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Spannung durch Spannung bei E.T.A. Hoffmann
Elektrizität als Fundgrube für die Literatur
 
  Wissenschaft und Kunst waren um 1800 viel stärker verbunden als heute. Physikalische Experimente und Geisterbeschwörungen wurden oft in ähnlicher Weise öffentlich inszeniert. Auch bei einem der wichtigsten Romantiker der deutschen Literatur spielte die Wissenschaft eine große Rolle: Wichtige Themen bei E.T.A. Hoffmann wurden auf Basis der damals neuen Lehren von Elektrizität und Optik verhandelt.  
Der Germanist Rupert Gaderer vom ICI Kulturlabor Berlin beschäftigt sich in einem neuen Buch mit diesen populären Inszenierungen von technischem Wissen.

In einem science.ORF.at-Interview spricht er über die Elektrostatik in Hoffmanns Roman "Lebens-Ansichten des Katers Murr", Elektrizität als Grundlage von Medizin und Liebe sowie vom Kampf der Aufklärer gegen Scharlatane.
science.ORF.at: Als Hoffmanns realer Kater Murr gestorben ist, hat er eine Todesanzeige veröffentlicht. Er hat Katzen also offenbar geliebt, sie zugleich in seinen Romanen aber als Symbol für Elektrizität verwendet. Hat er selbst auch Experimente mit ihnen durchgeführt?

Rupert Gaderer: (lacht) Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Tatsächlich nehmen aber Katzen bei ihm eine prominente Rolle bei der literarischen Inszenierung von elektrostatischen Phänomenen ein. Im "Kater Murr" werden etwa mit Murrs Mutter Minna populäre Demonstrationsexperimente aus dem Bereich der Elektrizitätslehre durchgeführt.

Durch das mechanische Reiben eines Glasstabs auf einem Katzenfell konnten elektrostatische Phänomene hervorgerufen und sichtbar gemacht werden. Minna ist aber nicht das einzige elektrostatisch aufgeladene Tier in Hoffmanns literarischem Werk. Er inszenierte auch in anderen Erzählungen Funken sprühende Tiere.
Was ist die zentrale Funktion, die die Elektrizität bei Hoffmann hat?

Das kann man am besten anhand der Prinzessin Hedwiga aus dem "Kater Murr" erkennen. Hoffmann inszenierte sie als personifizierte Leidener Flasche, eine der wichtigsten Apparaturen zu Speicherung von Elektrizität im 18. Jahrhundert. Dahinter steht ein prominenter Diskurs, der ab den 1750er Jahren den Menschen als ein ökonomisches System von Elektrizität denkt: Die Elektrizität wird zum epistemologischen Modell des Körpers.

Bis dahin wurde der menschliche Körper als ein Modell der Mechanik beschrieben: als Zusammenspiel von Hebeln, Pumpen und Zahnrädern. Prinzessin Hedwiga und andere Protagonisten wurden hingegen als Homines electrificati literarisch figuriert: organische Körper, die Elektrizität auf- und entladen.
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Buchpräsentation
Das Buch von Rupert Gaderer "Poetik der Technik. Elektrizität und Optik bei E.T.A. Hoffmann" wird am 2. April, 18 Uhr c.t. am IFK, Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften präsentiert. Eintritt frei.
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
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Auch die Medizin hat Hoffmann beeinflusst ...?

Ja, und hier vor allem die Medicina electrica. Ab den frühen 1750er Jahren gibt es Ärzte, die die neuesten elektrotechnischen Apparaturen verwenden, die Leidener Flasche, aber auch Elektrisiermaschinen, um Menschen zu heilen. Hinter diesen medizinischen Praktiken steht das Konzept, dass Krankheiten aus einer Disharmonie von Elektrizität im menschlichen Körper entstehen. Durch gezielte elektrische Schläge kann diese Disharmonie in Harmonie umgewandelt werden und Heilung eintreten.

Die medizinischen Protokolle dieser Zeit berichten von diversen Heilungsversuchen: von Lähmungen über Fettleibigkeit bis hin sogar zur Pest. Auch Prinzessin Hedwiga, die im Roman an "Nervenfieber" leidet, verlangt von ihrem Arzt mit elektrischen Schlägen behandelt zu werden.
Bei diesen Berührungen geht es immer auch um Liebe und Erotik. Welche Rolle spielt da die Elektrizität?

Die erotische Sprache wird um 1800 immer noch durch Sitte und Anstand reglementiert. Interessanterweise nehmen aber die Diskurse über Sexualität beträchtlich zu. Unter dem Deckmantel einer technischen Sprache werden Bilder über Sexualität literarisch entworfen, um diese Normierungen zu durchbrechen.

