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ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 
"Häuser, die mit dem Netz reden"
Wie das Energiesystem der Zukunft aussehen könnte
 
  Im vergangenen Winter hat es zum wiederholten Mal eine "Gaskrise" gegeben. Im Dezember soll in Kopenhagen ein Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz ausverhandelt werden: Wie das Energiesystem der Zukunft aussehen könnte, darüber werden im Sommer Experten beim Forum Alpbach diskutieren. Die Energieexpertin Brigitte Bach vom Energy Department des neugegründeten Austrian Institute of Technology erklärt vorab im Interview, wie intelligente Häuser Energie sparsam einsetzen können und welches Energiesystem sie sich für das Jahr 2030 wünscht.  
Hat sich durch die letzte Gaskrise in unserem Energiesystem etwas dauerhaft verändert?

Brigitte Bach: Die Gaskrise, die vermutlich auch nicht die letzte war, ist ein Baustein, der das Bewusstsein stärkt, dass sich im Energiesystem etwas ändern muss; zum Beispiel die Importabhängigkeit von fossilen Energien in Europa zu reduzieren.

Ist das jetzt schon bei Investitionen oder technischen Entwicklungen sichtbar?

Es gibt einen grundsätzlichen Trend in den letzten Jahren, der anzeigt, dass sich unser Energiesystem bereits ändert. Der Druck, der auf unser Energiesystem zukommt - durch Importabhängigkeit und Klimafragen - wirkt sich sehr stark auf zwei große Infrastrukturthemen aus: Die elektrische Energieinfrastruktur und Energie für die gebaute Umwelt.
Wie zeigt sich das konkret?

Bei der elektrischen Energieinfrastruktur haben wir immer mehr dezentrale Einspeiser; zum Beispiel Photovoltaikanlagen und Biomasseverstromung. Dadurch müssen die Netze komplett anders geregelt werden. Hier gibt es bereits deutliche Änderungen, die den Endkunden natürlich nicht betreffen. Für den kommt der Strom immer aus der Steckdose. Das Management der Systeme wird sich aber ändern.

Bei Gebäuden wird stark in Richtung Energieeffizienz gearbeitet. Darüber hinaus können Einzelgebäude dahingehend optimiert werden, dass sie Energie dann verbrauchen, wenn sie auch zur Verfügung steht. Damit ist ein intelligentes Energie- oder Lastmanagement der Gebäude gemeint - diese werden in Folge auf die Temperatur des nächsten Tages vorbereitet; zum Beispiel einen Hitze - oder Kälteeinbruch. Die Frage ist, kann man Gebäude so designen, dass sie diese Funktionen auch erfüllen können. Dadurch könnte man die Netzte entlasten. Da geht es aber hauptsächlich um großvolumige Gebäude, weniger um Einfamilienhäuser.
Foto:AIT
Brigitte Bach
Es heißt ja, dass das freistehende Einfamilienhaus energetisch am ungünstigsten ist. Städtische Siedlungsstrukturen sind also effizienter?

Es genügt nicht einzelne Gebäude zu optimieren, die Wissenschaft befasst sich dabei konkret mit dem energetischen Abstimmen einer Vielzahl von Gebäuden bei Energieverbrauch und -versorgung sowie mit dem Aussehen einer energieoptimierten Stadt. Wie soll die Morphologie einer Stadt - die Höhe und Dichte der Gebäude - optimal aussehen, wenn man zum Beispiel nur mit Photovoltaik und Wärmepumpen arbeiten möchte? Das ist wissenschaftlich noch nicht beantwortet.

Es geht dabei um die Dichte und Höhe der Bauten, die Nutzung von Dächern und Fassaden, eher für Strom oder für Wärme sowie um Einspeisung der Energie. Wenn man statt einem Gebäude einen ganzen Stadtteil betrachtet, hängen diese Fragen von vielen Parametern ab. Computersimulationen helfen bei der Beantwortung dieser Fragen.
Wie funktionieren intelligente Gebäude, die Energie dann verbrauchen, wenn sie da ist?

Indem man schaut, ob man Leistungen schieben kann. Den Computer in einem Büro kann man natürlich nicht abschalten. Ein großes Thema ist aber die Klimatisierung. Man kann mit Kälte- oder Wärmespeichern arbeiten - mit thermischen Massen wie Betonkernaktivierung. Man kann ein Gebäude vorkühlen, die Temperatur stabilisieren, dann wäre zur Spitzenlast zur Mittagszeit fast keine Kühlung notwendig.

Der andere Punkt ist Tageslicht. Ein intelligentes Gebäude könnte geregelte Verschattungs- und Lichtlenksysteme verwenden, die kontrolliert Tageslicht in die Räume bringen ohne diese zu überwärmen.

Wie sehen solche Systeme aus bzw. hätte das klassische Fenster als Lichtspender damit ausgedient?

