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Wie kommt das Unbewusste in die Maschine?
Techniker versuchen es - mit Hilfe Sigmund Freuds
 
  Maschinen bauen mit Bewusstsein - und sogar Unbewusstem wie beim Menschen: Dieses verwegene Ziel verfolgt ein Projekt am Institut für Computertechnik der TU Wien seit knapp zwei Jahren. Vorbild für die interdisziplinäre Forschungsgruppe ist Sigmund Freuds Modell der Psyche.  
Dass es aber nicht ganz einfach ist, "Es, Ich und Über-Ich" in Maschinen einzubauen, geben die beiden Projektleiter und Computertechniker Dietmar Bruckner und Gerhard Zucker sowie die Psychoanalytikerin Brit Müller im Gespräch mit science.ORF.at zu.

Bevor es etwa automatisierte Küchen gibt mit Gefühlen und Affekten, haben die Forscher in einem ersten Arbeitsschritt virtuelle Lebewesen programmiert: Die sogenannten Bubbles "leben" bereits mit Trieben und Verboten.
science.ORF.at: Psychoanalyse und Computer - Wie ist es zu diesem Projekt gekommen?

Dietmar Bruckner: Idee des Projektes ist es, ein technisches Modell der menschlichen Psyche zu bauen. Wir kommen aus dem Feld der Gebäudeautomatisierung. Da existiert das Problem, dass Systeme bei großen Gebäuden immer komplexer werden, mit bis zu 50.000 Computerknoten, die nötig sind, um das Gebäude zu steuern. Es geht beispielsweise um Belüftung und Heizung. Uns beschäftigt, wie man nun solche Systeme kontrollieren kann, ohne dass eine Person unzählige Knoten überwachen muss. Dafür hat es bisher in der Automatisierungstechnik keine Werkzeuge gegeben. Daher haben wir nach komplexen Systemen in der Natur gesucht, die beherrschbar sind. Gefunden haben wir den menschlichen Verstand.

Gerhard Zucker: Innovativ ist an diesem Ansatz sicherlich, dass es nicht länger, wie in der Künstlichen Intelligenz, um Teilprozesse geht, sondern wirklich um die Erstellung eines Gesamtmodells menschlichen Denkens, mit der Annahme, daraus technische Systeme bauen zu können, die ebenso funktionieren. Ursprünglich ging es in der Künstlichen Intelligenz immer darum, einen Algorithmus für Teilprozesse zu finden, durch den möglichst schnell und effizient ein bestimmtes Ziel erreicht wird. Wir gehen jetzt den umgekehrten Weg, indem wir uns erst einmal ein ganzheitliches Modell anschauen, der so genannte Top-Down Ansatz.
Was kann das Modell Sigmund Freuds dazu beitragen?

Dietmar Bruckner: Aus technischer Sicht ist das Praktische an Freud, dass er der Einzige war, der ein funktionales Modell hatte. Es gibt also Funktionseinheiten, die miteinander interagieren - genau so, wie man auch Computer beschreibt. Diese Modellierung kommt uns natürlich sehr entgegen. Wir wollten jedoch nicht alte Fehler wiederholen und uns fachfremdes Wissen autodidaktisch aneignen oder Begriffe aus einer Theorie herausreißen, sondern haben bewusst Kooperationen mit Psychoanalytikern gesucht, um uns das psychische Modell in ein technisches übersetzen zu lassen.
->   Freuds topisches Modell
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Der aktuelle Forschungsstand im interdisziplinären Austausch von Computertechnologie und Psychoanalyse ist auch im neuen Buch "Simulating the Mind" nachzulesen.
->   Simulating the Mind
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Nun geht es bei Freud ja auch verstärkt um den menschlichen Umgang mit Emotionen und auch tabuisierten Inhalten. Wäre das im Bereich der Technik nicht eher ein Störfaktor?

Gerhard Zucker: Wenn wir von industriellen Situationen reden, wo ein Roboter ganz klar definierte Handlungen ausführen soll, kann man sicher davon sprechen, dass die Abbildung menschlichen Denkens zu Fehleranfälligkeit führen würde, weil der menschliche Verstand nicht vorhersagbar ist. Gleichzeitig gibt es aber viele Bereiche, in denen man genau diese Unvorhersagbarkeit braucht, da man ein System nicht so programmieren kann, dass es auf jede Möglichkeit der realen Welt reagiert. Roboter sollten selbständig abstrahieren können, um sich in einer widersprüchlichen Welt zurechtzufinden.

Dietmar Bruckner: Es ist ja eine große Stärke des Menschen, dass er am Anfang sehr unbedarft an Dinge herangeht, aber extrem lernfähig ist, um diese Fehler dann nicht mehr zu machen. Ein heutiger Industrieroboter ist das nicht. Wenn man ihn einschaltet, muss alles vorgegeben sein, was diesem Roboter passieren kann.