Dieses elektrische Liebeskonzept ist integraler Bestandteil einer Liebe als Leidenschaft, die sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts von moralischen Geboten emanzipiert und sich in der Literatur stilisiert. Die meisten Figuren bei Hoffmann, die als Hintergrund die Elektrizitätslehre haben, sind Liebespaare. Mit jedem elektrischen Schlag, der von einer Figur ausgegeben und von einem Gegenüber empfangen wird, verhandelt Hoffmann eigentlich über sexuelles Begehren und Liebe.
Woher kommt bei ihm diese Faszination für Elektrizität?

Die Elektrizitätslehre war zu seiner Zeit ein viel beobachtetes Untersuchungsfeld. Auch Schriftstellerkollegen wie Jean Paul, Novalis oder Heinrich von Kleist bis hin zu Goethe interessierten sich für sie. Interessant ist, dass Hoffmann eigentlich zu spät kommt. Mit der Präsentation der Voltaschen Säule 1800 fokussierte sich das Erkenntnisinteresse auf die elektrochemische Elektrizität.

Novalis und Jean Paul konzentrierten sich bereits auf den Galvanismus, Hoffmann aber bezieht sich stets auf die mechanisch erzeugte Elektrizität, also die Elektrostatik. Folglich kommt es bei ihm zu einem missreading: In seiner Erzählung "Der Artushof" aus dem Jahr 1816 schrieb er, dass ein alles zusammenhaltender Weltgeist in einem ontologischen Sinn eigentlich ein Experimentator ist, der eine Elektrisiermaschine betreibt.
Auf welchen Philosophen hat sich Hoffmann da bezogen?

Vor allem auf die naturphilosophischen Abhandlungen Friedrich Wilhelm Joseph Schellings, Gotthilf Heinrich Schuberts und den um 1800 populärsten Physiker Johann Wilhelm Ritter. Sie begriffen die Elektrizität als elan bzw. force vitale, ein Puls der Natur, durch den nicht nur der menschliche Körper am Leben gehalten wird, sondern die ganze Welt.
Hoffmann interessierte sich nicht nur theoretisch für Elektrizität, er hat auch Experimente durchgeführt.

Mein Buch beginnt mit einer Szene im Winter 1800/01, als eines Nachts Jean Paul plötzlich in das Gesellschaftszimmer von Hoffmanns Onkel eintritt. Erwartbar wären musikalische Unterhaltungen oder Lesungen gewesen, Jean Paul aber sah, wie Hoffmann physikalische Experimente vorführte.

Der damals anwesende Franz von Holbein berichtet in seiner Autobiographie, dass das medientechnische Ereignis zwischen zwei Polen schwankte. Einerseits beschreibt er es als physikalisches Experiment, andererseits als Geisterbeschwörung. Nachdem Jean Paul mit seinem Auftritt die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, brach Hoffmann seinen Versuchsaufbau ab, packte seine Instrumente ein und verschwand auf sein Zimmer.
Hat er sich geniert?

Das hat Holbein nicht überliefert. Dafür ist E.T.A. Hoffmanns Quelle über physikalische Experimente und Geisterzitationen bekannt: Wieglebs und Rosenthals Buch "Unterricht in der natürlichen Magie" war ein aufklärerisches Kompendium, das versuchte Scharlatane zu entlarven.

Um 1800 gab es eine Reihe von Geisterzitationen, die Verstorbene ins Leben "zurückholten". Diese Magier erweisen sich dabei als Zaubertechniker, die das "Unheimliche" technisch inszenierten und es als Gespenster aufriefen. Mit einer Laterna magica projizierten diese Zaubertechniker Voltaire oder Admiral Nelson, elektrotechnische Apparaturen schützten sie: Wenn jemand während der Geisterbeschwörung zu nahe an die Projektionen der Laterna magica trat und den Betrug aufdecken wollte, wurde er elektrifiziert; eine scheinbare Adressierung aus dem Reich des Jenseits.

Wiegleb und Rosenthal haben derartige Ereignisse beschrieben und dann erklärt, welche technischen Apparaturen und physikalischen Experimente dahinterstecken.
Sind Sie selbst auch ein Zaubertechniker - aufgrund Ihrer Biografie sind sie vermutlich einer der wenigen Germanisten, der sich mit Elektrizität wirklich auskennt?

(lacht) Es stimmt, ich habe eine elektrotechnische Ausbildung, was es mir zum Teil sicher erleichtert hat, mich mit Elektrizität um 1800 zu beschäftigen. Selber fühle ich mich aber nicht als Zaubertechniker.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 1.4.09
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Das Buch von Rupert Gaderer "Poetik der Technik. Elektrizität und Optik bei E.T.A. Hoffmann" ist im Rombach Verlag erschienen.
->   Mehr über das Buch
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->   Rupert Gaderer, ICI Kulturlabor Berlin
->   "Lebens-Ansichten des Katers Murr" (Volltext)
->   E.T.A. Hoffmann Gesellschaft Bamberg
->   E.T.A.-Hoffmann Archiv Berlin
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->   Aufgeladen: Literatur und Elektrizität um 1800
 
 
 
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01.01.2010