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William Dieterle: Mit Filmen Nazis bekämpfen
Konferenz zu Exilforschung an der Universität Wien
 
  Wenn heute ein deutschsprachiger Regisseur einen Oscar gewinnt, ist das Erstaunen groß. Vor einigen Jahrzehnten war das noch anders. Grund dafür war die "erfolgreiche" Vertreibungspolitik der Nazis: Billy Wilder, Fred Zinneman und Otto Preminger prägten Hollywood und drehten erfolgreiche Filme. Auch der Deutsche William Dieterle gehört in diesen Kreis. Wie viele seiner Kollegen glaubte er, die Nazis mit Filmen bekämpfen zu können.  
Versucht hat er das in den späten 1930er Jahren mit einer Reihe von Biografie-Filmen: Die Schicksale der Mediziner Louis Pasteur und Paul Ehrlich sowie des mexikanischen Staatshelden Benito Juarez setzte er als Plädoyer für Demokratie und Toleranz in Szene.

Ziel war es in einer Zeit, als die Deutschen den Nazis zujubelten, ein "anderes Deutschland" zu zeigen, meint die Filmhistorikerin Larissa Schütze von der Universität München anlässlich einer Exil-Konferenz an der Uni Wien.
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Konferenz: Exil - Glaube und Kultur
Vom 6. bis 9. Mai 2009 findet in Wien die internationale Konferenz "Exil - Glaube und Kultur. 1933-1945" statt. Die Konferenz wird vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und der Internationalen Feuchtwanger Gesellschaft mit Sitz in Los Angeles (IFS) organisiert.
->   Programm der Konferenz (pdf-Datei)
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Kein klassischer Emigrant
Im Gegensatz zum Autor Lion Feuchtwanger, der im Zentrum der Konferenz steht, war Dieterle kein Emigrant im klassischen Sinn. Er ist bereits 1930 auf Einladung von Warner Brothers nach Hollywood gekommen. Ursprünglich für nur zwei Monate engagiert, zeigte sich das Studio von Dieterle derart angetan, dass es seinen Vertrag mehrmals verlängerte.

Seine erste Aufgabe bestand im Drehen deutschsprachiger Versionen von Hollywoodfilmen. "Der Tonfilm war gerade vor drei Jahren entstanden, und man konnte nicht synchronisieren. In Originalkulissen wurden daher deutsche Versionen nachgedreht, oft in nur zehn bis zwölf Tagen Drehzeit, also schlechten Arbeitsbedingungen für die Künstler", erklärt Schütze gegenüber science.ORF.at.
Fixer Bestandteil der Exil-Kolonie
Als die Nazis 1933 in Deutschland an die Macht kamen, hätte Dieterle vermutlich noch zurückkehren können. Als er sich in der antifaschistischen Bewegung Hollywoods zu engagieren begann, nicht mehr.

Dieterle wurde zum fixen Bestandteil der Emigranten-Community von Los Angeles. Als Thomas Mann im Frühjahr 1938 in LA seinen berühmten Vortrag "The coming victory of democracy" hielt, fungierte Dieterle als Chairman. Am Abend zuvor nahm er an einem Spendendinner von Warner Bros teil, das von allen Hollywoodstudios das Nazi-kritischste war. Archivmaterial belegt, dass die Nazis ihre Spitzel im Publikum hatten, Dieterle durfte nicht mehr nach Deutschland zurückkehren.

"In deutschen Zeitungen war vom 'vollkommen verjudeten Dieterle' die Rede, der 'in den jüdisch dominierten Filmen' Regie führte", so Schütze.
Verfilmung von Biografien
Dieterle gab mit seinem Regisseurkollegen und Freund Ewald Andre Dupont das antifaschistische Blatt "Hollywood Now" heraus. "Das war ziemlich kolportagehaft. U.a. gab es eine Serie über Leni Riefenstahl und Hitler, in der sehr persiflierend eine Liebesgeschichte zwischen den beiden konstruiert wurde".

Es waren aber vor allem filmische Mittel, mit denen Dieterle "für ein anderes Deutschland" kämpfen wollte. Gemeinsam mit Henry Blanke, dem Ex-Assistenten von Ernst Lubitsch und späteren Produzent des Humphrey-Bogart-Klassikers "The Maltese Falcon", suchte er nach Filmstoffen, die diesem Ziel dienen sollten.

Dabei verlagerte er sich auf etwas, das Neudeutsch "biopic" genannt wird - also die Verfilmung von Biographien berühmter Menschen.
Für Humanismus, nur leise Antisemitismuskritik

Erster in der Reihe war 1935 der Mediziner Louis Pasteur, Darsteller Paul Muni bekam dafür den Oscar der besten Hauptrolle. "In Louis Pasteur ging es noch nicht so um das 'andere Deutschland', sondern um die Vermittlung von Humanismus und das Durchsetzen wissenschaftlicher Ideen gegen einen großen Kreis von engstirnigen Scheuklappenträgern", so Schütze.

