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"Gehirnjogging" ist erblich  
  Geistiges Training vor der Schwangerschaft könnte einer Studie zufolge auch dem Nachwuchs zugutekommen. Mäusemütter, die während ihrer Kindheit gefördert wurden, bekommen demnach klügere Kinder.  
Einbahnstraße genetischer Information
Es gab Zeiten, da beriefen sich Biologen auf den "ersten Hauptsatz der Molekularbiologie". Das sollte an die Thermodynamik erinnern und wohl auch ein wenig vom Glanz der physikalischen Exaktheit auf die Biologie übertragen.

Mittlerweile ist es allerdings recht ruhig geworden um diesen Satz, der besagt: Der Informationsfluss in der lebenden Zelle ist eine Einbahnstraße. DNA kann zur RNA überschrieben werden, daraus macht die Zelle wiederum Proteine - und in weiterer Folge ein ganzes Lebewesen. Umgekehrt, vom Körper zu den Genen, fließt hingegen keine Information. Somit sollten die Erfahrungen, die Tiere im Lauf ihres Lebens machen, keinen Einfluss auf ihre Gene haben.
Lernen: Genetische Defizite ausgleichen
Haben sie aber doch, wie Larry Feig von der Tufts University in einer Studie im "Journal of Neuroscience" (Bd. 29, S. 1.496) zeigte - zumindest bei Mäusen. Feig führte Versuche mit Nagern durch, denen zwei Gene namens ras-grf1 und ras-grf2 aus dem Erbgut entfernt woden waren. Dieser Eingriff beeinträchtigte ihr Erinnerungsvermögen; Feig fand allerdings heraus, dass man das Defizit relativ einfach kompensieren kann, indem man die Tiere in einer entsprechend angereicherten Umgebung großzieht.

"Angereichert" heißt im Fall von Mäusen, dass sie während ihrer Kindheit neues Spielzeug bekommen, Kontakte zu Artgenossen unterhalten und sich ausreichend bewegen können. Das genügt offenbar, um das Gehirn für Lerntests im Erwachsenenalter fit zu machen - trotz des genetischen Defekts.
Erbliche Gedächtnisleistung
Dabei hat es Feig aber nicht belassen. Er und seine Mitarbeiter wiederholten die Tests mit den Kindern der geförderten Versuchsmäuse. Überraschenderweise schnitten auch diese bei Gedächtnistests besser ab, obwohl sie selbst niemals mit der stimulierenden Umwelt in Kontakt gekommen waren. Um sicherzugehen, dass der Effekt nichts mit der Aufzucht der Mütter zu tun hat, wurde ein Teil der Mäusekinder auch (ungeförderten) Leihmüttern übergeben - das Ergebnis blieb das gleiche.

Der Schluss daraus: Kindliche Förderung verändert zwar nicht die DNA-Sequenz, aber immerhin die Aktivität gewisser Gene, die mit dem Gedächtnis zusammenhängen. Und dieser epigenetische Effekt wird von den Müttern offenbar an die Kinder weitergegeben. Weiter allerdings nicht: Bei den Enkeln ist dann kein Bonus mehr feststellbar, wie die US-Forscher schreiben.
Schlag nach bei Lamarck
"Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass es eine 'Vererbung erworbener Eigenschaften' gibt, wie erstmals von Jean-Baptiste de Lamarck zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorgeschlagen wurde. Allerdings ist dieses Konzept nicht mit der klassischen Mendel'schen Genetik verträglich. Sie behauptet, dass wir Eigenschaften nur durch bestimmte DNA-Sequenzen unserer Eltern bekommen", so Feig.

"Der Verwerbungsweg, auf den wir uns beziehen, ist ein epigenetischer. Das heißt, die Umwelt bewirkt chemische Veränderungen an den Chromosomen, und diese Veränderungen werden an den Nachwuchs weitergegeben."

Das wirft zwei Fragen auf: Könnte der Effekt auch bei gesunden Mäusen auftreten? Und, was noch wichtiger ist, vielleicht auch bei Menschen? Bei gesunden Mäusen habe man tatsächlich ähnliche Effekte entdeckt, sagte Feig im Gespräch mit science.ORF.at. Bisher allerdings nur bei einzelnen Neuronen. Was Gedächtnis und andere "höhere" geistige Leistungen betrifft, suche man noch nach passenden Tests.

Im Bezug auf den Menschen sei die Sache ungleich schwieriger. Feig: "Momentan wissen wir einfach nicht, ob es so etwas auch beim Menschen gibt."

Robert Czepel, science.ORF.at, 4.2.09
->   Larry Feig
->   Epigenetik - Wikipedia
->   Jean-Baptiste de Lamarck - Wikipedia
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01.01.2010