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"Wissenschaft durch Internet effektiver gestalten"
Social-Networking-Seite Researchgate
 
  Forscher und Forscherinnen vernetzen sich zunehmend über das Internet. Researchgate ist eine derartige Plattform, in der sich Wissenschaftler über die Grenzen ihrer Disziplin finden und austauschen. Erst seit Mai des Vorjahrs online, zählt die in Deutschland gegründete Social-Networking-Seite heute bereits 120.000 Mitglieder.  
Sören Hofmayer, Mediziner und einer der Gründer von Researchgate, beschreibt im E-Mail-Interview mit science.ORF.at Anfang und Funktion der Website und versucht ihren Erfolg zu erklären.

Die Herausforderung an neue Technologien besteht für ihn darin, die wissenschaftliche Arbeit durch das Internet effektiver zu gestalten.
science.ORF.at: Researchgate hatte im vergangenen Jahr enorme Zuwachsraten an Usern. Von anderen Social Websites ist bekannt, dass von den vielen Usern oft nur eine Minderheit regelmäßig aktiv ist. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Hofmayer: Viele unserer Mitglieder nutzen nicht nur die Social-Network-Funktion unserer Plattform, sondern auch die Kollaborationstools in den Gruppen und v. a. die Literatursuchmaschine (inkl. Journal Finder - auf Grundlage eines Abstracts werden thematisch passende Journals vorgeschlagen); das bietet natürlich einen Anreiz, die Plattform häufiger zu besuchen!

Insgesamt konnten wir parallel zu den wachsenden Anmeldezahlen auch eine Steigerung der Aktivität verzeichnen. Viele der Forscher, die anfänglich "alleine" in ihrem Netzwerk waren, vernetzen sich nach und nach, mittlerweile übersteigen die täglich versendeten Einladungen die Anmeldezahlen.
Lässt sich das quantifizieren - wie viel Prozent sind aktiv und was machen sie genau?

Man muss bei unseren Zahlen ja immer im Sinn haben, dass es sich bei uns nicht um ein privates Social Network handelt, in dem jeder Moment des Lebens geteilt werden soll. Trotzdem waren über 30 Prozent unserer registrierten Forscher im letzten Monat auf Researchgate auch aktiv.

Zu der Frage, was sie genau machen, haben wir vor einigen Monaten eine Umfrage mit folgendem Ergebnis durchgeführt (es war nur eine Auswahl möglich):
- Finding new contacts and research partners 34%
- Finding information (e. g. journal articles) relevant to your research 37%
- Connecting with colleagues 15%
- Collaboration with fellow scientists 12%.
Bild: Researchgate
Researchgate-Profil von Sören Hofmayer
Welche Diskussionsgruppen sind momentan gerade die meistfrequentierten?

Es fällt schwer, aus den weit über 1.000 Gruppen die "heißesten" zu bestimmen, das kann sich besonders in kleineren Fachgruppen schnell ändern, wenn dort ein aktuelles Thema aufgeworfen wird. Übergreifend betrachtet sind aber v. a. die "Methods"-Gruppe, "Science & Publication 2.0" und auch die "Philosophy"-Gruppe zu nennen.

Einige Disziplinen wie z. B. Politikwissenschaften fehlen, warum?

Wir selber kommen aus dem Life-Science-Bereich, dort haben wir natürlich auch angefangen, das Netzwerk bekanntzumachen. Die Kategorisierung nach (international gültigen) Disziplinen fällt im "Hard Science"-Bereich generell etwas leichter als in den Social Sciences. Aber durch Feedback der Wissenschaftler auf der Plattform bauen wir den Kategoriebaum ständig aus bzw. passen ihn an. Es soll sich bitte niemand auf den Schlips getreten fühlen, wenn er sein Fach nicht direkt zuordnen kann; eine kurze E-Mail an uns reicht und wir nehmen es gerne auf!
Wie hat Researchgate begonnen? - Sie waren ja nicht die ersten, die ein "Wissenschaftler-Facebook" versucht haben zu initiieren. Wie erklären Sie sich das explosionsartige Wachstum?

Auf die Idee kamen wir, als Ijad (Dr. Ijad Madisch, Co-Founder) für ein Forschungsprojekt an die Harvard University gegangen ist; er war in den USA, ich in Deutschland. So haben wir das Projekt von Anfang an international aufgezogen. Außerdem konnten wir viele Freunde und Kollegen für die Idee begeistern und waren ein großes und sehr motiviertes Team. Entscheidend ist aber auch, dass wir unsere Plattform ständig weiterentwickeln und dabei sehr viel Wert darauf legen, das Feedback der Nutzer konstruktiv umzusetzen.

Was heißt das konkret?

Wir haben eine allgemeine "Feedback Group" in der alle Forscher Mitglied sind, dort werden von den Nutzern regelmäßig Fragen zu Funktionen gestellt oder auch Anregungen für neue Applikationen bzw. Verbesserungsvorschläge für bestehende gegeben. Einiges davon kann einfach eingebunden werden, anderes ist nicht eins-zu-eins umsetzbar, kann aber bei der Weiterentwicklung berücksichtigt und später integriert werden.
Auch Institutionen wie "Nature" versuchen Ähnliches zu machen ("Nature Network") mit weit mehr Ressourcen, rein quantitativ scheinen diese Erfolge nicht erfolgreicher zu sein. Warum?

