News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Technologie .  Leben 
 
Bioinformatiker werden immer wichtiger  
  In Biologie, Biomedizin und Genetik wachsen die Datenmengen unaufhörlich an. Verarbeitet werden sie von Computern, Bioinformatik ist deshalb in den vergangenen Jahren zu einer immer wichtigeren Fachrichtung geworden. Ein Ausdruck davon ist das Center for Integrative Bioinformatics Vienna (CIBIV), das vor rund vier Jahren in Wien eingerichtet worden ist.  
Was Bioinformatiker genau machen, beschreibt Anne Kupczok vom CIBIV in einem Gastbeitrag. Kupczok hält sie nicht für bloße Datensammler, sondern vielmehr für Wissensjäger, die in engem Austausch mit ihren Kollegen von der Biologie stehen.
Bioinformatik: Wissensjäger, nicht Datensammler
Von Anne Kupczok

Obwohl sich auf den Arbeitsplätzen des CIBIV Linux-Computer statt Pipetten und Reagenzgläser befinden, untersuchen die Wissenschaftler hier ähnliche Fragestellungen wie ihre Kollegen im Labor.

Die Fachrichtung der Bioinformatik nutzt Werkzeuge der Informatik und Mathematik, um an biologischen Problemen zu arbeiten. Dies umfasst wesentlich mehr als nur die Ergebnisse von molekularbiologischen Experimenten in Datenbanken zu speichern und verfügbar zu machen.
...
Das Center for Integrative Bioinformatics Vienna (CIBIV) ist seit Herbst 2005 ein Teil der Max F. Perutz Laboratories (MFPL ). Die MFPL gehören zum Vienna Biocenter im dritten Wiener Bezirk und beherbergen größtenteils molekularbiologische Arbeitsgruppen.
...
Vergleich von Arten
Seit einigen Jahren gibt es spezielle Bioinformatik-Studiengänge, in denen die entsprechenden Methoden erlernt werden. Von der Fachhochschule Hagenberg in Österreich sind im letzten Herbst zwei Absolventen für ihr Doktorat an das CIBIV gekommen: Fritz Sedlazeck und Tina Köstler.

Viele molekularbiologische Technologien produzieren große Mengen von Daten, die nur mit Hilfe des Computers weiterverarbeitet werden können. Ein Beispiel dafür ist das Sequenzieren eines ganzen Genoms, womit sich Sedlazeck beschäftigt.

Bei seinem Projekt gibt es bereits eine bekannte Genomsequenz eines anderen Individuums der selben oder einer nah verwandten Art. Auch Individuen einer Art haben Unterschiede in ihrer Genomsequenz und diese können entscheidend für spezielle Anpassungen sein. Daher ist ein Ziel, Unterschiede in der Sequenz von dem Individuum zu dem bekannten Genom zu finden.
Suche von Nukleotid-Abfolgen
Ein Genom besteht aus Millionen von Bausteinen, den Nukleotiden. Diese kommen zwar nacheinander auf den Chromosomen vor, wie ein Text, doch aufgrund der Größe kann im Labor nicht einfach ein ganzes Chromosom durchgehend gelesen werden.

Stattdessen werden sehr viele kurze Sequenzstücke, die sogenannten reads, generiert und gelesen. Diese sind zum Beispiel nur 36 Nukleotide lang und bestehen aus zufälligen Abschnitten, so als würde man zufällig Wortgruppen aus einem Buch abschreiben.

Um die komplette Genomsequenz zu erhalten, müssen Millionen von solchen reads korrekt zusammengefügt werden. Dabei nutzt Fritz Sedlazeck das bekannte Genom und bestimmt die Position der reads darauf. Diese Position muss unter der großen Anzahl möglicher Positionen gefunden werden, wobei auch Unterschiede in einzelnen Buchstaben zugelassen sind.
Grafikkarten für mehr Rechenkraft
Dass die dafür benötigte Rechenpower nicht teuer sein muss, will Fritz Sedlazeck in seiner Doktorarbeit zeigen. Dabei lässt er statt der CPU die Graphikkarte eines Rechners arbeiten.

