News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Rollenbilder beeinflussen Schulnoten und Unikarrieren
Umgekehrt ist es genauso
 
  Wissenschaft ist männlich - zumindest wenn es nach den unbewussten Stereotypen der meisten Menschen geht. Eine internationale Studie zeigt, dass 70 Prozent der Menschen bei Wissenschaft insgeheim eher an Männer als an Frauen denken. In vielen Ländern korreliert dieses Bild mit besseren Schulnoten von Buben in Mathematik und Naturwissenschaft.  
Graue Bärte, weiße Mäntel
Menschen denken in Klischees und Bildern. Wenn es um Forschung und Wissenschaft geht, drängt sich vielen der alte Professor mit Bart und weißem Mantel auf. Wenn Frauen auf der Kinoleinwand Wissenschaftlerinnen darstellen, werden sie ebenfalls in Rollenbilder gezwängt: sexy, einzelkämpferisch, oft mit Beziehungsproblemen. Die reale Wissenschaft zeigt sich indes meist als Männerdomäne: In Österreich kommt auf vier Wissenschaftler nur eine Wissenschaftlerin; je weiter oben in der Hierarchie, umso seltener trifft man auf Frauen - unter den Rektoren gibt es derzeit keine.

Eine Studie hat nun erhoben, ob Wissenschaft eher mit Männern als mit Frauen verbunden wird: Bei sieben von zehn Menschen ist dies so, wie Forscher um den Psychologen Brian Nosek von der Universität Virginia in Charlottesville in der Fachzeitschrift "PNAS" (online) schreiben.
Wie die Männer, so die Frauen
An der Studie haben über eine halbe Million Menschen aus 34 Ländern und fast allen Erdteilen teilgenommen. Das Bild über die Geschlechter in der Forschung fiel dabei ziemlich homogen aus: In allen Ländern wurde wissenschaftliche Arbeit eher Männern als Frauen zugeschrieben - und zwar von beiden Geschlechtern.
Schwindeln und Selbstbetrug
Wenn Menschen zu einem Thema befragt werden, kann es viele Gründe geben, nicht die Wahrheit zu sagen. Rassisten wollen ihre Gesinnung vielleicht bewusst verheimlichen, Raucher belügen sich möglicherweise selbst, wenn sie angeben, statt vier Packungen Zigaretten am Tag nur zwei zu rauchen. Doch durch Tests können bewusste und unbewusste falsche Angaben entlarvt werden.

"Die Teilnehmer sind oft überrascht, wenn sie sehen, dass sie unbewusst voreingenommen gegenüber Geschlechtern oder Religionen sind und dies von ihrer angegebenen Überzeugung abweicht", sagt Studien-Koautor Fred Smith von der Universität Virginia.
Buben rechnen, Mädchen malen
Um herauszufinden, wie Menschen wirklich über Männer und Frauen in der Wissenschaft denken, mussten die Forscher daher einen Kniff anwenden. Aus bestehenden Studien wusste man, dass Menschen wissenschaftliche Rollen bewusst nur selten einem bestimmten Geschlecht zuschreiben. Für die vorliegende Untersuchung wurden also so genannte implizite Stereotype getestet.

Die Teilnehmer mussten dafür geschlechtsspezifische Begriffe ("er", "sie", "Bub", "Mädchen") jenen von bestimmten Disziplinen zuordnen ("Physik", "Chemie", "Kunst", "Geschichte"). Dabei schnitt die Naturwissenschaft eher als männlich ab.
...
Test zum Mitmachen
Die Studie zu Wissenschaft und Geschlecht ist Teil des Forschungsprojekts Implicit. In ihm untersuchen Nosek und seine Kollegen seit über zehn Jahren versteckte Werthaltungen von Menschen mit einem frei zugängigen Online-Test.

Auch der Test zur Wissenschafts-Studie war über diese Webseite verfügbar. Menschen konnten dort freiwillig teilnehmen und wurden nicht vorher ausgewählt. Wer möchte, kann eine Demoversion solcher Tests ausprobieren. Wer an weiteren Studien teilnehmen will, muss sich anmelden, und kann danach seine impliziten Werthaltungen zu 90 Themen herausfinden - von Politik und ethnischen Gruppen bis Sport und Musikstilen.
->   Link zum Test
...
Wie im Kopf, so in der Schule
Das falsche Bild bleibt möglicherweise nicht ohne Folgen. In jenen Ländern, in denen die Stereotype am stärksten ausgeprägt waren, schnitten Buben in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern in der vierten Schulklasse besser ab als Mädchen. Dies ergab ein Vergleich der Umfrageergebnisse mit Daten aus dem Schulvergleich der International Mathematics and Science Study (TIMSS).

Dabei zeigt TIMSS auch, dass Buben nicht prinzipiell besser in diesen Fächern sind: In vielen Ländern wurden sie von den Mädchen überholt. Der Unterschied ist also kulturell und nicht biologisch bedingt, wie die Autoren der "PNAS"-Studie schreiben.

"Wir glauben, dass sich implizite Stereotype und Geschlechterunterschiede in wissenschaftlichen Errungenschaften gegenseitig verstärken", sagt Nosek. Wer öfter mit Wissenschaftlern als mit Wissenschaftlerinnen zu tun hat, entwickelt ein entsprechendes Bild. Diese Vorstellung wiederum beeinflusst das eigene Verhalten gegenüber anderen und die eigenen Karrierewünsche.

Mark Hammer, science.ORF.at, 23.6.09
->   Brian Nosek
->   International Mathematics and Science Study
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   PISA: Buben und Mädchen unterschiedlich gefördert
->   Wissenschaftlerinnen noch immer unterrepräsentiert
->   Alte Jungfer, einsame Heldin: Forscherinnen im Film
->   Exzellenz: Eine Frage des Geschlechts?
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010