Finanziell hat "Nature" natürlich wesentlich mehr Ressourcen, allerding ist die Frage, wie viel davon in ein solches Projekt fließt. Denn das ist ja schließlich nicht das Hauptgeschäft der Nature Publishing Group. Heute scheint das "Nature Network" sich zu einer Art Blog-Forum entwickelt zu haben, also eine andere Richtung als Researchgate geht.

Was verstehen Sie unter semantischem Matching?

Das ist ein automatischer Prozess. Auf der Basis der Disziplin, des Forschungsfeldes, der eigenen Publikationen und Literatur aus der "Library" können wir sowohl relevante Literatur, als auch Kollegen und Diskussionsgruppen vorschlagen. Je kompletter das eigene Profil ausgefüllt ist, desto besser natürlich auch die Ergebnisse. Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit spezielle Suchanfragen durchzuführen - im Falle der Literatursuche basiert dies auf einem neu entwickelten Algorithmus, der auch Volltextsuchanfragen verarbeiten kann!
Die Algorithmen Ihres semantischen Matching suchen nach "passenden Forschern". Können diese aber nicht durch ganz andere Perspektiven - vielleicht komplementär zu den eigenen - sogar noch mehr profitieren?

Ja, ganz bestimmt sogar und dafür kann das Matching auch hilfreich sein! Nehmen wir z.B. einen Virologen, der in der Grundlagenforschung tätig ist und einen Krebsforscher, der mit Viren als Vektoren zur Beeinflussung der entarteten Zelle arbeitet.

Diese Forscher besuchen i.d.R. nicht die gleichen Kongresse und publizieren auch nicht in den gleichen Journals, daher kann es sehr lange dauern bis Erkenntnisse überschwappen. Unser Matching von Forschern und Publikationen (die eben auch aus verschiedenen Fachdatenbanken stammen), aber auch unsere ganze Plattform inklusive Gruppen und Suche, sollen helfen diese Prozesse zu beschleunigen..

Wie finanziert sich Ihre Plattform, sowohl was Serverkapazitäten als auch Menschen betrifft?

Anfänglich haben wir alle unentgeltlich gearbeitet. Mit privaten Investitionen, v.a. aus dem Friends & Family Bereich, haben wir die laufenden Kosten gedeckt. Erste Umsätze wollen wir mit einem internationalen Job Board für "Science and Higher Education" generieren, das in den kommenden Wochen online gehen wird. Außerdem vermarkten wir unsere Technologie in Form von Intranet-Kommunikationsplattformen für Forschungseinrichtungen und Universitäten.
Welche Bedeutung können Websites wie Researchgate für die Publikationspraxis der Wissenschaft gewinnen - Stichwort Open Access (OA)?

Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Thema OA und wollen unser Engagement in diese Richtung auch weiter ausbauen. Seit kurzem geben wir zu jeder Publikation auch Informationen zu den OA Konditionen des Journals mit aus. In Kombination mit unserem Journal-Finder ein eventuelles Entscheidungskriterium für oder gegen das Publizieren in einem bestimmten Journal.

Mit Publikationspraxis in Zusammenhang steht auch die Frage nach Urheberschaft und Datenschutz. Wie steht ResearchGATE zu dem Thema?

Alle Inhalte - gleich ob es sich um personenbezogene Daten oder um Publikationen handelt -, die Wissenschaftler bei Researchgate veröffentlichen, bleiben "Eigentum" des Wissenschaftlers. Researchgate räumt sich durch die "Terms of Service" keinerlei Rechte an Daten oder Inhalten ein, die über das zum Betrieb der Plattform notwendige Maß hinausgehen. Nutzergenerierte Inhalte sowie die Rechte daran bleiben daher immer unter der vollen Kontrolle des jeweiligen Nutzers.
Nicht nur Wissenschaftler verbringen immer mehr Zeit im Internet, während sie doch eigentlich im Labor stehen oder ein gutes Buch lesen sollten. Inwieweit beeinflussen Seiten wie Researchgate die Wissenschaft?

Wie wir in einer Umfrage herausgefunden haben, ist das Internet für einen sehr großen Teil der Forscher Informationsmedium Nummer 1. Die Herausforderung an neue Technologien besteht nun darin, die Arbeit durch das Internet effektiver zu gestalten.

Ein Beispiel: Ein Forscher aus Kanada hat ein Problem mit einer bestimmten Laboranwendung, weiß aber nicht genau woran es liegt. Er beschreibt das Problem gezielt in der "Methods" Group auf Researchgate und innerhalb kurzer Zeit bekommt er eine Antwort von einem Forscher aus Australien, der die gleiche Technik verwendet und ihm weiterhelfen kann. Das ganze kostet beide keine fünf Minuten.
Wie hat Researchgate Ihr eigenes Wissenschaftlerleben verändert?

Ijad ist an der Harvard Medical School weiterhin an Forschungsprojekten beteiligt, ich selber bin in den letzten Zügen meiner Doktorarbeit an der Medizinischen Hochschule in Hannover. Durch Researchgate können wir uns jetzt aber auch mit vielen anderen Aspekten rund um das Thema Forschung und Wissenschaft beschäftigen, vor allem auch quer durch die Disziplinen - das erleben wir als wirklich einmalige Erfahrung!

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 17.8.09
->   Researchgate
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01.01.2010