Die Palette reicht von Verschattungssystemen aus zum Beispiel Lamellen oder Jalousien, die durch eine intelligente Regelungstechnik mit Tageslicht- und Temperatursensoren gesteuert sind, über transparente Wärmedämmung, die nur diffuses Licht in die Räume bringt ohne diese zu überwärmen bis hin zu Lichtlenksystemen aus reflektierenden Materialien, die Tageslicht über die Decke in die Innenräume bringen. Die intelligenten Fassaden der Zukunft werden sich adaptiv sowohl den verändernden Wetterbedingungen als auch den Anforderungen des Nutzers bezüglich Innenraumklima, Licht und Sichtkontakt anpassen und somit das "klassische" Fenster, wie wir es im Moment kennen, ersetzen.
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Serie Alpbach
Von 27. bis 29. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1 Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Vertrauen in der Krise - Zukunft gestalten". Dazu diskutieren Minister, Nobelpreisträger und internationale Experten.

In den nächsten Wochen werden in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erscheinen.
->   Alpbacher Technologiegespräche
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In welchen Bereichen verändert sich Energietechnik derzeit am schnellsten?

Spannend ist das Zusammenspiel vieler Technologien im System - etwa das intelligente Gebäude oder das Gebäude, das mit dem Netz spricht. In den einzelnen Bereichen wie Photovoltaik, Solarkollektoren oder bei neuen Materialien gibt es natürlich überall Entwicklungen. Die spannenden Fragen sind aber, wie diese Technologien zu vereinen sind und wie sie optimal zusammenspielen.

Wie funktioniert das, wenn ein Gebäude mit dem Netz spricht?

Betreiber vom elektrischen Netz würden zum Beispiel Wünsche bekannt geben, wenn Sie etwa Absatz für gerade verfügbare Windenergie suchen, oder umgekehrt, wenn es für den Netzbetrieb besser wäre, Lasten abzuschalten. Diese Wünsche könnten auf einer Plattform deponiert werden und Kunden haben dann die Möglichkeit darauf in Form von Angeboten zu reagieren. Dahinter stehen noch viele offene technische und marktrelevante Fragen.
Lässt sich das Energiesystem der Zukunft eher durch technische Lösungen erreichen oder durch Verhaltensänderungen wie Radfahren, Stromsparen oder den Verzicht auf Flugreisen?

Jede Energie, die nicht verbraucht wird, hilft. Wir werden aber nicht alleine auf Verhaltensänderungen setzen können. Wir brauchen auch große technologische Lösungen. Damit meine ich nicht Einzeltechnologien, wie ein Wunderkraftwerk, sondern eine gesamte Systemumstellung hin zu vielen Einspeisern und einer hohen Energieeffizienz. Ich sehe es als unsere zentrale Aufgabe, dass wir durch Forschung für die Industrie das Risiko reduzieren und Kosten senken, sodass diese Technologien aufgrund eines Wettbewerbsvorteils auf den Markt kommen.

Sie haben gesagt, dass die Gaskrise wahrscheinlich nicht die letzte war. Können wir unserem Energiesystem noch vertrauen?

Die Konsumenten können hierzulande dem System auf jeden Fall vertrauen. Wir haben gesehen, dass es in Österreich zu keinen Einschränkungen für Privatpersonen gekommen ist. Für ganz Europa schaut es da anders aus. Da hat es Probleme mit der Gasversorgung gegeben und gibt es welche hinsichtlich der Stabilität des elektrischen Netzes. Für Europa müssen wir daran arbeiten, dass wir deutlich unabhängiger werden. Da sind sicher starke Anstrengungen notwendig, die mehr und andere Ressourcen erschließen und je nach lokaler Gegebenheit optimal nutzen.
Welches Energiesystem wünschen Sie sich für das Jahr 2030?

Intelligent, flexibel, sehr erneuerbar und nachhaltig. Immer dann, wenn Ressourcen vorhanden sind, werden sie genutzt, wenn sie nicht genutzt werden, werden sie gespeichert; dazu eine starke Reduktion von fossilen Brennstoffen, die ja auch Wertschöpfung abfließen lässt. Wir kaufen teuer Öl oder Gas außerhalb Europas ein und haben Ressourcen wie Solarenergie, Wind oder Geothermie hier. Diese Technologien sind auch ein großer Wirtschaftsfaktor, in dem in Österreich viele erfolgreiche Unternehmen tätig sind.

Derzeit steigt der Energieverbrauch aber noch.

Global gesehen ist das Problem viel dramatischer als in Europa. Der Energieverbrauch in Ländern wie China und Indien steigt stark. Wenn wir in diesen Ländern einen Wandel unterstützen möchten, sollte dieser noch schneller oder mindestens gleich schnell wie bei uns passieren. Das bedeutet, für diese Länder vor allem kostengünstige Technologien zur Verfügung zu haben. Man braucht Heiz-, Kühl- und Klimatechnologien, die für das dortige System produziert werden und die leistbar sind.

Interview: Mark Hammer, science.ORF.at, 3.8.2009
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Zur Person
Brigitte Bach leitet das Energy Department am Austrian Institute of Technology (AIT). Beim Technologieworkshop "Trend-Radar Gesellschaftliche Entwicklungen" in Alpbach diskutiert sie, wie aus Risiken in den Bereichen Klimawandel, Energie, Demographie und Informationstechnologien neue Chancen entstehen können.
->   Brigitte Bach
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Weitere Beiträge zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2009:
->   E-Governance: "Bürger auf gleicher Augenhöhe mit dem Staat"
->   Lebensmittel: Das Individuelle der Allergien
->   Strukturbiologie: "Da hat die Natur Sicherheitsmaßnahmen eingebaut."
 
 
 
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01.01.2010