News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Sozialwissenschaft: Nebenbeschäftigung Doktorat  
  Doktoren und Doktorinnnen verdienen in Österreich doppelt so viel wie der österreichische Durchschnitt, hieß es vor kurzem in einer Untersuchung von Statistik Austria. Wie es Sozialwissenschaftlern geht, die gerade dabei sind, ihre Doktorarbeit zu schreiben, hat nun eine Studie an der Universität Wien analysiert.  
Dabei zeigte sich, dass für 80 Prozent das Studium ohne Erwerbstätigkeit nicht finanzierbar ist und nur rund 20 Prozent ein Stipendium bekommen.

55 Prozent der Doktorandinnen und Doktoranden arbeiten mehr als 30 Stunden pro Woche, ein Drittel lebt von weniger als 1.000 Euro netto pro Monat.

Das Doktorat wird unter diesen Umständen zu einer "Nebenbeschäftigung". Geld bekommt die Funktion eines Selektionsmechanismus, meinen die beiden Studienautorinnen Petra Ziegler und Doris Bammer in einem E-Mail-Interview.
science.ORF.at: Wenn mehr als die Hälfte der Doktoranden über 30 Stunden pro Woche arbeitet, unter welchen Bedingungen entstehen dann die wissenschaftlichen Texte?

Petra Ziegler: Das Doktorat und die Berufstätigkeit sind für den Großteil der Befragten schwer zu vereinbaren, vor allem wenn eine Arbeitszeit von rund 30 Wochenstunden überschritten wird. Für Doktorandinnen kommt noch eine zusätzliche Erschwernis hinzu - die Vereinbarkeit mit den Betreuungspflichten.

Doris Bammer: Die Lösungsansätze reichen von Arbeiten am Wochenende bzw. im Urlaub bis zur Unterstützung durch die Ehefrau, die sich um Haushalt und Kindererziehung kümmert. Oft wird auch von der Notwendigkeit eines Zeitmanagements oder einer genauen Planung gesprochen: strikt die eigenen Zeitressourcen einzuteilen, Prioritäten zu setzen und die Akzeptanz, wenig Freizeit zu haben. Darüber hinaus muss jedoch berücksichtigt werden, dass eine Berufstätigkeit für viele gewünscht ist und sie kein Vollzeit-Doktorat anstreben. In manchen Fällen ist das Doktorat ohne zusätzliche finanzielle Einnahmenquelle schlicht nicht durchführbar.
science.ORF.at: Wieviel verdienen die Befragten durchschnittlich?

Petra Ziegler: Laut der Onlinefragebogenerhebung knapp ein Drittel zwischen 500 und 1.000 Euro netto pro Monat, rund ein Viertel zwischen 1.000 und 1.500 Euro und ein Fünftel zwischen 1.500 und 2.000 Euro.

Doris Bammer: In den Interviews wurde auch die Frage nach dem Einkommen und einer Existenzsicherung thematisiert . Dabei fällt auf, dass der überwiegende Teil über finanzielle Einkommensprobleme spricht. Nur rund ein Viertel der Befragten sagt, dass sie keine finanziellen Engpässe haben.
...
Die Studie
Für die Studie wurden 115 Doktoranden der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien mittels Onlinefragebogen sowie zwölf Studierende durch Leitfadeninterviews befragt. Sie wurde im Auftrag des Graduiertenzentrums Sozialwissenschaft der Uni Wien und der Arbeiterkammer Wien von der in{}fem Forschungswerkstatt für feministische Interdisziplinarität durchgeführt (Autorinnen: Christa Markom, Petra Ziegler und Doris Bammer).
->   Graduiertenzentrum Sozialwissenschaften, Universität Wien
...
science.ORF.at: Mit weniger als 1.000 Euro lässt es sich schlecht leben. Was bedeutet das konkret, verzichten die Studierenden auf ihren Urlaub zugunsten von Büchererwerb oder ähnliches?

Petra Ziegler: Interessant ist, dass das Auskommen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln von einem Siebtel mit "sehr gut", einem knappen Drittel mit "gut", einem weiteren Drittel mit "mittel" und einem Fünftel mit "weniger gut" bis "gar nicht gut" beschrieben wird. D.h. das Auskommen mit den - wenn auch geringen - vorhandenen finanziellen Mitteln wird von einem Großteil der Doktoranden und Doktorandinnen in der Onlinebefragung positiver bewertet als zu erwarten wäre - in den Einzelinterviews wird dies allerdings differenzierter diskutiert.

