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Angstschweiß überträgt Angst  
  Pheromone spielen in der Tierwelt eine wichtige Rolle. Der Geruch dieser chemischen Lockstoffe dient der Kommunikation und Partnerwahl. Wie und ob sie auch beim Menschen wirken, ist unter Biologen umstritten. Eine neue Studie lässt nun aufhorchen: Ihr zufolge gibt es Angstpheromone, deren Wirkung sich im Gehirn eindeutig nachweisen lässt. Angstschweiß erweist sich buchstäblich als ansteckend.  
Erstmals sei die neurobiologische Wirkung von Alarmpheromonen bei Menschen bewiesen, reklamiert ein Team um Lilianne Mujica-Parodi von der Stony Brook University laut dem "New Scientist" für sich.
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Noch unveröffentlichte Studie
Die entsprechende Studie "Second-Hand Stress: Neurobiological Evidence for a Human Alarm Pheromone" wurde bei "Nature" am 24.11. zur Publikation eingereicht. Auf der Preprint-Plattform "Nature Precedings" ist sie bereits zu finden.
->   Die Preprint-Studie
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Zwei Schweißproben
Für ihre Studie haben Mujica-Parodi und ihre Kollegen 144 Freiwilligen Schweißproben aus den Armhöhlen entnommen, als sie gerade ziemlich unter Stress standen: beim Sprung aus einem Flugzeug in vier Kilometer Höhe und dem darauffolgenden ersten Tandemfallschirmsprung ihres Lebens.

Proben des dabei nachvollziehbarerweise entstandenen Angstschweißes haben die Forscher dann im Labor in einen Zerstäuber gepackt. Ebenso Kontrollproben von "angstfreiem Schweiß", der von Versuchspersonen stammte, die auf einem Laufband gelaufen waren.
Reaktion im Gehirnscanner untersucht
Eine zweite Gruppe von Freiwilligen hatte daraufhin die zweifelhafte Ehre, an den beiden Geruchsproben schnuppern zu dürfen. Und zwar während sie in einem Magnetresonanztomografen lagen, der ihre Gehirnaktivitäten verfolgte.

Das Ergebnis: Die Furchtzentren des Gehirns, Amygdala und Hypothalamus, waren beim Riechen des Angstschweißes signifikant aktiver als bei den Kontrollproben.
Emotionaler Stress ist ansteckend
Ob sie tatsächlich Angst verspürt haben, kann laut dem "New Scientist" nicht gesagt werden: Die Forscher hätten die Probanden nicht danach gefragt, um die Ergebnisse ihrer Studie nicht zu beeinflussen.

Dennoch lasse die gemessene Gehirnreaktion den Schluss zu, dass es "einen verborgenen biologischen Bestandteil menschlicher Sozialdynamik geben kann, in dem emotionaler Stress buchstäblich 'ansteckend' ist".

Am subjektiven Geruchseindruck kann diese Ansteckung nicht liegen: Denn eine weitere Studie zeigte, dass beide Schweißsorten von den Probanden als sehr ähnlich - unangenehm - empfunden wurden.
Erhöhte Unterscheidung von Gefahr
Die unterschiedliche Gehirnaktivität liegt laut den Forschern also bei der emotionalen Verarbeitung und nicht bei der olfaktorischen. Um diesen Gedanken zu überprüfen haben sie ihre Probanden daher in einem letzten Schritt mit einem Test von "ambivalenter Gefahr" konfrontiert.

Sie zeigten ihnen eine Reihe von Bildern, auf denen Männer mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken - von neutral bis gefährlich - zu sehen waren. Danach mussten die Versuchsteilnehmer die Gesichter bewerten ("eher gefährlich", "eher neutral" ...).

Es zeigte sich, dass jene, die zuvor am Angstschweiß schnuppern mussten, eine viel stärkere Unterscheidung bei der Einschätzung trafen. Normalschweiß-Riecher differenzierten weit weniger auf der Gefahrenskala.
Der evolutionäre Sinn ...
Und das beantwortet auch die naheliegende Frage nach dem möglichen "evolutionären Sinn", die Schweiß als Botschafter von Angst haben kann: Er erhöht die Aufmerksamkeit des Menschen und schärft sein Urteilsvermögen von Gefahrensituationen.

Was die Forscher in ihrer Studie nur kurz andeuten, wollte Lilianne Mujica-Parodi gegenüber science.ORF.at nicht näher erläutern: Sie möchte dem Peer-Review-Prozess ihrer Studie nicht vorgreifen.
... und der militärisch-praktische
Einen weniger evolutionären, sondern praktischen Sinn könnte der Geldgeber der neuen Studie verraten: das amerikanische Militär. Sollte es gelingen, das Angstpheromon zu isolieren und gezielt einzusetzen, ist zumindest die Phantasie grenzenlos: zitternde feindliche Soldaten, ganze Armeen, die wie verängstigte Kuhherden herumirren?

Laut der US-Militärforschungsbehörde DARPA gibt es keine Pläne, die in diese Richtung gehen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 4.12.08
->   Lilianne Mujica-Parodi, Stony Brook University
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01.01.2010