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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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"Rohe Wissenschaft" in der Öffentlichkeit
Dank Bloggen, Twittern und Digitalkameras
 
  Das Internet ist dabei alles zu verändern, nicht zuletzt auch das Verhältnis der Wissenschaft zur Öffentlichkeit. Bloggen, Twittern und winzige Digitalkameras erlauben und erzwingen eine bisher nicht gekannte Transparenz. Wenn Forscher mit Hilfe der neuen Techniken über bisher noch unveröffentlichte Daten ihrer Kollegen berichten, dann stößt das aber an die Grenzen der akademischen Gepflogenheiten.  
In einigen Fällen wurden diese "Rohdaten" deshalb nicht in Studien ihrer Urheber veröffentlicht, sondern in anderen.

Wie die Wissenschaft mit den neuen Phänomenen umgeht, ist "Nature", einem ihrer wichtigsten Publikationsorgane, seit einem halben Jahr ein ausführliche Debatte wert (Schwerpunkt: Science Journalism).
Inhalte, Kommentare, Bilder
Ein konkretes Beispiel: Der Bioinformatiker Lars Jensen von der Universität Kopenhagen nahm vor knapp einem Jahr an der Fachkonferenz ISMB in Toronto teil. Auf der Facebook-ähnlichen Website FriendFeed tauschte er sich dabei mit rund 30 innerhalb und außerhalb der Veranstaltung befindlichen Personen aus.

Inhalte der Konferenzbeiträge wurden zusammengefasst, Kommentare abgegeben, weiterführende Studien verlinkt, auch Bilder von Präsentationen geschossen.

Die Dokumentation war zum Schluss so umfangreich, dass er sie schließlich sogar selbst zu einer Veröffentlichung in "PLoS Computional Biology" reichte (Microblogging the ISMB: A New Approach to Conference Reporting).
Live-Aspekt plus Datenarchivierung
 
Bild: PLoS Computional Biology

Beispiel, wie die Kommunikation auf der Website geführt wurde

"Microblogging-Plattformen und andere Werkzeuge für Videos, Podcasts und virtuelle Umgebeungen haben ein bisher unerschlossenes Potenzial für Wissenschaftskonferenzen. Unser Experiment bei der ISMB war überraschend erfolgreich. Es hat unsere Notizen vereinfacht, Interesse auch von nicht Anwesenden angezogen und zusätzlich zu den Live-Berichten auch noch ein bleibendes Archiv der Veranstaltung geschaffen", fassen Jensen und seine Kollegen ihre Erfahrung zusammen.
Unveröffentlichtes Material für eigene Studien
So weit, so gut. Doch was, wenn die Daten aus einer derartigen Dokumentation unveröffentlichter Studien in eigene Publikationen einfließen? Streitigkeiten um die Urheberschaft könnten dann die Folge sein. Von einem solchen Fall hat "Nature" im September 2008 berichtet (Online-Bericht).

Theoretische Physiker hatten damals bei einer Konferenz über Dunkle Materie in Stockholm Fotos einer Präsentation gemacht und die Daten kurz danach in zwei Studien verwendet, die sie auf den Preprint-Server arXiv.org stellten. Dabei gaben sie zwar die Quelle und Urheberschaft korrekt an, ihre Kollegen von der Konferenz in Stockholm zeigten sich aber dennoch wenig erfreut.
Nature: "Bloggen ist gut"
Das sind nur zwei Beispiele für die Geschwindigkeit, mit der sich dank des Internets Informationen verbreiten. In der Wissenschaft trifft dieses Phänomen auf systemimmanente Strukturen wie die der Veröffentlichungspraxis. Üblicherweise unterliegen Autoren eingereichter Studien vor der Publikation einer Schweigepflicht zu den Inhalten.

"Wir bitten unsere Autoren, ihre Arbeit vor der Veröffentlichung nicht aktiv in Medien oder der Öffentlichkeit zu propagieren", schrieb "Nature" vor kurzem in einem Editorial. "Zugleich war unsere Hauptregel aber immer wissenschaftliche Kommunikation zu fördern."

Im Zeitalter des Internets schließt deshalb auch das ehrwürdige Fachjournal: "Es ist gut zu bloggen. Mehr Wissenschaftler sollten sich in der Blogosphäre engagieren, auch Autoren mit papers in press."
Vorher um Erlaubnis fragen
Braucht es dazu bestimmte Regeln? Manche Institutionen glauben ja und versuchen der Anarchie des Internets etwas entgegenzusetzen. Eine davon ist das Cold Spring Harbor Laboratory in New York.

Vor zwei Monaten veranstaltete das Institut eine Konferenz über Genomik, wissenschaftliche Blogger berichteten davon, was wiederum das Interesse von Journalisten auslöste. Über diesen Umweg wurde auch der Konferenzbeauftragte des Instituts, David Stewart, informiert: "Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass Menschen über Daten der Veranstaltung bloggen", gesteht Stewart in einem "Nature"-Bericht (Bd. 459, S. 1050).

Daraus versucht er nun für künftige Konferenzen zu lernen und hat folgende Regeln vorgeschlagen: Jeder, der in Zukunft Informationen weitergeben möchte - gleichgültig ob als Journalist, Blogger oder Twitterer -, muss die Vortragenden vorher um Erlaubnis fragen.
Langeweile als Konsequenz?
Damit liegt er ziemlich in der Mitte der beiden Pole "Offenheit" und "Abschottung". Manche Konferenzveranstalter haben ein komplettes Verbot für Digitalkameras ausgesprochen, andere behandeln Blogger wie Journalisten. Die heurige ISMB setzt auf totale Transparenz: Die Veranstalter selbst haben entsprechende FriendFeed-Webseiten aufgesetzt, die Hauptreferate werden direkt und live veröffentlicht.

Ob die Entwicklung tatsächlich durch Regeln in Bahnen gelenkt werden kann, bleibt fraglich. Vielleicht werden die Forscher in Zukunft bei ihren Vorträgen einfach noch vorsichtiger, wie ein weiteres "Nature"-Editorial in dieser Woche vermutet: "Dass speziell in kompetitiven Forschungsbereichen Vorträge bei allen zugänglichen Veranstaltungen noch vager und langweiliger werden, ist eine unvermeidbare Konsequenz des Internet."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 10.7.09
->   Nature Opinion forum: Science, journalism or public discourse?
 
 
 
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01.01.2010