Gerhard Zucker: Wir diskutieren auch über Affekte und Triebe, die man in technischen Systemen normalerweise überhaupt nicht findet. Was uns aber interessiert, ist die Modellbildung der Psychoanalyse, weniger das Therapeutische.

Brit Müller: Die Triebdynamik ist sehr stark in dem Projekt berücksichtigt. Zum Beispiel was mit Informationen passiert, die abgewehrt werden müssen oder wieder ins Unbewusste verschoben werden.
Geht es also tatsächlich darum, ein künstliches Bewusstsein zu entwickeln?

Gerhard Zucker: Das wäre ein Wunsch, den wir langfristig haben. Es gibt kein Messgerät für Bewusstsein, sondern man beurteilt das von außen am Verhalten. Diese Diskussion ist so alt wie die Künstliche Intelligenz selbst: Wann ist ein System intelligent? Wir sind heute noch nicht so weit, dass Maschinen reflexive Aussagen über sich selbst treffen können. Aber wir reden von Programmen, die in Maßen in der Lage sind, zu lernen und sich zu entwickeln. Die Struktur ist vorgegeben, aber einzelne Module, wie etwa die Fähigkeit bestimmte Merkmale zu erkennen, können sich eigenständig verändern, sodass ein Roboter zum Beispiel Objekte, die er wahrnimmt, klassifizieren und identifizieren kann.

Dietmar Bruckner: Ich möchte mich auch noch nicht festlegen darauf, ob jeder Roboter später ein Bewusstsein brauchen wird, viele aber schon. Bei Freud ist das Bewusste ja nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Prozesse laufen nach ihm unbewusst ab, und auch die grundlegenden Denkprozesse laufen in erster Linie unbewusst ab. Wir behaupten nicht, Maschinen ein gleiches Bewusstsein wie ein Mensch einzuhauchen, sondern schauen uns an, wie beim Menschen die Psyche funktioniert, machen davon ein Modell, und integrieren es in eine Maschine.

Brit Müller: Im Sinne der Technik müssen wir alles fest definieren, wo man in der Psychoanalyse eigentlich weiß, dass es viele verschiedene Theorien gibt. Im Vordergrund steht da auch das technische Bedürfnis, kausale Ketten herzustellen. Erst kommt ein Schritt und dann der nächste. Hierfür kann man Freuds Stufenfolge von körperlichen Abläufen, die dann zu Trieben und Bedürfnissen führen, heranziehen. Dieser Vorgang lässt sich über das Unbewusste, das ES, gut nachvollziehen.
Wie kann man sich das nun praktisch vorstellen?

Gerhard Zucker: Neben Sicherheitssystemen arbeiten wir z.B. derzeit an einer intelligenten, automatisierten Küche. Dabei war es unmöglich, in einem Schritt vom Freudschen Modell auf die Gebäudeautomatisierung zu kommen und die Gefühle und Triebe der Küche zu definieren. Wir haben jetzt einen Zwischenschritt gewählt und programmieren derzeit virtuelle Lebewesen, an denen wir das Modell ausprobieren. Wir nennen sie "Bubbles". Ihre virtuelle Welt wird natürlich von uns definiert, es ist aber nicht vorherzusagen, was diese Bubbles tun werden, wenn man ihnen ein Es mit bestimmten Trieben und auch ein Über-Ich, das Ihnen Handlungen verbietet, programmiert. Der erste Schritt ist derzeit, diese Bubbles lebensfähig zu machen, um anschließend zu schauen, wie man die Prozesse optimieren kann, sodass sie auch von sich aus beginnen, Tätigkeiten nachzugehen, wie Nahrungssuche und Interaktion mit anderen Bubbles.

Dietmar Bruckner: Wir können uns in der Simulation jeden einzelnen Parameter anschauen, wie er sich über die Zeit verhält und mit welchen anderen er interagiert, sodass psychische Abläufe dann auch beobachtbar werden können.
Es muss aber für diesen psychischen Apparat von außen eine Norm gesetzt werden.

Brit Müller: Das ist in der Tat das große Problem für die Psychoanalyse. Was ist schon gesund? Auch die Frage des Geschlechts ist noch nicht ganz berücksichtigt. Das muss man kulturabhängig sehen und wir orientieren uns derzeit an für unsere Breitengrade angepassten, realitätsangemessenen Reaktionen. Die Verdrängungen müssen so funktionieren, dass keine gröberen Symptome daraus entstehen.

Gerhard Zucker: Ein schwer psychotischer Bubble wäre für uns nicht interessant, denn wir wollen ja zu einem Programm kommen, das zum Beispiel die Küche steuern kann.

Tobias Körtner, Ö1 Wissenschaft, 11.3.09
->   Dietmar Dietrich, TU Wien
->   Gerhard Zucker, TU Wien
->   Brit Müller, TU Wien
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Techniker und Psychoanalytiker wollen Psyche "nachbauen"
->   Rückblick auf das Freud-Jahr 2006 (27.12.06)
 
 
 
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01.01.2010