1937 folgte "Emile Zola", der als bester Film des Jahres mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. "Hier finden sich die ersten Anspielungen an Hitlerdeutschland, etwa eine Bücherverbrennung. Der Antisemitismus der Affäre Dreyfus ging bei dem Film aber unter. Es gibt im ganzen Film nur eine Anspielung darauf, dass Dreyfus überhaupt Jude gewesen ist", erklärt Schütze.

Während es im ursprünglichen Drehbuch noch eine Reihe entsprechender Passagen gegeben hatte, wurden sie danach herausgeschnitten - die Vorschriften zur freiwilligen Selbstkontrolle der Hollywood-Studios sahen vor, "keine ausländischen Staaten zu beleidigen - auch wenn es sich um faschistische handelte".
Anderes Deutschland durch Juarez und Ehrlich

Die Höhepunkte des antifaschistischen Filmschaffens sollten aber noch folgen. 1939 drehte Dieterle "Juarez", die Biografie des mexikanischen Präsidenten der 1860er Jahre. Dieterle und der Filmautor Wolfgang Reinhardt, der Sohn von Max Reinhardt, stellten in der Rolle vom Juarez-Widersacher Napoleon III eine eindeutige Analogie zu Hitler und Mussolini her.

"Der Film zeigt sehr pädagogisch, dass die Demokratie gegenüber der Diktatur die überlegene Staatsform ist. Es gibt auch Anspielungen auf die Rassenlehre. Etwa wenn Napoleon III sagt, dass die Franzosen die überlegene Rasse gegenüber den Mexikanern seien und Demokratie 'a system by the cattle for the cattle'".

Ein Jahr später folgte das biopic zu Paul Ehrlich, dem Mediziner und Nobelpreisträger, der als Begründer der Immunologie gilt. "Der Film ist der Höhepunkt Dieterles in seinem Bemühen für ein 'anderes Deutschland'. Er stellt den jüdischen Wissenschaftler in seinem Kampf gegen Syphilis und andere Krankheiten sehr positiv dar."
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Menschen beibringen, was wahr ist
Dieterle hat wie viele Kollegen daran geglaubt, dass man Nazis mit Filmen bekämpfen kann. "Er hat gedacht: Filme sind das beste Medium, um Menschen heutzutage beizubringen, was das Wahre und das Falsche ist. Ich denke bis zu einem gewissem Grad hat er das auch erreicht. Seine Filme waren vielleicht kommerziell nicht so erfolgreich wie Casablanca, aber sie wurden vielfach ausgezeichnet und haben auch einen großen Seherkreis erreicht," so Schütze.
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Randfigur bei Kommunistenhatz
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Dieterle wie viele seiner Kollegen, die sich in der Anti-Nazi-League in Hollywood engagiert hatten, ins Visier des Kommunistenjägers und Senators Joseph McCarthy.

"Es gibt von ihm eine FBI-Akte, die schon Ende der 1930er Jahre einsetzt, und die gegen Ende der 1940er Jahre immer umfangreicher wird ähnlich wie bei Feuchtwanger", so Schütze. Im Gegensatz zu anderen wird er aber nicht zu einem der gefürchteten Hearings eingeladen und blieb eher eine Randfigur.
Glückloses Ende
Die Rückkehr von Dieterle nach Deutschland 1958 verlief glücklos. Er drehte zwar noch einige Filme für Kino und TV, gründete auch noch ein Tourneetheater, ist letztlich aber 1972 bei München verarmt und vergessen gestorben.

Während er in der Emigration die Anerkennung von Menschen wie Thomas Mann oder Lion Feuchtwanger bekommen hatte, blieb sie ihm Zeit seines Lebens vom offiziellen Deutschland verwehrt.

Seine Geburtstadt Ludwigshafen am Rhein vergibt heute alle drei Jahre zu seinen Ehren einen Filmpreis für Nachwuchsregisseure.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 8.5.09
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Larissa Schütze schreibt derzeit an der Universität München ihre Dissertation über emigrierte Künstler in den Warner Bros. Studios, für die sie unter anderem auch sechs Monate in Los Angeles geforscht hat. Neben William Dieterle geht es dabei u.a. um die Schauspieler Paul Henreid und Peter Lorre.
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->   William Dieterle (Wikipedia)
->   Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien
->   Feuchtwanger Memorial Library
->   Warner Bros. Archives
 
 
 
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01.01.2010