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"Sorosoro": Digitale Refugien für bedrohte Sprachen  
  Rozenn Milin ist Französin, aber ihre Muttersprache ist Bretonisch. "Meine Sprache ist vom Aussterben bedroht, aber sie ist zumindest sehr gut dokumentiert", sagt sie. Zahlreiche andere Sprachen drohen einfach spurlos zu verschwinden.  
Die französische Chirac-Stiftung, gegründet vom ehemaligen Präsidenten Jacques Chirac, setzt sich dafür ein, diese Sprachen per Video für die Nachwelt festzuhalten. Dabei handelt es sich um eine Ergänzung des von der UNESCO erarbeiteten Weltatlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen, dessen neue Ausgabe am Donnerstag in Paris vorgestellt wird.
Nur mehr acht Sprecher
"Es gibt 6.000 Sprachen auf der Welt, und jede zweite davon ist vom Aussterben bedroht", erläutert Milin. Die meisten davon seien nicht einmal verschriftlicht.

"Wenn eine Sprache stirbt, dann gehen auch die Kultur und die Traditionen verloren, die mit ihr verbunden sind", sagt Milin, die für die Chirac-Stiftung das Projekt Sorosoro leitet. Sorosoro ist ein Wort der Sprache Araki, die nur noch von acht Menschen auf der Pazifik-Insel Vanuatu gesprochen wird. Es heißt übersetzt Sprache, Wort oder Atem.
Ziel: Digitale Enzyklopädie
Ende Jänner waren ein Sprachwissenschaftler und ein Kameramann ins westafrikanische Gabun gereist. Sie kamen mit mehr als 60 Stunden Filmmaterial zurück, das zwei bedrohte Sprachen dokumentiert: Benga und Mpongwe werden jeweils nur noch von wenigen Tausend Menschen gesprochen werden. "Wir stellen den Menschen Fragen und lassen sie von ihrem Alltag berichten", erläutert Milin. "Sie erzählen von ihrer Arbeit, von religiösen Zeremonien, aber wir sammeln auch mythologische Erzählungen und Stammeslegenden."

Als nächstes werde ein Team ins lateinamerikanische Guatemala reisen, wo mehrere Maya-Sprachen vom Verschwinden bedroht sind. Das Filmmaterial soll zu Kurzfilmen aufgearbeitet und ins Internet gestellt werden. "Wir wollen auf lange Sicht eine digitale Enzyklopädie erstellen", erklärt Milin.
Neuguinea: Hotspot der Vielfalt
Die sprachliche Vielfalt in der Welt ist in den vergangenen Jahrhunderten bereits deutlich zurückgegangen. Völkerwanderungen, Kolonialisierung und Kriege haben dazu beigetragen, dass einige wenige Sprachen immer dominanter wurden. Heute werden 96 Prozent der Sprachen von nur vier Prozent der Menschheit gesprochen. Besonders deutlich ist die Dominanz im Internet: Etwa 90 Prozent der Inhalte sind in einer von lediglich zwölf Sprachen abgefasst.

Die pazifische Inselgruppe Papua-Neuguinea gilt als die Region mit den meisten Sprachen. Die 3,6 Millionen Menschen dort sprechen insgesamt mehr als 800 Sprachen, von denen viele untereinander nicht verwandt sind. Ein Teil von ihnen wird allerdings nur noch von weniger als 200 Menschen gesprochen. In Europa sind vor allem die keltischen Sprachen wie Gälisch und Walisisch sowie das Baskische gefährdet.
Reanimiertes Hebärisch
Die 1997 in Köln gegründete Gesellschaft für bedrohte Sprachen unterstützt ihrerseits wissenschaftliche Vorhaben, um Sprachen zu dokumentieren. Sie listet für Deutschland etwa das Saterfriesische, das Nordfriesische und das Sorbische als bedrohte Sprachen auf. "Das Friesische ist nicht etwa ein deutscher Dialekt, sondern eine eigenständige germanische Sprache", heißt es auf ihrer Website.

Hierzulande gibt es eine ähnliche Initiative auf Wortebene: Die Website www.unsere-sprache.at hat sich der Sammlung und dem Schutz von Austriazismen verschrieben - dort finden sich neben den bekannten Erdäpfeln auch Begriffe wie "Agraseln", "Potschamper" und "wurlert".

Eine ausgestorbene Sprache wiederzubeleben, hat bislang übrigens nur einmal zum Erfolg geführt: In Israel wird heute wieder ganz selbstverständlich Hebräisch gesprochen, eine Sprache, die lange Zeit nur in religiösem Kontext verwendet wurde.

[science.ORF.at/dpa, 18.2.09]
->   Fondation Chirac
->   Gesellschaft für bedrohte Sprachen
->   unsere-sprache.at
->   Liste bedrohter Sprachen - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010