"Mit der geeigneten Implementierung kann die Graphikkarte eines normalen PCs viel mehr leisten als eine einzelne CPU. Auf Graphikkarten laufen parallele Programme, daher sind sie so schnell. Weiterhin ist die Technik viel billiger als ein Cluster von CPUs, das man benötigen würde, um dieselbe Geschwindigkeit zu erreichen", beschreibt er die Vorteile der Graphikkartenprogrammierung.

Die Idee, Graphikkarten für wissenschaftliche Berechnungen zu nutzen, ist zwar nicht neu, aber seine Implementierung soll mehr Unterschiede zwischen den reads und dem Genom erlauben und gleichzeitig schneller sein als bestehende Programme.
Wissen von Modellorganismen übertragen
Dieses Projekt ist nur ein Beispiel, wie Problemstellungen aus der Biologie schnell zu welchen in der Informatik werden. Auch die Arbeit von Tina Köstler ist aus einer Zusammenarbeit mit Biologen hervorgegangen. Sie absolvierte bereits ihre Diplomarbeit am CIBIV.

Dabei entwarf sie ein Programm um ein Protein, welches in einer Art gut charakterisiert ist, auch in einer anderen zu finden. "Es gibt gut untersuchte Modellorganismen, wir wollen das Wissen über diese Arten auf andere übertragen", so Köstler.
Auffinden von analogen Proteinen
Wenn die Funktion von Proteinen bestimmt wird, spielt nicht nur die Sequenz eine Rolle. Während der Evolution können Gene verloren gehen, dann übernehmen andere Proteine die Funktion. Diese analogen Proteine haben eine andere Sequenz, weisen aber ähnliche Merkmale auf.

Solche Merkmale sind z.B., welchen Aufbau ein Protein hat oder wo in der Zelle es seine Funktion erfüllt. Die Merkmale aller Proteine des Menschen hat Tina Köstler mit Hilfe von Vorhersageprogrammen und Datenbanken zusammen getragen.

Nun kann sie für das Protein einer anderen Art die am besten passenden menschlichen Proteine herausfiltern. "Die endgültige Funktionsbestimmung kann natürlich nur im Labor erfolgen, aber wir schlagen vor, wo man suchen muss", fasst Tina Köstler ihren bioinformatischen Ansatz zusammen, den sie in ihrer Doktorarbeit weiterverfolgen wird.
Modelle und Hypothesen entwickeln
Biologie und Informatik können also auf zwei Arten zusammentreffen. Das Projekt von Fritz Sedlazeck zeigt, dass manche Daten eine bioinformatische Auswertung benötigen. Diese Auswertung ist allerdings keine reine Analysearbeit, sondern kann mit informatischer Forschung verbunden sein.

Die andere Richtung ist die Analyse vor dem Experiment. Dabei werden Modelle für Vorhersagen entwickelt. Die Vorhersagen können dann experimentell überprüft werden.

Der wissenschaftliche Anspruch von bioinformatischer Arbeit ist auch für den Leiter des CIBIV, Arndt von Haeseler, besonders relevant: "Die Verwaltung von Ergebnissen in Datenbanken und die statistische Auswertung sind ein wichtiger Teil von unserer Arbeit. Aber richtig interessant wird es erst, wenn wir mit den gespeicherten und analysierten Daten Modelle und Hypothesen entwickeln können."
Eine besondere Zusammenarbeit
Obwohl die Bedeutung von mathematischen und informatischen Methoden in der Molekularbiologie in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ist die Zusammenarbeit mit Biologen eine besondere Herausforderung.

Wie Tina Köstlers Programm zeigt, können die bioinformatischen Methoden nur Möglichkeiten vorschlagen. Was biologisch tatsächlich vorkommt, kann nur in Zusammenarbeit mit Kollegen im Labor erforscht werden.

[22.7.09]
...
Über die Autorin
Anne Kupczok studierte Bioinformatik in Jena. Derzeit absolviert sie ihr PhD-Studium am CIBIV. Dabei beschäftigt sie sich mit der Rekonstruktion von Stammbäumen aus Genomdaten.
->   Anne Kupczok, CIBIV
...
->   Fritz Sedlazeck, CIBIV
->   Tina Köstler, CIBIV
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Technologie .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010