korrekt zu sprechen", sagte er gegenüber "New Scientist" Online.

Diese neue Erkenntnis könnte auch praktischen Nutzen haben und neue Formen der Therapie ermöglichen. "Es lohnt sich, in Therapien zu investieren, die sich auf die Bewegung des Kiefers konzentrieren", sagte Ostry. Geht es nach den kanadischen Forschern, könnte dieser neue Ansatz Menschen mit Sprachproblemen - wie z.B. Stottern - helfen.

Sebastian Schrottenbach, science.ORF.at, 15.9.08
->   David J. Ostry - McGill University
->   Jeffery Jones - CNC Laboratory
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01.01.2010