Doris Bammer: Thematisiert werden dort von einem Großteil vor allem das Sparen beim Einkauf von Essen, beim Wohnen und bei sogenannten Luxusgütern, aber auch Existenzängste durch befristete Dienstverträge oder Stipendien. Die Studierenden problematisieren zudem teure Ausgaben für Bücher oder Kopierkosten sowie hohe Teilnahmegebühren für Konferenzen und finanzielle Belastungen bei längeren Forschungsaufenthalten. Geld erhält dabei die Funktion eines Selektionsmechanismus: Fehlen die entsprechende finanziellen Ressourcen, ist man schnell ausgeschlossen und somit benachteiligt. In diesem Sinne werden von einigen Interviewten mehr Förderungen gefordert.
science.ORF.at: Gibt es abgesehen davon noch andere Wünsche der Befragten und wer sind die Adressaten dieser Wünsche?

Doris Bammer: Die Studierenden haben viele und zum Teil auch widersprüchliche Wünsche, was vor allem an ihren unterschiedlichen Lebenssituationen liegt. Vorgeschlagen werden: verstärkte Unterstützungen im administrativen Bereich, eine größere Auswahl an institutsübergreifenden Lehrveranstaltungen, bessere Finanzierung und stärkere Einbindung an der Universität.

Zusammenfassend ist ein Doktorat gewünscht, das unterschiedliche Zugänge, Motive und Interessen gemeinsam mit disziplin- und dissertationsspezifischen Bedürfnissen vereint. Die Anliegen richten sich an die Politik und die zuständigen Ministerien, an Förderstellen und deren Vergaberichtlinien sowie an das wissenschaftliche Universitätspersonal und die Universitätsverwaltung bzw. -leitung.
science.ORF.at: Welche Perspektiven sehen die Doktoranden? Machen sie den Doktor, damit sie einmal in ihrer Wissenschaft arbeiten können, womöglich zu besseren Konditionen als zurzeit, oder sind sie eher skeptisch was ihre eigene Zukunft betrifft?

Petra Ziegler: Über die Hälfte ist bereits in einem wissenschaftlichen Berufsfeld tätig, an einer Universität, Fachhochschule oder außeruniversitären Forschungseinrichtung. Bei den Gründen, warum das Doktoratsstudium begonnen wurde, liegen "Interesse am Fach", "um die wissenschaftliche Ausbildung vertiefen zu können" sowie "um in der Wissenschaft arbeiten zu können" auf den vorderen Plätzen.

Doris Bammer: Grob lassen sich die Beweggründe einerseits in beruflich wissenschaftliche Interessen einteilen, wie die internationale Bedeutung eines Doktortitels gegenüber eines nur im deutschsprachigen Raum gültigen Mag.a/Mag.-Titels und die Zunahme an wissenschaftlicher Anerkennung durch die Scientific Community bei Absolvierung eines Doktorats. Die beruflichen Perspektiven im wissenschaftlichen Feld werden kritisch und tendenziell pessimistisch eingeschätzt. Andererseits werden auch weiterbildungstechnische Überlegungen erwähnt, mittels denen man sich berufliche Aufstiegschancen oder höheres gesellschaftliches Prestige erwartet. Dies trifft vor allem auf jene Interviewten zu, die nicht im wissenschaftlichen Berufsfeld verortet sind. Die beruflichen Perspektiven werden von ihnen positiver beurteilt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 13.10.08
...
Präsentation der Studie
Im Rahmen der Semester-Eröffnungstage des GZ Sowi werden die Gesamtergebnisse der Studie vorgestellt: Am Dienstag, 14. Oktober, 19 Uhr, diskutieren außer- und inneruniversitäre Experten und Expertinnen beim Podiumsgespräch "DoktorandInnen in den Sozialwissenschaften zwischen Berufstätigkeit und Studium" in der Aula am Campus der Universität Wien (Hof 1, Spitalgasse 2, 1090 Wien).
...
->   in{}fem Forschungswerkstatt
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Doktoren verdienen doppelt so viel wie Durchschnitt
->   Höhere Bildung führt zu deutlich mehr Einkommen
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010